Merkel beim IG-BCE-Kongress Jamaika-Sondierungen unter Argusaugen

Die Kanzlerin bekennt sich bei den Gewerkschaftern klar zur Tarifbindung und zu einem sozialverträglichen Braunkohleausstieg. Merkel erntet sogar ein Kopfnicken von Jürgen Trittin.

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Angela Merkel zeigt sich gegenüber der Industriegewerkschaft BCE zuversichtlich. Quelle: dpa

Hannover Als Kanzlerin Angela Merkel unter dem Applaus der Gewerkschafter dass Congress Centrum in Hannover betritt, sitzt Jürgen Trittin schon in der ersten Reihe. Der Grüne ist für eine spätere Podiumsdiskussion gekommen und kann nun in Ruhe dem Vortrag der CDU-Chefin lauschen. Bahnt sich da eine erste Kompromisslinie für ein zukünftiges Jamaika-Bündnis an?

Die Regierungschefin spricht über die Energiewende, Fehler, die dabei gemacht wurden, Positives, das erreicht wurde. Etwa dass es gelungen sei, den Steinkohleausstieg sozialverträglich zu gestalten. Wenn man nun in einer künftigen Regierung über das Ende der Braunkohle reden wolle, dann sei sicher klar, dass das nur mit den Beschäftigten gehe, sagt Merkel. Dann blickt sie kurz ins Publikum und sagt: „Ich glaube, da sehe ich ein Nicken von Herrn Trittin.“

Das dritte Mal schon ist die Kanzlerin Gast beim alle vier Jahre tagenden Bundeskongress der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Und immer hatte sie da gerade eine Bundestagswahl hinter sich. Vor vier Jahren verhandelte sie über ein Bündnis mit der SPD und nannte vor den Gewerkschaftern als ihre Prioritäten einen stabilen Euroraum, die Energiewende, die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und Antworten auf den demografischen Wandel.

Dieses Jahr ist alles anders. Vieles hatten die Gewerkschafter vor der Wahl gefordert – und vieles stellt die IG BCE jetzt bei ihrem Bundeskongress in mehreren Hundert Seiten dicken Anträgen wieder ins Schaufenster: Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, Ende des Kooperationsverbots in der Bildung, humane Arbeitszeiten in der digitalen Welt, Regeln für eine faire Globalisierung, eine bezahlbare Energiewende, die nicht zum Jobkiller werden darf. Aber was lässt sich davon noch umsetzen – jetzt, da die SPD in der Opposition sitzt, die Grünen das Ende der Braunkohle und die Liberalen mehr Freiheit für die Unternehmer wollen?

Entsprechend groß ist die Erwartungshaltung bei den 400 Delegierten in Hannover, die Merkel aber gleich dämpft. Leider könne sie mit Blick auf die nächste Woche anstehenden Sondierungsgespräche noch nicht zu viel verraten, da bitte sie um Verständnis. Wie geht es also weiter mit der Energiewende? Man habe die Förderung schon marktwirtschaftlicher organisiert, und wie es weitergehe, werde in der künftigen Koalition zu besprechen sein. Den Vorschlag von IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis, den Umbau der Energieversorgung stärker über Steuern zu finanzieren, kann die Kanzlerin nicht vorbehaltlos unterstützen. „Wenn ich die gesamten Steuervorschläge aus Ihrer Rede zusammenrechne, wird mir himmelangst“, sagt Merkel an die Adresse des Gewerkschaftsbosses.

Welche Zukunft hat die Autoindustrie, an der Hunderttausende Arbeitsplätze auch in der Chemie hängen? Da „müssen wir schauen, dass wir diesen wesentlichen Wirtschaftszweig auch gut in die Zukunft führen“, sagt die Kanzlerin. Zunächst gelte es, auf jeden Fall Fahrverbote zu vermeiden. Dieses Thema werde die möglichen Regierungspartner sicher „in große Diskussionen verstricken, sage ich mal voraus“.

Dann die Themen, die die Kanzlerin auch schon in der letzten Legislaturperiode umgetrieben haben. Viel zu tun gebe es weiter bei der Digitalisierung, die ebenso einschneidend sei wie die Erfindung der Druckmaschine. Von einem digitalen Bürgerportal, wie es etwa in Estland Standard sei, könne man in Deutschland nur träumen. Bei der Rente dürfe nicht vergessen werden, dass auch die SPD kein Konzept vorgelegt habe, das über das Jahr 2030 hinausgehe. Man werde deshalb in der neuen Regierung etwa darüber reden müssen, wie man bisher nicht abgesicherte Selbstständige einbeziehen könne.

Sehr zur Freude der versammelten Gewerkschafter gibt Merkel ein klares Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft ab. „Ich halte die Sozialpartnerschaft im 21. Jahrhundert für mindestens ebenso wichtig wie sie das in der Vergangenheit war. Und deshalb werde ich alles dafür tun, die Tarifbindung wieder zu stärken“, kündigt sie an – freilich ohne sich über den Weg dahin zu äußern. Den Sozialpartnerdialog in Meseberg würde sie auch an der Spitze der neuen Regierung gerne fortsetzen.


Lindner als Gewerkschaftsschreck?

Auch zur Bedeutung der Industrie bekennt sich die Kanzlerin eindeutig. Ohne sie könne Deutschland seinen Wohlstand nicht halten. Zuvor hatte IG-BCE-Chef Vassiliadis auf dem Bundeskongress vor einer „ideologisch verblendeten Politik“ gewarnt, die bereits Züge einer De-Industrialisierung in sich trage – eine klare Warnung vor allem an die Grünen, die nicht nur die Braunkohle, sondern auch den Verbrennungsmotor mit einem Enddatum versehen wollen. Bei der Debatte über die Zukunft der Autoindustrie dürften nun nicht die gleichen Fehler gemacht werden wie in der Energiepolitik: „jede Menge Regulierung, aber keine langfristige Strategie“, sagte der IG-BCE-Chef.

Vassiliadis sieht aber auch Chancen in der sich abzeichnenden Koalition. Vorrangiges Ziel müsse sein, „das Vertrauen in unsere Demokratie zu festigen“. Etwa in der Bildungspolitik könnte Jamaika neue Akzente setzen. Bei ihrem Auftritt vor vier Jahren hatte Merkel noch betont, sie halte es für müßig, alle Themen aufzuzählen, die die möglichen Koalitionspartner trennen. Viel lohnender sei es aber, den Wählerwillen umzusetzen und die Zukunft des Landes zu gestalten. Das, so die Kanzlerin am Donnerstag, erwarteten die Bürger auch heute.

Dass es dennoch nicht einfach wird, zeigt die anschließende Podiumsdiskussion. Merkel habe sich zwar zur Tarifbindung bekannt, aber nicht den Weg dahin aufgezeigt, kritisiert Trittin. Die erleichterte Allgemeinverbindlichkeit, die der Grüne vorschlägt, ist aber für die Union ein rotes Tuch. In der Autoindustrie mache es keinen Sinn, die Augen zu verschließen und zu hoffen, dass der Strukturwandel vorbeigeht. „Es geht darum, diesen Strukturwandel zu gestalten.“ Die aktuelle Krise sei Folge einer fehlgeleiteten Industriepolitik, die von der Annahme ausging, mit dem Dieselmotor den Weltmarkt aufrollen zu können. Dies könne man jetzt natürlich kleinräumig diskutieren und die Schließung eines Motorenwerks beklagen. Aber wenn in einem Ort ein Motorenwerk schließen müsse, profitiere vielleicht die Batteriefabrik woanders. Auch von einer Abkehr von der geförderten Energiewende will der Grüne nichts wissen. Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz seien Tausende Jobs etwa in der Windindustrie entstanden und man dürfe nun nicht Arbeitsplätze gegen Arbeitsplätze aufrechnen. „Wir haben eine gemeinsame Verantwortung: Wir wollen industrielle Arbeitsplätze in diesem Land erhalten“, sagt Trittin.

Viel Applaus von den Gewerkschaftern erhält die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kram-Karrenbauer, trotz ihres CDU-Parteibuchs. Man werde den Verbrennungsmotor noch für eine gewisse Zeit brauchen, betont die Regierungschefin, und wendet sich damit gegen ein konkretes Ausstiegsdatum. Und auch eine bezahlbare Energieversorgung mit Versorgungssicherheit für die Unternehmen sei ein wichtiger Standortfaktor, den man nicht aufs Spiel setzen dürfe. Applaus.

Etwas verspätet von einem Wahlkampfauftritt in Wien erscheint dann auch FDP-Chef Christian Lindner noch bei der IG-BCE – seinem zweiten Bundeskongress, wie er sagt, auch bei der Bildungsgewerkschaft GEW sei er schon mal zu Gast gewesen. Er lobt Vassiliadis für seinen „Charakter“ und seine „politische Kultur“. Denn anders als viele andere habe die IG BCE den Kontakt zur FDP nicht abgebrochen, als die Partei aus dem Bundestag geflogen sei, sondern sogar noch intensiviert.

In die Rolle des Gewerkschaftsschrecks will sich der Liberale nicht drängen lassen: „Wir bekennen uns zur Tarifautonomie und selbstverständlich muss das Wirtschaftsleben auch geordnet werden.“ So habe die FDP beim Mindestlohn immer das Modell eines regionalen Branchenmindestlohns vertreten, das auch die IG BCE einst befürwortet hatte. Natürlich gebe es aber auch Differenzen. Beim Thema Arbeitszeit wünsche er sich etwa, dass mehr in den Betrieben entschieden werde und weniger vom Gesetzgeber, sagt Lindner.

Und auch in der Energiepolitik ist es mit der Jamaika-Einigkeit dann doch noch nicht so weit her. Die künftige Bundesregierung müsse sich von einer Politik der Quoten und Verbote verabschieden, die zum Teil noch von Jürgen Trittin auf den Weg gebracht worden sei. „Wir müssen zur Vernunft kommen“, fordert Lindner, und das bedeute, nicht nur das ökologisch Wünschbare zu verfolgen, sondern auch das ökonomisch und technisch Machbare. Ob man da bei den Sondierungen zu einem Ergebnis komme sei offen. Denn eines sei klar: „Die Grünen wollen Skalps mitbringen.“ Und ein Skalp sei für sie ein festes Ausstiegsdatum.

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