Mauschelei beim Sturmgewehr G36 Neuer Skandal erschüttert die Koalition

Heckler & Koch bemühte sich gerade um ein besseres Verhältnis zur Politik. Doch jetzt kommt heraus: Der G36-Hersteller wollte mit Ministeriums-Hilfe gegen kritische Berichte zu dem Gewehr vorgehen. Die SPD ist empört.

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Der frühere Verteidigungsminister Thomas de Maiziere (CDU) und seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU): G36-Affäre setzt beide unter Erklärungsdruck. Quelle: dpa

Berlin In der G36-Affäre hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein Zusammenspiel zwischen Heckler & Koch und einem hochrangigen Beamten eingeräumt – und damit scharfe Reaktionen auch beim Koalitionspartner SPD ausgelöst.

Die CDU-Politikerin bezog sich auf Berichte, wonach es im Ministerium 2013 Unterstützung für eine Initiative des Waffenproduzenten zu Ermittlungen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gegen Behördenmitarbeiter gegeben habe. Diese sollen vertrauliche Dokumente an Journalisten weiterreicht haben. Im Raum steht der Verdacht, dass es darum ging, Berichte über Probleme beim Gewehr G36 zu verhindern.

„Dass Heckler & Koch sich im Jahr 2013 an den MAD gewandt hat, ist schon sehr befremdlich“, teilte von der Leyen am Donnerstag mit. „Was aber völlig inakzeptabel ist, ist, dass sich der damalige Abteilungsleiter Rüstung mit einem Brief an den MAD vom 6. Dezember 2013 diese Initiative zu eigen gemacht hat.“ Völlig zu Recht habe der MAD-Präsident „dieses absurde Ansinnen“ noch 2013 abgelehnt.

Der Waffenhersteller reagierte mit einem harten Dementi. „Heckler & Koch hat zu keinem Zeitpunkt die Ausspähung von Journalisten gefordert oder forciert“, teilte das Unternehmen am Donnerstag in Oberndorf mit. Es habe keine gemeinsame Operation mit dem Verteidigungsministerium initiiert, um Berichterstattung über das Sturmgewehr G36 zu unterbinden.

„Spiegel Online“ und andere Medien hatten zuvor unter Berufung auf geheime Akten berichtet, führende Beamte des Verteidigungsministeriums hätten Ende 2013 in enger Absprache mit Heckler & Koch versucht, die kritische Berichterstattung über das Gewehr mit allen Mitteln abzuwürgen. So sollte der MAD gegen kritische Journalisten und deren „unwahre Medienkampagne“ tätig werden.

Tatsächlich waren die Präzisionsprobleme beim G36 in der Bundeswehr mindestens seit 2010 bekannt gewesen. Die Spitze des Ministeriums erfuhr davorn spätestens im März 2012. Es passierte aber so gut wie nichts, weil die Prüfer zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen und die Verantwortlichen zu widersprüchlichen Bewertungen.

Als von der Leyen im Dezember 2013 den Bendlerblock von ihrem Parteifreund Thomas de Maizière übernahm, galt das G36 im Haus als tadelloses Gewehr. Für ungenaue Schüsse wurde die Munition verantwortlich gemacht. Im April verkündete die Ministerin dann das Aus für das Gewehr, nachdem ein Gutachten der Waffe eine Trefferquote von nur noch sieben Prozent unter Extrembedingungen bescheinigt hatte.

In der Koalition sorgt der Ausspähversuch gegen Journalisten für erhebliche Verstimmung. Nachdem die BND-NSA-Affäre schon Anfang der Woche großen Unmut auslöste und die Union von Seiten der SPD mit Attacken überzogen wurde, könnte der neue Skandal das Koalitionsklima noch weiter verschlechtern.  


„Ungeheuerlicher Vorgang, der nicht folgenlos bleiben kann“

Der SPD-Bundesvize Ralf Stegner forderte von der Leyen auf, die Vorgänge „rückhaltlos“ aufzuklären, „sonst geraten wir in eine schwere Vertrauenskrise unserer Demokratie“. Die Ministerin sei daher gefordert, „hier unverzüglich für Klarheit zu sorgen, ob Gesetzesverstöße geplant oder gar ausgeführt worden sind und tatsächlich der MAD im Zusammenspiel mit Heckler & Koch vom Verteidigungsministerium gegen missliebige Medien in Stellung gebracht werden sollte“, sagte Stegner dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

„Das wäre, wenn es stimmt, ein ungeheuerlicher Vorgang, der keinesfalls politisch folgenlos bleiben oder mit ein paar internen Umsetzungen von Beamten erledigt werden könnte“, fügte der SPD-Politiker hinzu. „Hier ist eine öffentliche Klarstellung der Ministerin, wann sie was wusste, was sie unternommen hat, und wann das Parlament darüber unterrichtet wurde, zwingend.“

Das Büro von der Leyens hatte von dem Vorgang Kenntnis: Die Vorwürfe gehen aus einer Vorlage mit dem Titel „Gewehr G36 – Genese“ hervor, die im März 2014 durch von der Leyens Büro abgezeichnet („lag vor“) wurde.

Der Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner sieht daher auch eine Mitverantwortung der Ministerin. „Wenn das Ministerbüro einen Vermerk mit ,lag vor' abzeichnet, dann muss sich Ursula von der Leyen das natürlich zurechnen lassen. Sie kann sich hier nicht mit Spitzfindigkeiten aus der politischen Verantwortung wegstehlen“, sagte Lindner dem Handelsblatt und fügte hinzu: „In der Affäre um das G36 tun sich zahlreiche neue Fragen auf.“

Empört reagierte auch der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. „Sollten sich diese Vorwürfe bestätigen, wäre das ein ungeheurer und skandalöser Vorgang“, sagte von Notz dem Handelsblatt. „Wenn sich Ministeriumsmitarbeiter mit Rüstungskonzernen zur Überwachung  und Ausforschung von Journalisten mit geheimdienstlichen Mitteln verabredet haben, wäre eine Grenze überschritten.“

Wenn sich die Vorwürfe gegen das Verteidigungsministerium bestätigten, „ließe das einen Mangel an rechtsstaatlicher Kontrolle und eine strukturelle Übergriffigkeit gegen Grundrechte erkennen, die alarmieren muss und harte Konsequenzen fordert“.

Scharfe Kritik kam auch vom Deutschen Journalisten-Verband. „Es ist ein Skandal, dass führende Ministerialbeamte darauf dringen, missliebige Berichterstattung mit geheimdienstlichen Methoden zu verhindern“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken.


Auch Handelsblatt im Visier von Heckler & Koch

Heckler & Koch versucht auch schon seit Jahren, kritische Berichterstattung des Handelsblatts über das Standardgewehr der Bundeswehr gerichtlich verbieten zu lassen. Dabei geht das Unternehmen gegen eine im Jahr 2012 bei Handelsblatt Online erschienene Meldung vor, in der das Handelsblatt unter der Überschrift „Bundeswehr kaufte Tausende untaugliche Waffen“ über Kritik an dem Sturmgewehr berichtet hatte. In erster Instanz konnte sich der Konzern nicht durchsetzen. Das Oberlandesgericht Köln hob das Urteil wieder auf. Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden, den die Handelsblatt GmbH nach dem Urteil angerufen hat.

Die Grünen fordern nun, die Affäre um das mangelhafte Sturmgewehr G36 in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufzuarbeiten. Stimmt auch die Linken-Fraktion zu, wird ein entsprechender Ausschuss eingesetzt. Beide Oppositionsfraktionen haben zusammen dafür genug Stimmen. Der Chef der Linkspartei, Bernd Riexinger, hatte bereits vor Wochen einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert – auch, um andere Rüstungsprojekte zu beleuchten.

Schon zuvor hatte die Opposition von der Leyen mangelnden Aufklärungswillen unterstellt. Die Ministerin wollte das Heft des Handelns bisher nicht aus der Hand geben und eine Kommission einsetzen, die den Umgang mit den G36-Problemen untersuchen soll.

Von der Leyen zeigte sich mit Blick auf die Mauschelei in ihrem Ministerium offen für einen Untersuchungsausschuss. „Wenn sich das Parlament dieser Angelegenheit im Rahmen eines Untersuchungsausschusses annehmen möchte, ist dies sein gutes Recht“, sagte sie.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Henning Otte, wies den Vorstoß der Grünen als „vollkommen unangemessen“ zurück. Die Ministerin habe bereits „sehr transparent alle Fragen zum G36 beantwortet“. Sie habe zudem „alle relevanten Unterlagen“, wie von der Opposition gewünscht, zur Verfügung gestellt. Auch die aktuellen Fragen könnten daher anhand der vorgelegten Akten geklärt werden. Dazu brauche es keinen Untersuchungsausschuss.


Auch de Maizière wandte sich gegen kritische Medien

Von der Leyens Offenheit in der Ausschuss-Frage dürfte indes auch dem Umstand geschuldet sein, dass die Angriffsfläche für mögliche Versäumnisse bei ihrem Vorgänger de Maiziére ungleich größer ist. Er war im Amt, als die Hinweise auf die Präzisionsprobleme bekannt wurden. Damals wurde in Afghanistan noch gekämpft. Bis auf einige Hinweise an die Soldaten im Einsatz und den Austausch von Munition wurde aber nichts unternommen.

Im Gegenteil: De Maizières Pressestab wies kritische Berichterstattung über das G36 in aller Schärfe zurück. Noch am 20. September 2013, nur zwei Tage vor der Bundestagswahl, heißt es in einer Pressemitteilung zu einem G36-Bericht des „Spiegel“: „Aufgrund der wiederholten Berichterstattung des ,Spiegel' besteht Anlass für die Vermutung, dass eine Geschichte konstruiert wird, die zwei Effekte verfolgt. Erstens: Die Projektbeteiligten pauschal und öffentlich zu diskreditieren. Zweitens, und das ist unverantwortlich: Die Verunsicherung der Angehörigen und Freunde der SoldatInnen.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte de Maizière gerade erst den Untersuchungsausschuss zur Skandal-Drohne „Euro Hawk“ überstanden. Die Affäre kostete ihn fast den Job. Gut möglich, dass de Maizière jetzt wieder vor einen Untersuchungsausschuss muss.

Pikant ist jedenfalls: Einen Monat nach seiner Kritik am „Spiegel“, am 20. November 2013, wurde die Geschäftsführung von Heckler & Koch beim MAD-Präsidenten Ulrich Birkenheier vorstellig. Und wiederum nur sechs Tage später drängte der Vize-Chef der Rüstungsabteilung des Ministeriums auf geheimdienstliche Ermittlungen. Kurz darauf, am 6. Dezember, schaltete sich dann der Chef der Rüstungsabteilung, Detlef Selhausen, ein. In einem Brief an den MAD-Präsidenten warb noch einmal für eine verdeckte MAD-Operation gegen die Presse.

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold will nun im anstehenden Untersuchungsausschuss zum G36 zügig zu Ergebnissen kommen: Er werde nach den positiven Erfahrungen mit dem Untersuchungsausschuss zu unbemannten Aufklärungsdrohne Euro Hawk „darauf drängen, die Aufklärung mit konzentriertem Auftrag und in überschaubarem Zeitraum voranzutreiben“, sagte er dem Handelsblatt (Freitagausgabe).


„Schützende Hand aus der Rüstungsabteilung des Ministeriums“

Der Fall des Sturmgewehres mache nochmals deutlich, dass der begonnene Umbau im Beschaffungswesen noch nicht beendet sei. „Ich habe in der Vergangenheit immer wieder den Eindruck gehabt, dass Ausschreibungen so formuliert waren, dass immer wieder der gleiche Hersteller den Auftrag bekam“, sagte Arnold.

Der nun bekannt gewordene Vermerk mache „endlich deutlich, woher die schützende Hand kam: aus der Rüstungsabteilung des Ministeriums“. Die Frage personeller Konsequenzen im Ministerium sei noch nicht abschließend geklärt.

Die Grünen-Verteidigungsexpertin Katja Keul warf Selhausen, vor, sich in einer Weise mit den Interessen der Industrie identifiziert zu haben, dass seine Abteilung am Ende „total versagt“ habe, als es darum gegangen sei, die Interessen der Bundesrepublik als Kunde und Auftraggeber gegenüber der Rüstungsindustrie durchzusetzen. 

Gleiches gelte für den letzten Präsidenten des Bundesamtes für Beschaffung, Harald Stein, sagte Keul dem Handelsblatt.  „Sowohl in der Abteilung Rüstung als auch im Bundesamt für Beschaffung herrscht der Zeitgeist einer staatlichen Rüstungsindustrie, die es schon lange nicht mehr gibt.“  Der Austausch beziehungsweise die Versetzung der Leitungspersonen durch von der Leyen werde daran nichts ändern, „wenn keine grundlegende Umstrukturierung in diesem Bereich erfolgt“.

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