Mays Brexit-Plan in der Analyse Viele Worte, viele Lücken

Der Plan von Theresa May zu Großbritanniens Zukunft außerhalb der EU wird sich kaum innerhalb der vorgesehenen zwei Jahre umsetzen lassen. Über Alternativen schweigt sich die Premierministerin bisher aus. Eine Analyse.

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Mays Brexit-Plan sieht letztlich vor, sich von der EU abzuwenden, um sich dann aber doch wieder das Beste daraus herauszupicken. Quelle: AFP

London Vor vier Jahren war die Sache noch recht einfach. Theresa May, damals britische Innenministerin, hat einen Teilausstieg aus der EU vorexerziert. Sie hat zunächst alle 130 neuen Regeln für die europäische Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik abgelehnt – um am Ende aber doch etwa ein Viertel der Vorgaben, darunter den europäischen Haftbefehl, wieder einzuführen. „In den Bereichen, in denen es vom nationalen Interesse ist“, wie sie damals sagte.

Ähnlich will sie jetzt beim Brexit vorgehen, dem Austritt des Landes aus der europäischen Staatengemeinschaft. Dem Binnenmarkt und der Zollunion will sie den Rücken kehren – um dann einzelne Elemente der bisher bestehenden Vereinbarungen zum Binnenmarkt und zur Zollunion möglicherweise wieder einzuführen. Das machte sie in ihrer großen Rede zur Zukunft Großbritanniens am Dienstag klar. Nicht verhandelbar sind Einwanderungskontrollen – die haben für May Priorität.

Mays Brexit-Plan sieht letztlich vor, sich von der EU abzuwenden, um sich dann aber doch wieder das Beste daraus herauszupicken. Bei der Rechts- und Innenpolitik war das Prinzip des Opt-out und Opt-in vorgesehen. Bei der EU-Zugehörigkeit gibt es das nicht. Genau das macht Mays Brexit-Plan, so sehr ihn auch vor allem die lautstarken EU-Kritiker auf der Insel bejubelten, so schwierig umzusetzen – erst recht in der von den EU-Verträgen vorgesehen Frist von zwei Jahren.

„To have the cake and eat it“ (übersetzt: Die Vorteile genießen, ohne die Nachteile in Kauf zu nehmen) – so brachte Großbritanniens Außenminister Boris Johnson die Brexit-Strategie mal auf einen Nenner und erntete jede Menge Spott. Jetzt ist genau das die offizielle britische Linie. Unklar ist aber noch, aus welchen Zutaten genau der Kuchen bestehen soll, wie die Einwanderungsregeln und der geplante Übergangsdeal aussehen könnten und was die Alternative ist, sollten sich Mays Wünsche wegen des voraussichtlich massiven Widerstands der EU nicht erfüllen.

„Wir werden die Zahl der Menschen, die aus der EU nach Großbritannien kommen, unter Kontrolle bekommen“, sagte May. Genau diese Forderung hat viele Briten im Juni vergangenen Jahres für den Austritt stimmen lassen und May spricht seit Monaten über Einwanderungskontrollen. Bei ihrer Rede am Dienstag blieb sie aber vage, wie genau sie das erreichen will – ob über ein Quoten- oder ein Punktesystem oder andere Lösungen. Statt konkret zu werden, verteilte sie nur ein paar Beruhigungsfloskeln: Man werde schon sicherstellen, dass britische Unternehmen auch weiterhin Zugang zu den klügsten Köpfen hätten und Fachkräftemangel vermieden werde.

Ähnlich unklar bleibt die geplante Übergangsregelung. „Ich glaube, dass ein stufenweiser Prozess der Implementierung, in dem Großbritannien und die EU-Institutionen sowie Mitgliedsstaaten sich auf die neuen Arrangements vorbereiten, in unserem gegenseitigen Interesse ist“, sagte May. Das werde der Wirtschaft genug Zeit geben, sich auf die neuen Arrangements einzustellen.

Damit kommt May der britischen Wirtschaft einen großen Schritt entgegen. Doch weitere Details, etwa über die Dauer der Übergangslösung, bleibt sie schuldig. Die Unsicherheit in der Wirtschaft ist also nicht beseitigt. Konzerne werden daher wohl mit unverändertem Tempo an ihren Worst-Case-Szenarien arbeiten und sie im Zweifel schneller umsetzen als gedacht, solange May nicht nachlegt und ihnen konkrete Zusicherungen für die Übergangszeit macht.

Einen ganz anderen Ton hat May bei einer möglichen Rückfallposition eingeschlagen, blieb am Ende aber auch da unkonkret: „Ich weiß, es gibt einige Stimmen, die einen Deal fordern, der Großbritannien bestraft und andere Länder davon abhält, einen ähnlichen Weg einzuschlagen“, sagte sie. Und weiter: „Während wir zuversichtlich sind, dass dieses Szenario nicht aufkommen wird, ist mir gleichermaßen klar, dass kein Deal besser für Großbritannien sein wird als ein schlechter Deal. Wir hätten dann die Freiheit, die Grundlage für das Wirtschaftsmodell Großbritanniens zu ändern.“

So versöhnlich Mays Rede lange Zeit klang, so alarmierend war diese Passage. Denn sie macht deutlich, dass die Premierministerin wirklich mit der Möglichkeit spielt, am Ende gar keinen Deal mit der EU zu haben. Das könnte dem Land einen Wirtschaftsschock versetzen, sagen Volkswirte voraus. Großbritannien müsste zu Regeln der Welthandelsorganisation WTO Handel mit dem Kontinent treiben – die schlechteste aller Brexit-Lösungen aus Expertensicht. Zumal Finanzdienstleistungen nicht darunter fallen, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige auf der Insel.

Wie May mit einer No-Deal-Situation verfahren will, ließ sie aber ebenfalls offen – ebenso wie eine andere wichtige Frage: Die Premierministerin will das britische Parlament über ihr Verhandlungsergebnis mit der EU abstimmen lassen. Doch was passiert, wenn die Abgeordneten es ablehnen? Kommt dann die WTO-Lösung? Gar kein Brexit? Ein neues Referendum?

May hat eines ihrer Ziele so formuliert: Sie wolle ein ambitioniertes und verwegenes Freihandelsabkommen mit der EU. Verwegen sind bisher die ungeklärten Probleme ihres großen Brexit-Plans.

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