Merkel, Seehofer und Schulz beim Bundespräsidenten Erzwingt Steinmeier heute die Koalition?

Bundespräsident Steinmeier lädt am Abend Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz zum Gespräch. Die Diskussion um eine neue Große Koalition kocht hoch. Was Spitzenpolitiker den Parteichefs mit auf den Weg geben.

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Am Abend lädt der Bundespräsident die Parteichefs zum Gespräch. Quelle: dpa

Berlin/München GroKo-Showdown im Schloss Bellevue: Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Chef Martin Schulz sind am Abend zum Gespräch bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geladen. Das Ringen um eine Neuauflage der Großen Koalition erreicht damit seinen vorläufigen Höhepunkt.

Nach dem Krach um die Zustimmung von CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt zur Verlängerung der Zulassung des Unkrautkillers Glyphosat auf EU-Ebene kocht die Diskussion schon vor dem Spitzentreffen hoch.

Während Schmidt in der „Passauer Neuen Presse“ seine Zustimmung zu Glyphosat nicht als „Zünglein an der Waage einer Großen Koalition“ sieht, hält der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Carsten Schneider die Bemühungen um eine Regierungszusammenarbeit durch den Alleingang für schwer belastet. „Was Herr Schmidt, der Landwirtschaftsminister, gemacht hat, war eine Verletzung des Grundgesetzes“, sagte Schneider im ARD-Morgenmagazin. Er habe die Richtlinienkompetenz von Kanzlerin Angela Merkel missachtet und sich über eine Weisung von Kanzleramtsminister Peter Altmaier hinweggesetzt. „Die Fliehkräfte in der Union sind extrem stark“, sagte Schneider und sprach auch die unklare Situation in der CSU an. „Das macht es schwer, belastbar in Verhandlungen zu gehen.“

Der neue Juso-Chef Kevin Kühnert fordert den SPD-Vorsitzenden Martin Schulz auf, einer Neuauflage der Großen Koalition eine klare Absage zu erteilen. Er erwarte, dass Schulz am Abend bei dem Gespräch auf den gültigen Beschluss der SPD hinweise, sagte Kühnert der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Und das bedeutet: Die SPD wird in keine Große Koalition gehen.“

Das habe der Parteivorstand so beschlossen und nach wie vor Bestand. „Allein der Parteitag in der kommenden Woche dürfte einen solchen Beschluss revidieren“, betonte Kühnert. Er sei davon überzeugt, dass die SPD die Große Koalition nicht wolle. Schulz müsse Merkel und Seehofer auffordern, die Möglichkeiten einer Minderheitsregierung auszuloten. „Da muss er auch den nötigen Druck aufbauen. Es ist nicht akzeptabel, wenn wir uns in eine GroKo drängen lassen, weil es für die Union am bequemsten ist.“

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht eine Minderheitsregierung dagegen weiterhin skeptisch. „Wir dürfen nicht riskieren, dass Deutschland am Ende handlungsunfähig wird, weil gar keine Mehrheiten mehr zustande kommen, oder weil man von den Stimmen der AfD abhängig wird“, sagte er. Den Alleingang von Schmidt in Brüssel nannte Maas „ziemlich dreist“. Er rief dazu auf, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Anwendung von Glyphosat in Deutschland dennoch zu verhindern, rief seine Partei aber zugleich zu Gelassenheit beim Ringen um eine Regierungsbildung auf.

„In alle Gespräche sollten wir mit Offenheit und Optimismus gehen. Wir brauchen vor nichts Angst zu haben – weder vor einer neuen Großen Koalition noch vor einer Minderheitsregierung oder Neuwahlen“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Das letzte Wort habe am Ende ohnehin die Parteibasis. „Und ich bin mir ganz sicher: Wir können unseren Mitgliedern vertrauen. Sie haben ein sehr gutes Gespür für den richtigen Weg.“

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) äußerte Verständnis für die Empörung der SPD über Schmidt. Sie könne verstehen, dass es in einer Regierung zu Diskussionen und Reaktionen komme, wenn ein Mitglied sich nicht an Absprachen halte, sagte sie dem Deutschlandfunk. Sie machte aber auch klar: „Ich halte nichts davon, dass jetzt öffentliche Satisfaktionen gefordert werden.“

„Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass dieser Konflikt beigelegt wird“, sagte Kramp-Karrenbauer, der eine besondere Nähe zu Kanzlerin Angela Merkel zugeschrieben wird. Das sei vor allem Aufgabe der betroffenen Minister Schmidt und Umweltministerin Barbara Hendricks. Eine Belastung der Kanzlerin durch den Vorgang sieht die CDU-Politikerin jedoch nicht.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) warb für eine Große Koalition. „Ich rate uns allen, die Suche nach einer tragfähigen Zusammenarbeit jetzt nicht mit öffentlichen Vorfestlegungen zu belasten“, sagte Gröhe der „Rheinischen Post“. Union und SPD hätten das Land in den vergangenen vier Jahren erfolgreich gestaltet. „Auch wenn eine Große Koalition kein Dauerzustand sein sollte, haben die großen Parteien eine besondere Verantwortung für das Land. Wir brauchen eine stabile Regierung.“ Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht warf den Sozialdemokraten einen Mangel an Strategie vor.


„Theoretisch könnte die SPD Merkels Schwäche ausnutzen“

Die SPD habe erst einen großkoalitionären Kuschelwahlkampf gemacht und dann nach der Wahl einer Großen Koalition eine Absage erteilt, sagte Wagenknecht der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Aber diese Kehrtwende war in keiner Weise verbunden mit einem personellen und inhaltlichen Neuanfang. Genau das wäre aber notwendig gewesen, um sich glaubwürdig von der Politik der Vergangenheit abzugrenzen.“

Unter dem Vorwand staatspolitischer Verantwortung bereiteten einige in der SPD jetzt ein erneutes Umfallen vor. „In gewisser Hinsicht ist das sogar konsequent, denn nur mit einer wirklichen Neuaufstellung und einer konsequenten Abkehr von der Agenda-Politik hätte ein Kurs auf Neuwahlen Sinn“, sagte Wagenknecht mit Blick auf die Agenda 2010. „Wenn dagegen die CDU wieder mit Merkel und die SPD mit dem alten Personal antritt, wird es spätestens nach der Wahl ohnehin wieder eine neue Große Koalition geben, dann kann man sie auch gleich machen.“ Die Chance auf eine sozialere Politik werde damit allerdings für weitere vier Jahre verschenkt.

Kanzlerin Angela Merkel sei in geschwächter Position. „Theoretisch könnte die SPD das ausnutzen, um zumindest einige wichtige soziale Verbesserungen durchzusetzen.“ Aber die SPD nehme unsichere Jobs und niedrige Löhne in Kauf. „Genau deshalb gibt es ja auch viele Überschneidungen mit der CDU.“

Auch die Gewerkschaften schalten sich um die Diskussion um eine Neuauflage der Großen Koalition ein. Verdi-Chef Frank Bsirske rief die SPD zu Koalitionsverhandlungen mit der Union auf. „Vielen Wählerinnen und Wählern wäre sicherlich nur schwer verständlich zu machen, wenn die SPD nicht ernsthaft sondieren würde, was sie in einer Koalition mit der Union an wichtigen Punkten realisieren kann“, sagte Bsirske der Online-Ausgabe der „Passauer Neuen Presse“.

„Natürlich muss in einer solchen Koalition die eigene Handschrift klar erkennbar sein“, sagte der Gewerkschaftschef. Sollte nach Jamaika auch Schwarz-Rot scheitern, müsse die SPD dennoch versuchen, eine stabile Regierung zu ermöglichen und dabei für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Als wichtigste Baustellen nannte Bsirske „die Rente, eine paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse, den gesetzlichen Mindestlohn und die Stärkung des Tarifsystems“.

Die Energie-Gewerkschaft IGBCE hat von Union und SPD „mehr Realismus“ in der Industrie- und Energiepolitik gefordert. In der neuen Legislaturperiode sei ein „Modernisierungsschub“ für die Energiewende notwendig, mit Investitionen in Stromspeicher und -leitungen, sagte der IGBCE-Chef Michael Vassiliadis, der Deutschen Presse-Agentur. „Für diese große Kraftanstrengung in der Klimapolitik bedarf es einer Großen Koalition der Vernunft. Dafür werden wir uns in den nächsten Wochen und Monaten mit Nachdruck einsetzen.“

„Im Fall einer Zusammenarbeit von Union und SPD setzen wir auf mehr Realismus in der Arbeits- Sozial-, Industrie-und Energiepolitik“, sagte Vassiliadis. „Die sogenannten "Kompromisse" aus den Jamaika-Sondierungen als Grundlage für die Gespräche der Volksparteien heranzuziehen ist allein deshalb absurd, weil sie aus Extremforderungen von Klientelparteien entstanden sind.“

Vor Gesprächen von Schwarz und Rot müsse alles zurück auf null gestellt werden. „Das gilt auch für die Herausnahme von Kohlekraftwerken aus der deutschen Energieversorgung. Die Idee wird nicht dadurch sinnvoller, dass dieser unausgewogene Vorschlag in den Sondierungen eine Rolle gespielt hat.“ Zehntausende Jobs, Deutschlands Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit sowie die weitere Erhöhung der Strompreise seien Argumente genug für einen „Reset“, den die Gewerkschaft von Union wie SPD erwarte. Bei den gescheiterten Jamaika-Sondierungen war die Energie- und Klimapolitik ein großes Streitthema.

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