Nier zog vors Finanzgericht Münster und stellte erneut seine 100-Liter-Suppe-Frage. Die Antwort des Richters dröhnt dem Metzger seither im Ohr: „Herr Nier, ich weiß, es ist kompliziert, aber das ist doch nicht mein Problem.“
Die Klage wurde abgewiesen, es ging zum Bundesfinanzhof (BFH) nach München und von dort zunächst weiter zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach Luxemburg, um klären zu lassen, ob
a) auch zubereitete Speisen unter den Begriff „Nahrungsmittel“ in Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG fallen und so umsatzsteuerlich zu begünstigen sind – und falls ja,
b) wie die zubereiteten Speisen bei einer Außer-Haus-Lieferung umsatzsteuerlich zu gewichten sind.
Der EuGH entschied im März 2011 die erste Frage mit „Ja“ und die zweite mit „Kommt drauf an“. Nier freute sich – nur leider zu früh. Denn der elfte Senat beim BFH, der sich mit dem Fall erneut zu befassen hatte, fällte folgendes Urteil: Der Fleischer habe mehr als nur einfache Speisen (Würstchen, Pommes frites) geliefert und dazu auch Dienstleistungen (Beratung, Teller, pünktliche Lieferung) erbracht. Schon „ein zusätzliches Dienstleistungselement“ reiche aber aus, so der BFH, um den vollen Mehrwertsteuersatz anzuwenden – eine brisante Interpretation des geltenden Steuerrechts.
Das Urteil, das Ende Januar 2012 bekannt gegeben wurde, betraf alle Metzger, Bäcker und Konditoren mit Außer-Haus-Aktivitäten und darüber hinaus jeden Pizza-Blitz, Essen-auf-Rädern-Dienst und Lieferservice des Lebensmitteleinzelhandels – fast alle kalkulieren mit sieben Prozent Mehrwertsteuer.
Damit erreichte das Steuerchaos in Deutschland eine neue Eskalationsstufe. Die Bundesregierung, die im Steuerrecht mit dem Versprechen „einfacher, gerechter, niedriger“ angetreten ist, stand einmal mehr blank da. Tausende Unternehmen sollten Steuern nachzahlen, einige nur im vier- bis fünfstelligen Bereich, doch auf Großküchen konnten Forderungen von bis zu mehreren Millionen Euro zukommen. Auf Joey’s Pizza, Smiley’s und alle anderen Italo-Schnellgastronomen kämen Nachforderungen in ähnlicher Dimension zu.
Zu dem Fleischer-Urteil gesellte sich ein weiterer Spruch des BFH, in dem eine Hamburger Großküche, die Altenheime mit Abendessen versorgt, auch zur Berechnung des vollen Mehrwertsteuersatzes verdonnert wurde.