Mehr Wohnungseinbrüche Die Täter sind dreister und besser organisiert

In Deutschland haben Wohnungseinbrüche deutlich zugenommen. Die Polizei macht dafür die Sparpolitik verantwortlich. Experten sehen aber noch andere Gründe.

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Einbrecher blickt durch eingeschlagene Fensterscheibe: „Schwere Belastung für die innere Sicherheit und die Bürger dieses Landes.“ Quelle: dpa

Wiesbaden Häufig klagt die Polizei über fehlende Ressourcen – und die neuen Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) geben dazu wieder einen Anlass: Vor allem die Wohnungseinbrüche sind laut der noch nicht veröffentlichten Statistik, die der Zeitung „Die Welt“ vorliegt, von 2014 auf 2015 um ganze zehn Prozent gestiegen: auf rund 167.000. Dieser neue Höchststand ist laut der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf den stetigen Personalabbau und die Sparpolitik der vergangenen Jahre zurückzuführen. Auch die Terrorgefahr, vermeintliche Problemviertel und die Flüchtlingssituation würden neben Ressourcen Zeit und Kraft kosten.

„Die Polizei ist gezwungen, sich aus der Fläche zurückzuziehen. Die seit Jahren drastisch zunehmende Einbruchkriminalität ist eine schwere Belastung für die innere Sicherheit und die Bürger dieses Landes“, sagte der stellvertretende GdP-Vorsitzende Jörg Radek angesichts der neuen Zahlen. „Das Einzige, was hilft, ist ein hoher Ermittlungsdruck und eine sichtbare Präsenz der Polizei, vor allem in den Wohngebieten und zu bestimmten Tageszeiten.“

Die Personalsituation bei der Polizei ist eine Grundsatzdiskussion, die in regelmäßigen Abständen in den Fokus der Öffentlichkeit rückt – zuletzt nach den Silvesterübergriffen in Köln. In Nordrhein-Westfalen sind die Spannungen zwischen Polizeivertretern und Politik besonders groß, denn die Anforderungen an die Beamten sind zuletzt deutlich gestiegen: In Bundesland sind die Zahl der Wohnungseinbruchdelikte im Jahr 2015 überdurchschnittlich um 18,1 Prozent angestiegen. Insgesamt entfallen rund ein Drittel aller deutschen Wohnungseinbrüche allein auf NRW.

Experten warnen allerdings davor, die Personalsituation bei der Polizei als einzige Ursache für erhöhte Kriminalität anzuführen. Insbesondere organisierte, reisende Tätergruppen aus dem südosteuropäischen Raum sind laut Statistik für einen Großteil der Taten verdächtig. Seitens des Bundeskriminalamtes (BKA) heißt es, dass einige Asylbewerber aus Südosteuropa – mit geringer Aussicht auf Erfolg – Asyl beantragen, um in relativ kurzen Zeitabständen bewusst Straftaten zu begehen. „Es ist ein Phänomen, das wir bundesweit beobachten“, so eine BKA-Sprecherin. Die kriminellen Profis würden ihre Zeit in Deutschland dazu nutzen, um gezielt Einbrüche zu begehen.


„Sicherheitstechnisch auf dem Stand der 70er-Jahre“

Mit geringstem Aufwand gelingt im Zweifelsfall die Flucht über die deutsche Grenze. 35,5 Prozent aller Tatverdächtigen bei Wohnungseinbrüchen im Jahr 2014 waren „Nichtdeutsche“, wie es in der Kriminalstatistik heißt. Die Zahlen für 2015 dürften deutlich höher sein, vermuten Experten.

Auch dieses Phänomen lässt sich am Beispiel NRW skizzieren: Die Anzahl deutscher Tatverdächtiger ist in den vergangenen fünf Jahren stets gesunken – konsequent und teils deutlich angestiegen hingegen ist die Anzahl der Verdächtigen aus dem südosteuropäischen Raum (Rumänien, Serbien, Kroatien, Albanien, Georgien) sowie aus Nordafrika (Marokko und Algerien). „Die Ermittlungen sind aufwendig und anspruchsvoll“, sagte NRW-Innenminister Jäger zuletzt. „Das sind Profis: straff organisiert und bestens vernetzt.“ Die Zahl der Polizeianwärter in Nordrhein-Westfalen wurde jüngst um 500 Personen erhöht – doch die Ausbildung dauert auch hier drei Jahre.

Dass es bei über 40 Prozent der Fälle bundesweit beim Versuch bleibt, liegt laut Statistik unter anderem an wachsamen Nachbarn und der Unfähigkeit einzelner Täter. Die Sicherung der Häuser und Wohnungen müsse allerdings noch verbessert werden, mahnt Christian Schaaf, Geschäftsführer von Corporate Trust, einer Unternehmensberatung für Sicherheitsdienstleistungen. „Viele Häuser heutzutage sind sicherheitstechnisch auf dem Stand der 1970er-Jahre. Wer würde ein Auto fahren, das auf dem Stand der Siebziger ist?“

Schaaf arbeitete 19 Jahre lang im Polizeidienst, ist mit den Gesamtstrukturen daher bestens vertraut. Mehr Polizei als Allheilmittel? Für ihn eine falsche Schlussfolgerung. „Präsenz der Polizei zur Prävention solcher Taten ist notwendig, doch die Aufgaben der Beamten gehen weit darüber hinaus. Die Polizei ist sicher nicht nur dazu da, um Wohnungseinbrüche zu vereiteln.“

Hausbesitzer, Mieter und Vermieter seien mitverantwortlich für ein vollständiges Puzzle. Für den Einbau von Sicherheitsmechanismen gibt es verschiedene staatliche Förderprogramme oder Zuschüsse, etwa von der KfW. Das Bundesbauministerium stellt dafür von 2015 bis 2017 jährlich zehn Millionen Euro bereit. Auch das Land NRW fördert seit zwei Jahren mit zinsvergünstigten Darlehen den Einbau verschiedener Sicherungs- und Nachrüstungssysteme. Problematisch ist allerdings, dass einkommensschwache Menschen die Förderung oftmals nicht in Anspruch nehmen können.

Im Westen hat sich Innenminister Jäger selbst für Eigeninitiative der Bürger stark gemacht. Künftig sollen alle 47 NRW-Polizeibehörden auf ihren Internetauftritten Karten veröffentlichen, auf denen Wohnungseinbrüche und Versuche eingezeichnet sind. Einige Behörden haben bereits begonnen. Die Menschen sollen so selbst erkennen, inwiefern ihr Wohngebiet zuletzt betroffen war – und gegebenenfalls für eine Nachrüstung sorgen. Jäger erhofft sich „noch mehr Sensibilität“ und „dass die Menschen ihre vier Wände besser schützen.“

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisierte den Vorstoß des SPD-Politikers. „Angesichts dieser dramatischen Kriminalitätsentwicklung der Bevölkerung vermitteln zu wollen, sie müsse selbst auf sich aufpassen, ist nicht nur eine Zumutung, sondern auch ein kriminalpolitischer Stockfehler“, hieß es in der Stellungnahme. Die Kreispolizeibehörden seien zudem vom Innenministerium nicht über diesen Radar informiert worden – sie hätten es aus den Medien erfahren. Dass die Fronten verhärtet sind, ist längst kein Geheimnis mehr.

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