Dieses Indexing ist nicht unbedingt ein großes Problem für eine demokratische Gesellschaft. Zumindest solange nicht, wie das politische Establishment selbst das Spektrum der politischen Interessen und Meinungen in einem Land weitgehend abdeckt und das Parlament das Volk im Wesentlichen repräsentiert. Dann repräsentiert auch ein „indexierter“ Meinungsjournalismus die öffentliche Meinung.
In den beherrschenden Frage der Gegenwart, der Flüchtlingspolitik, bildet der Bundestag aber nicht die Ansichten und Interessen der Deutschen ab, wie Umfragen belegen. Es gibt de facto so gut wie keine Vertretung derjenigen, die Merkels Politik ablehnen. Bis auf die CSU, die allerdings von der großen Mehrheit der Deutschen bekanntlich gar nicht gewählt werden kann. Grundsätzliche Kritik von etablierten Politikern an Merkel artikuliert sich angesichts der Abwesenheit einer offenen parlamentarischen Opposition nur in verdruckster Form hinter der vorgehaltenen Hand einiger weniger Abweichler – ohne die legitimierende Aura mächtiger Institutionen, die auch für Medienaufmerksamkeit sorgt. Ein auf Merkel anonym schimpfender Hinterbänkler ist keiner Redaktion einen Artikel wert.
Zu viel Einigkeit schadet der politischen Kultur
Eine indexierte Presse wird also erst dann zum Problem, wenn sich das Establishment in zentralen Fragen allzu einig ist und die indexierte Presse diese Einigkeit weitgehend übernimmt – während sich die Bevölkerung ganz und gar nicht einig ist. Das ist derzeit der Fall. Und das ist vermutlich der Grund für den Vertrauensverlust vieler Leser und Zuschauer, der sich bei manchen zur Wut auf die angebliche „Lügenpresse“ steigert. Deutschland erlebte ähnliches zuletzt 1968, als die linken Studenten sich im Bundestag nicht repräsentiert fühlten und keine Zeitung fanden, die ihre Positionen vertrat. Sie setzten daher auf „außerparlamentarische Opposition“. Wie gesagt, auch damals erschallten Parolen gegen die „Lügenpresse“. Einige Jahre später erschien dann die „Tageszeitung“.
Das Vokabular von Pegida
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert geläufig, erlebte das Wort um 1940 eine Renaissance. Dahinter standen laut GfdS immer völkische und nationalistische Anliegen, die die staatlich gelenkte „Lügenpresse“ angeblich zu verschleiern versuchte. Aus Sicht der Protestierenden herrscht auch heute keine wirkliche Meinungsvielfalt oder Meinungsfreiheit. Aus ihrer Sicht bestimmen vielmehr Regierung oder System darüber, was veröffentlicht werden darf.
Der Volksverrat findet sich als Straftatbestand erstmals im Nationalsozialismus. Der heutige Gebrauch von „Volksverräter“ zielt nach Angaben der Gesellschaft darauf ab, die gewählten Volksvertreter eben als Verräter an „ihrem“ (sprich: dem deutschen) Volk zu bezeichnen. Vor der Zeit des Nationalsozialismus habe es den Straftatbestand des Hoch- und Landesverrats gegeben. Erst mit dem Wort Volksverrat habe die Straftat aber einen klaren Bezug zur Nationalität erhalten, da mit den bis dahin üblichen Bezeichnungen nicht auf eine völkische oder ethnische Zugehörigkeit Bezug genommen wurde.
Laut Wörterbuch Grimm ist die Bedeutung „westlich gelegenes Land“, zunächst also rein geografisch und ohne Bezug zu einer bestimmten Nation, Kultur oder Religion. Ideologisch besetzt ist das Wort jedoch nach Angaben der Sprachforscher durch das Hauptwerk des Geschichtsphilosophen Oswald Spengler „Der Untergang des Abendlandes“, das klare antidemokratische Züge aufweist. Spengler sah die abendländische Kultur im Untergang begriffen und hielt die freiheitliche Demokratie für ein (unausweichliches) Stadium zum Niedergang.
Im Duden bereits 1929 verzeichnet, 1993 Unwort des Jahres. Auch hier gibt es laut GfdS einen klaren Bezug zur Sprache des Nationalsozialismus. So sprach Joseph Goebbels 1933 von „Überfremdung des deutschen Geisteslebens durch das Judentum“. Heutzutage seien eher andere Gruppen gemeint, das Wort habe sich hartnäckig gehalten.
Ruf bei den Montagsdemonstrationen in der DDR, später abgewandelt zu „Wir sind ein Volk“ - im Hinblick auf die Wiedervereinigung nach dem Mauerfall. Heute von Pegida aufgenommen - genau wie die Tradition der Montagsdemos - zur Abgrenzung gegenüber Zuwanderern, vor allem solchen muslimischen Glaubens.
Das beschriebene Indexing und die seit den 1960er Jahren aus der Sozialpsychologie bekannten Fallen des Gruppendenkens verlieren ihre Wirkung, so ist zu hoffen, in dem Maße, wie diese Mechanismen den potenziell Betroffenen bewusst werden. Abhängigkeiten sind für Journalisten nie ganz abzuschaffen, weil die Objekte der Berichterstattung mit den Lieferanten der Informationen weitgehend identisch sind. Aber allein schon sich dies bewusst zu machen, sollte dazu führen, ein bisschen freier im Urteil zu werden. Erkennbare Distanz zur Macht dürfte auf die Lügenpresse-Rufer sehr viel mehr Eindruck machen als der therapeutische Hochmut gegenüber weiten Teilen der unzufriedenen Bevölkerung, den manche Journalisten mit Spitzenpolitikern teilen.