Maue Wachstumsprognosen Reden wir uns in die nächste Krise?

Deutschlands Wirtschaft wächst weniger stark als erwartet. Das sei kein Grund, eine Krise herbeizureden, findet Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Aber hat er Recht?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Deutschland ist zurück im Krisenmodus. In der Presse ist das täglich nachzulesen: Die Bundesregierung korrigierte ihre Wachstumsprognose von 1,8 Prozent auf 1,2 nach unten; der ifo-Geschäftsklimaindex erreicht den tiefsten Stand seit 18 Monaten; die Exporte lahmen; der Markt für Staatsanleihen ist nervös; die Aktienkurse in Frankfurt, Paris und Madrid brachen ein.

Mehr noch: Die Konjunkturdaten der USA und China sowie die Konflikte in Syrien und der Ukraine geben kaum Hoffnung, dass die exportabhängige Wirtschaft der Bundesrepublik aus diesem Tief allzu bald heraus kommt.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sieht Deutschland trotzdem nicht vor oder in einer Krise. „Es gibt überhaupt keinen Grund zu Alarmismus“, sagte er am vergangenen Dienstag bei der Präsentation der neuen Wachstumsprognose. „Wir sind nicht in einem Abschwung, sondern immer noch auf Wachstumskurs.“

Wie der deutsche Haushaltsüberschuss zustande kam

Da hat Gabriel nicht Unrecht. 2013 stieg das BIP noch um 0,1 Prozent an, 2012 um 0,4 – dagegen wirken 1,2 Prozent wie der große Sprung. Auch im Vergleich zum EU-Schnitt ist das deutsche Wachstum vorzeigbar. „Eine Wachstumsdelle ist keine Naturkatastrophe“, betonte Gabriel deswegen – zumal beim Arbeitnehmer davon nichts ankomme. Beschäftigung und Reallöhne steigen, die Arbeitslosigkeit sinkt, das Konsumklima ist stabil.

Laut Finanzminister Wolfgang Schäuble gibt es deswegen keinen Grund, die Wirtschaft in eine Krise zu reden – vor allem weil die Steuereinnahmen für Bund und Länder trotz der Wachstumsdelle weiter gestiegen sind.

Handelt es sich bei der Schwarzseherei von Teilen der Politik und der Presse also nur um „Krisengerede“? Oder hat der Pessimismus tatsächlich Folgen für die Wirtschaft, und wenn ja, welche?

„Wird viel über Krisen gesprochen, hat das Auswirkungen“

Um diese Fragen zu beantworten, hilft ein Gespräch mit jemandem, der Konjunkturprognosen erstellt. Steffen Henzel ist am ifo Institut tätig und befasst sich dort unter anderem mit Prognosemethoden und Erwartungsbildungen. „Es gab zuletzt deutliche Signale dafür, dass die Stimmung schlechter geworden ist“, sagt er. Bereits im Sommer war sie getrübt – da sei allerdings noch nicht klar gewesen, inwieweit das auf die tatsächliche Lage durchschlage.

In Anbetracht der internationalen Konflikte und der verschleppten Reformen Italiens und Frankreichs habe sich der Pessimismus dann materialisiert, sagt Henzel. „Aufgrund der negativen Erwartungen verschieben Unternehmer Investitionen und sonstige Vorhaben. Das drückt die wirtschaftliche Aktivität.“

Infolgedessen musste auch das ifo Institut seine Prognose nach unten korrigieren. Im Sommer ging es noch von einem Wachstum von zwei Prozent aus – bei der Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsinstitute, zu denen auch das ifo Institut zählt, waren es nur noch 1,3 Prozent.

Eine Mitschuld trage das ständige Thematisieren der Krise in der Öffentlichkeit durchaus. Das würden Studien zeigen: „Wenn Politik und Medien viel von Rezessionen und Krisen sprechen, hat das Auswirkungen auf die Stimmung und das Verhalten von Konsumenten und Produzenten“, sagt Henzel. Einen Krisenauslöser will er darin aber nicht sehen. „Es handelt sich dabei allerdings um einen verstärkenden Effekt.“


„Die Stimmung hat größere Auswirkungen als der Zins“

Die Berichte über die negative Stimmung seien eher ein Indikator dafür, dass das Wachstum bald gedämpft werden könnte. „Im Moment sieht es aber nicht nach einem nochmaligen Absenken aus“, sagt er. Die Einkommenssituation und die Einkommenserwartungen seien stabil.

So erwarten 79 Prozent der Verbraucher in Deutschland in den kommenden Monaten steigende Einkommen und einen höheren Lebensstandard. „Wäre die Lage negativer, würde sich das wahrscheinlich auch auf den Konsum auswirken.“

Auch bei der Geldpolitik sei der Stimmungs-Effekt zu bemerken. Trotzdem finde sie zu wenig Beachtung, sagt Ansgar Belke, Jean Monnet-Professor für Makroökonomik an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des Monetary Experts Panels im Europa-Parlament. „Die Stimmung von Investoren und Konsumenten hat auf Investitionen sehr viel größere Auswirkungen als der Zins“, sagt er.

Was die Kritiker der Sparpolitik sagen

Deswegen sei auch die Niedrigzinspolitik der EZB verfehlt. Sie schaffe politische Unsicherheit und führe dazu, dass sich Investoren zurückhielten – anstatt Investitionen anzukurbeln. „Das erkennt man an der starken Liquidität der Unternehmen“, so Belke. Die Stimmung und die Erwartungshaltung würden dadurch gesenkt.

Unsicherheit über künftige Politik - insbesondere über einen glatten Ausstieg aus der unkonventionellen Geldpolitik und deren Nebeneffekte - und Markteingriffe wie die Mindestlöhne und die Bindung von Staatsanleiherenditen an Notenbankinterventionen ließen Investoren abwarten.

Auch auf die Konsumenten wirke sich die Niedrigzinspolitik negativ aus. „Gerade ärmere Bürger müssen für die Altersvorsorge vorsorgen.“ Aufgrund der niedrigen Zinsen müssten sie nun größere Summen sparen, um im Alter ausreichend Kapital zu haben. Sie kompensierten die erhöhte Sparneigung dadurch, dass sie weniger konsumieren. „Die Auswirkungen der Niedrigzinspolitik sind bei den ärmeren Bevölkerungsteilen bereits angekommen.“ Der Umverteilungseffekt der gegenwärtigen Geldpolitik von unten nach oben führe somit zu einer insgesamt geringeren Konsumneigung, da reichere Bevölkerungsschichten ohnehin einer geringere Konsumneigung aufwiesen.

Erhöhte Ansteckungsgefahr

Aber nicht nur einzelne Akteure wie Konsumenten oder Investoren sind stimmungsabhängig. Das zeigte zuletzt die Lehman-Pleite. Im September 2008 meldete die amerikanische Investmentbank Insolvenz an. Das führte zu einem Vertrauensverlust innerhalb der Finanzindustrie, aus dem Liquiditätsengpässe resultierten und der Beinahe-Zusammenbruch von zahlreichen Banken.


Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen

Das Risiko einer Finanzmarktansteckung wie 2008 sieht Belke heute immer noch. „Selbst wenn sich alle Banken an die Regulierungsauflagen der EU halten – fällt eine Bank, können alle anderen in Mitleidenschaft gezogen werden.“ Er spricht hierbei von Netzwerkeffekten: Die Institute seien zu sehr ineinander verzahnt; das einzige, was helfe, seien höhere Eigenkapitalvorschriften für größere Banken.

Auch im Bereich des globalen Außenhandels sieht er eine solche Ansteckungsgefahr - weltweit. China und Amerika, die beide zu den fünf wichtigsten Exportabnehmern Deutschlands zählen, haben die Wachstumserwartungen enttäuscht und werden weniger importieren. Davon sei auch das exportorientierte Deutschland betroffen. „Die Nachfrage nach unseren Exportgütern ist sehr von der Stimmung im Rest der Welt abhängig, denn Deutschland exportiert vor allem Investitionsgüter“, so Belke.


Die Gründe für die Ansteckungsgefahr


Warum die Ansteckungsgefahr im Falle einer sich abzeichnenden Krise so groß ist, erklärt Wirtschaftspsychologe Winfried Neun. „Unser Gehirn hat vor 30.000 Jahren einen Krisenmodus entwickelt, der bis heute funktioniert.“ Wer viel Angst um sich herum erlebe, werde automatisch angesteckt. Das gelte für Konsumenten wie für Produzenten, für Individuen wie für Organisationen.

Laut Aussage von Neun hat die Ansteckung verschiedene Ursachen. Zum einen sei der Mensch ein Nachahmer. Er habe immer Angst, ein Informationsdefizit zu haben. „Wir denken, da weiß jemand mehr, deswegen folgen wir ihm“, sagt Neun. Außerdem ist dieses Verhalten aus evolutionspsychologischer Sicht überlebenswichtig: „Ist ein Vulkan ausgebrochen und die Leute sind weggerannt, ist man mitgerannt.“ Dieser Fluchtmechanismus als Reaktion auf negative Stimmungen funktioniere heute noch genauso.

Winfried Neun ist Wirtschaftspsychologe, Berater für Politik, Wirtschaft und Verbände und Verfasser zahlreicher Bücher. Quelle: Presse

Betroffen davon seien im Moment der Ansteckung Manager und Unternehmer genau so wie der Otto Normalverbraucher. „Erst wenn es an die sogenannte Selbstberuhigung geht, hat der Manager dem Bürger etwas voraus.“ Er jage ein Team von Experten los und lasse Analysen anfertigen, um sich selbst zu beruhigen und sich einen Überblick zu verschaffen. „Deshalb betreiben Firmen in Krisenzeiten viel Controlling“, so Neun. Der normale Bürger muss die Angst alleine ausstehen.  

„Das Stimmungsmanagement der Politik ist desolat“

Erschwerend kommt hinzu, dass der Mensch dazu neigt, grundsätzlich aus Informationen eher die negativen Aspekte zu verinnerlichen. Neun spricht dabei von einem „Soll-ist-Vergleich“. „Wie sollte es eigentlich sein und wie ist es wirklich?“, erklärt der Wirtschaftspsychologe den Mechanismus, der sich in unseren Köpfen abspielt. Wenn dabei etwas nicht in Ordnung ist, schaltet der Mensch in den Krisenmodus.

Die Folgen der Immobilienkrisen ausgewählter Länder

Übermäßig ausgeprägt sei dieser Mechanismus bei den Deutschen. „Historisch bedingt sind die Deutschen besonders ängstlich“, sagt Neun. Die Brüche in der deutschen Geschichte hätten dazu geführt.

Dass eine Krise „herbeigeredet“ werden kann, bezweifelt er aber. „Dann müsste unser Verhalten auf Hysterien fußen – die haben aber psychologisch nicht den notwendigen Einfluss.“ Das ständige Thematisieren des Negativen verstärke lediglich ohnehin latente Negativtrends. „Im Moment sind wir nicht in der Krise“, sagt Neun. „Deswegen muss die Politik die Bürger darauf sensibilisieren, dass unsere Wirtschaft zwar in ein unruhigeres Fahrwasser kommt, nicht aber schwankt.“  

Was die Politik gegen die Depression tun kann

Gelingen will das derzeit nicht so recht. „Das Stimmungsmanagement der Politik ist desolat.“ So habe Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel es während der Bundespressekonferenz zur Korrektur der Wirtschaftsprognose an Ausgewogenheit fehlen lassen. „Eine Mischung aus guten und schlechten Informationen ist nötig. Beide Aspekte darf man nicht übertreiben“, sagt Neun. Gabriels Auftritt auf der Pressekonferenz sei zu euphorisch gewesen und wirke daher unrealistisch. „Das führt zu Misstrauen in der Bevölkerung.“

Zu einem ähnlichen Schluss kommt Volkswirt Belke: „Die Marktteilnehmer sind in ihrer Einschätzung durchaus realistisch.“ So schenkten sie den Aussagen der Politiker zum Fiskalpakt kaum Glauben, weil es nicht unwahrscheinlich sei, dass sich Frankreich und Italien als Gegenleistung für die bloße Ankündigung von Reformen weiter verschulden dürften – trotz anderer Beteuerungen durch die Politik. Große Länder hätten sich bisher fast nie an das EU-Regelwerk gehalten, sobald es Anpassungshärten für das betreffende Land verursachte.  

Das sind die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt

„In der jetzigen Phase kann man die Konjunkturdelle noch abfedern“, sagt Neun. Aber wie kann die Politik der latenten Krisenstimmung beikommen, bevor sie die Wirtschaft herunterzieht?  Dafür müsse man der Bevölkerung Perspektiven aufzeigen, etwa durch Innovations- und Investitionsprogramme, sagt Neun.

Ein Mittel gegen die Depression

„Wenn die Politik wartet, bis die Arbeitslosenzahlen ansteigen, kriegen die Konsumenten Angst, dass sie ihren Job verlieren.“ Wer sich nicht sicher ist, dass er auch weiter ein Einkommen beziehen kann, wird keine großen Ausgaben tätigen. „Dann sitzt die Krise der Bevölkerung ganz tief in den Knochen.“ Halten sich die Unternehmer weiter mit den Investitionen zurück, dürfte sich das auf lange Sicht auf den Arbeitsmarkt auswirken.

Gegen solche Konjunkturprogramme sträuben sich allerdings sowohl Gabriel als auch Schäuble. Beide wollen am ausgeglichenen Staatshaushalt festhalten – zum Ärger der anderen europäischen Länder. „Wir helfen der deutschen Konjunktur nicht durch Strohfeuer und mehr Schulden“, begründet Gabriel sein Vorgehen.

Auch Volkswirt Wolfram Richter teilt diese Einschätzung. „Die Wachstumsprognose ist zurückgenommen worden, aber in Deutschland sehe ich keine Zeichen, die ein großes Konjunkturprogramm rechtfertigten“, sagt der Professor der TU Dortmund.

Neun sieht das anders. „Die Abwrackprämie beispielsweise war 2009 als ökonomisches Programm nicht unbedingt richtig – aber als psychologisches Instrument sehr effektiv, weil es die Leute wieder motivierte Geld auszugeben und es Hoffnung vermittelte.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%