Mehrwertsteuer Bund beendet Steuerchaos fürs Pizza-Taxi

Seite 2/3

Service erhöht die Mehrwertsteuer

Ein Urteil zwingt Tausende Fleischer, Bäcker und Pizzadienste zu Nachzahlungen – ein Wahnsinn des Systems.
von Christian Ramthun

Nier zog vors Finanzgericht Münster und stellte erneut seine 100-Liter-Suppe-Frage. Die Antwort des Richters dröhnt dem Metzger seither im Ohr: „Herr Nier, ich weiß, es ist kompliziert, aber das ist doch nicht mein Problem.“

Die Klage wurde abgewiesen, es ging zum Bundesfinanzhof (BFH) nach München und von dort zunächst weiter zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach Luxemburg, um klären zu lassen, ob

a) auch zubereitete Speisen unter den Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG fallen und so umsatzsteuerlich zu begünstigen sind – und falls ja,

b) wie die zubereiteten Speisen bei einer Außer-Haus-Lieferung umsatzsteuerlich zu gewichten sind.

Der EuGH entschied im März 2011 die erste Frage mit „Ja“ und die zweite mit „Kommt drauf an“. Nier freute sich – nur leider zu früh. Denn der elfte Senat beim BFH, der sich mit dem Fall erneut zu befassen hatte, fällte folgendes Urteil: Der Fleischer habe mehr als nur einfache Speisen (Würstchen, Pommes frites) geliefert und dazu auch Dienstleistungen (Beratung, Teller, pünktliche Lieferung) erbracht. Schon „ein zusätzliches Dienstleistungselement“ reiche aber aus, so der BFH, um den vollen Mehrwertsteuersatz anzuwenden – eine brisante Interpretation des geltenden Steuerrechts.

Das Urteil, das Ende Januar 2012 bekannt gegeben wurde, betraf alle Metzger, Bäcker und Konditoren mit Außer-Haus-Aktivitäten und darüber hinaus jeden Pizza-Blitz, Essen-auf-Rädern-Dienst und Lieferservice des Lebensmitteleinzelhandels – fast alle kalkulieren mit sieben Prozent Mehrwertsteuer.

Der Mehrwertsteuer-Irrsinn der EU
Eine Ein-Euro-Münze liegt über Europa auf einem beleuchteten Globus Quelle: dpa
Ein Teller Pappardelle mit Bolognesesauce Quelle: AP
Skispringer laufen mit ihren Brettern vor der Vogtland-Schanze. Quelle: dpa/dpaweb
Seilbahngondel "Gletscherjet" in Kaprun Quelle: AP
Eine Frau dekoriert Schokoladenweihnachtsbäume Quelle: dpa/dpaweb
Mickey und Minnie Mouse auf dem Balkon des Dornröschenschlosses Quelle: REUTERS
Touristen am Parthenon-Tempel auf der Akropolis Quelle: dpa

Damit erreichte das Steuerchaos in Deutschland eine neue Eskalationsstufe. Die Bundesregierung, die im Steuerrecht mit dem Versprechen „einfacher, gerechter, niedriger“ angetreten ist, stand einmal mehr blank da. Tausende Unternehmen sollten Steuern nachzahlen, einige nur im vier- bis fünfstelligen Bereich, doch auf Großküchen konnten Forderungen von bis zu mehreren Millionen Euro zukommen. Auf Joey’s Pizza, Smiley’s und alle anderen Italo-Schnellgastronomen kämen Nachforderungen in ähnlicher Dimension zu.

Zu dem Fleischer-Urteil gesellte sich ein weiterer Spruch des BFH, in dem eine Hamburger Großküche, die Altenheime mit Abendessen versorgt, auch zur Berechnung des vollen Mehrwertsteuersatzes verdonnert wurde.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%