Merkel und der Umweltschutz Klimakanzlerin a.D.?

Der einstigen Klimakanzlerin Merkel und ihrer Regierung ist jeder Ehrgeiz in der Klimapolitik abhandengekommen. Ein Grund: Ihre Partei ist einem alten Verständnis von Wirtschaft zugewandt. Und dann sind da noch die USA.

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Die Bundeskanzlerin im August 2007 am Eqi Gletscher bei Ilulissat in Grönland. Quelle: AP

Berlin Das Bild, das maßgeblich zu ihrem Ruf als Klimakanzlerin beitrug, es ist geblieben: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im roten Anorak am Eqi Gletscher bei Ilulissat in Grönland. 2007 war das – ein Jahr, in dem Deutschland durch eine doppelte Präsidentschaft international besonders im Fokus stand: der EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr und die Präsidentschaft der acht größten Volkswirtschaften (G8) inklusive des Gipfeltreffens in Heiligendamm. Dort rückte sie den Klimaschutz auf der Tagesordnung ganz nach oben. „Der Klimawandel hat das Potenzial, unsere natürlich Umwelt und die Weltwirtschaft schwer zu schädigen, und seine Bekämpfung ist eine der größten Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht.“ So steht es im Abschlussdokument.

Wie kaum ein zweiter Politiker von Gewicht stand Merkel einst für den Kampf zugunsten des Klimaschutzes – doch davon ist nach Meinung von Umweltexperten nicht viel geblieben.

Als einstige Umweltministerin hatte Merkel dem Thema stets einen hohen Stellenwert eingeräumt – auch als sie 2005 Kanzlerin wurde. „Man kann wohl darauf setzen, dass Angela Merkel sehr genau weiß, welche fundamentale Bedrohung der Klimawandel darstellt“, sagt Jan Kowalzig von der Hilfsorganisation Oxfam. Heute erodiere der Klimawandel vor allem in den armen Ländern des globalen Südens, zerstöre Ernten in schlimmen Dürren, überschwemme das Land und nehme den Menschen Hab und Gut – Konflikte, in die auch Deutschland und Europa direkt oder indirekt zunehmend hereingezogen würden, mahnte Kowalzig. Und mit fortschreitendem Klimawandel werde in Zukunft auch die reiche Welt des globalen Nordens immer stärker betroffen werden.

Merkel wisse das alles, so Kowalzig. Aber sie befinde sich mit ihrer Partei in einem Machtgefüge, das einem alten und eher konventionellen Verständnis von Wirtschaft zugewandt sei und dort auch seine Verbündeten habe. Das stehe oft dem Klimaschutz und einer modernen, nachhaltigen Form des Wirtschaftens entgegen. „Von der Klimakanzlerin von vor zehn Jahren ist nicht viel übrig geblieben“, urteilt der Umweltexperte.

Etwa die Hälfte des Rückgangs der Treibhausgasemissionen in Deutschland begründe sich weniger in aktiver Klimaschutzpolitik, als vielmehr in der Umstrukturierung der Wirtschaft in Ostdeutschland nach der Wende. Seither seien die Treibhausgase zwar weiter zurückgegangen, dies aber nur sehr moderat. Das 2007 gestecktes Ziel, die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, werde verfehlt. „Äußerungen oder gar Gegenmaßnahmen der Bundeskanzlerin: keine.“

Als Physikerin wisse die Kanzlerin, dass die Stabilität des Planeten bei ungebremstem Klimawandel auf dem Spiel stehe, sagt auch Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Entwicklungsorganisation Germanwatch. International habe Merkel an wichtigen Scheidewegen der Klimapolitik immer wieder eine zentrale Rolle gespielt. Als deutsche Umweltministerin und Präsidentin des ersten Klimagipfels 1995 in Berlin, sowie in Kyoto, war sie maßgeblich an der Kompromisssuche beteiligt.

Ihren Job in Berlin machte sie „glänzend: mit flüssigem Englisch, hartnäckiger Disziplin, diplomatischer Klugheit und beachtlichem Ehrgeiz“, erinnert sich Hans Joachim Schnellnhuber, einer der renommiertesten Klimaforscher weltweit und zeitweise persönlicher Klimaberater der Kanzlerin, in seinem Buch „Selbstverbrennung“.

Unter deutscher Präsidentschaft beschloss die EU 2007 ein 20 Prozent-Reduktionsziel für Treibhausgase. Im selben Jahr rang sie als G8-Präsidentin in Heiligendamm dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush das „Ja“ zum Zwei-Grad-Limit ab. Beim Gipfel der sieben wichtigsten Industrienationen 2015 in Elmau, setzte sie den Begriff der Dekarbonisierung auf die internationale Agenda.

Aber: „Das Klimaengagement der Kanzlerin ist ambivalent“, sagt Bals. „Sie beschwört international wirkmächtig, wie wichtig die Umsetzung der Klimaziele sind - in der EU greift sie zum Hörer, um die CO2-Standards für Autos zurückzustutzen und nimmt billigend in Kauf, dass Deutschland krachend das 40 Prozent-Reduktionsziel für 2020 verpasst. Sie stimmt die internationale Gemeinschaft auf Dekarbonisierung ein, aber in Deutschland traut sie sich nicht, einen klaren Fahrplan für den Kohleausstieg festzulegen.“


Merkel: „Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft“

Am heutigen Dienstag ist die Kanzlerin beim inzwischen traditionellen „Petersberger Klimadialog“ in Berlin aufgetreten, benannt nach dem ersten Dialog 2010 auf dem Petersberg nahe Bonn. Seit Montag beraten hier Minister und Vertreter aus 35 Staaten darüber, wie es auf dem Weg weitergeht, den globalen Temperaturanstieg im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu beschränken – und sogar Anstrengungen zu unternehmen, unter 1,5 Grad zu bleiben, um damit die schlimmsten Folgen der Erderwärmung zu verhindern. Dieses Ziel war beim Weltklimagipfel im Dezember 2015 in Paris vereinbart worden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte dabei gemeinsames Handeln der Weltgemeinschaft im Kampf gegen den Klimawandel an: „Wir sind verantwortlich füreinander. Wir haften füreinander. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft“, sagte sie. Sie lobte die Anstrengungen von China und Indien. Der Geist beim Beschluss des Weltklimavertrages von Paris müsse weiterleben. „Ich versuche also, auch Zweifler noch zu überzeugen. Dabei bleibt immer wieder Arbeit“, sagte Merkel am Ende ihrer Rede, ohne die USA einmal direkt zu erwähnen. Dies tat unmittelbar im Anschluss der Ministerpräsident der Fidschi-Inseln, Frank Bainimarama: „Wir haben einen Elefant im Saal. Und der ist die Unsicherheit über die Position der USA.“

US-Präsident Donald Trump hat bisher offengelassen, ob sein Land weiterhin Teil des Pariser Weltklimavertrags bleibt. Dies soll wohl noch vor dem Hamburger Gipfel der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) im Juli entschieden werden. Deutschland will das Thema Klimaschutz in der Abschlusserklärung zumindest indirekt etwa über die Förderung erneuerbarer Energien ansprechen.

„Der Pariser Klimagipfel war eine Sternstunde der internationalen Diplomatie und ein Meilenstein für den internationalen Klimaschutz“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zur Eröffnung des „Petersberger Klimadialogs“ am Montag. 145 Staaten haben laut Hendricks das Übereinkommen bereits ratifiziert, 169 Staaten nationale Klimaschutzbeiträge eingereicht. Zudem gebe es erste Staaten, die Langfriststrategien vorgelegt haben. „Ich freue mich und ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass Deutschland zu diesen Ländern gehört.“

Nur: Auf den Ende 2016 vorgelegten Klimaschutzplan 2050 kann sie eigentlich nicht wirklich stolz sein – nachdem ihre Kabinettskollegen, allen voran der damalige Wirtschaftsminister und Parteifreund Sigmar Gabriel an ihm herumgewerkelt hatten und die größten Streitpunkt wie den Ausstiegszeitpunkt aus der Kohle aus dem Papier gestrichen hatten. Innerhalb des Kabinetts führt Hendricks einen eher einsamen Kampf in Sachen Klimaschutz. Selbst die Opposition kritisiert weniger oft die Arbeit der Ministerin als die fehlenden Verbündeten im Kabinett, wenn Umweltthemen von der Realpolitik eingeholt werden.

Den Ausbau der erneuerbaren Energien hat die Große Koalition mit dem Segen der Kanzlerin durch Obergrenzen ausgebremst, kritisieren Umweltschützer. Gleichzeitig sei die derzeit betriebene Reform des Emissionshandels so zaghaft, dass auch bis nach 2030 kein investitionsweisendes Preissignal vom Emissionshandel ausgehen werde. Der Kohleausstieg werde verschleppt und statt den Betrieb von besonders klimaschädlichen Kraftwerken durch eine Sonderabgabe wirtschaftlich weniger attraktiv zu machen, bekämen Kraftwerksbetreiber nun Milliarden an Steuergeldern für die Vorhaltung der Kraftwerke als Reservekapazitäten. Heftig kritisiert Oxfam-Experte Kowalzig den „fortgesetzten Kniefall der Kanzlerin vor der Autoindustrie“ – obwohl der Verkehr der einzige Sektor ist, der seit 1990 keine Treibhausgase reduziert habe.

Als erstes Bundesland kündigte Berlin vergangene Woche an, bis 2030 aus der Kohlenutzung auszusteigen. Berlin solle eine „Modellstadt“ für Klimaschutz und Energiewende werden, sagte die frühere Klimaexpertin der Umweltschutzorganisation WWF und heutige Umweltsenatorin Regine Günther. Günther ist parteilos, war aber von den Grünen für den rot-rot-grünen Senat nominiert worden. In Berlin gibt es ein Braun- und drei Steinkohlekraftwerke.

„Wir müssen den Klimaschutz mainstreamen“, sagte Hendricks am Montag. „Wir müssen die Verknüpfung mit anderen, klassischen Politikbereichen vertiefen.“ Klimaschutz sei Sicherheitspolitik, Gesundheitspolitik, Arbeitsmarktpolitik und Finanzpolitik. Aber vor allem diene ein engagierter Klimaschutz dazu, „unsere Volkswirtschaften zukunftsfähig zu machen“. Hendricks betonte, dass in den nächsten 15 Jahren weltweit 95 Billionen US-Dollar in die Erneuerung und den Ausbau der Infrastruktur gesteckt werden müssten. Das zeigten Analysen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). „Nutzen wir dieses Geld, um Investitionen klimafreundlich zu machen.“ Dort, wo die Investitionszyklen lang seien, „brauchen wir Weitblick und politischen Mut“. Bislang allerdings klafft eine erhebliche Lücke zwischen den Ansprüchen und der tatsächlichen Bereitschaft, die Ziele engagiert anzugehen.

Wie geht es weiter? Nach der Bundestagswahl werde sich die neue Bundesregierung mit der Umsetzung des Klimaschutzplans 2050 beschäftigen müssen, fordern Umweltschützer. Top 1 auf der To-Do-Liste sei die sozialverträgliche Gestaltung eines Ausstiegs aus der klimaschädlichen Kohlekraft bis 2030 oder spätestens 2035. Bleibe Angela Merkel Kanzlerin, so Oxfam-Experte Kowalzig, werde sich vor allem an dieser Frage entscheiden, ob sie „zur Totengräberin des Pariser Klimaschutzabkommens oder zu seiner stärksten Agentin wird“.

Mit Material von Reuters.

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