Milliarden-Investition nötig Flaute im deutschen Bildungssystem

Demografie, Digitalisierung und Zuwanderung erfordern mehr denn je eine bessere Bildung. Dazu wären Zusatzausgaben von 12 Milliarden Euro pro Jahr notwendig, rechnet das IW vor. Doch die Bundesländer kommen kaum voran.

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Die Studie von IW und INSM fordert deutlich höhere Bildungsausgaben. Quelle: dpa

Berlin In den Jahren seit 2013 hat sich das deutsche Bildungswesen kaum noch verbessert. Zuvor waren die Qualitätssprünge pro Jahr viermal so hoch – unmittelbar nach dem Pisa-Schock Anfang des Jahrtausends sogar noch höher. „Jetzt ist die Dynamik erlahmt“, sagt Axel Plünnecke vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) bei der Vorstellung des neuen Bildungsmonitors.

Dieser misst in Zusammenarbeit mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) anhand von 12 Indikatoren die Qualität des Bildungswesens für alle Bundesländer – von der Kita bis zur Hochschule. An der Spitze liegen nach wie vor Sachsen, Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg – das Schlusslicht bildet Berlin.

Wie weit man in kurzer Zeit kommen kann, zeigt das Saarland: Das kleine Land brauchte nur vier Jahre, um sich von Platz 16 auf Platz 6 vorzuarbeiten. Der Einfluss der sozialen Herkunft auf den Schulerfolg der Kinder ist heute weit geringer, auch von den ausländischen Schülern erreichen viele das Abitur, nur wenige Schüler wiederholen eine Klasse. Daneben hat auch Hamburg Boden gut gemacht, etwa durch den konsequenten Ausbau der Ganztagsschulen.

Im Schnitt haben die Länder jedoch kaum zugelegt. Und es gibt bereits wieder Rückschritte: So hat sich etwa der Anteil der ausländischen Schulabgänger ohne Abschluss zwischen 2000 und 2012 deutschlandweit von 20 auf 10,7 Prozent nahezu halbiert. Bis 2015 stieg er aber wieder auf fast 12 Prozent.

Die Stagnation im Bildungswesen sei umso bedenklicher, als vor allem die Herausforderung durch die Demografie „gerade erst begonnen hat“, so Plünnecke. Dazu komme der nötige Kraftakt für die Integration der Zuwanderer und der heimischen Bildungsverlierer sowie die Digitalisierung.

Um den Nachwuchs entsprechend fit zu machen, müsse jährlich rund 12 Milliarden Euro zusätzlich ins Bildungswesen fließen, rechnet das IW vor. Dann komme die Republik auch endlich in die Nähe des Ziels, sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung auszugeben. Dieses hatten Kanzlerin Angela Merkel und die Länder schon 2008 auf dem Dresdner Bildungsgipfel ausgegeben – für 2015.

Heute müssten etwa statt der geplanten zusätzlichen 100.000 Kitaplätze doppelt so viele eingerichtet werden, so das IW. Allein das koste nach der Ausbauphase jährlich fünf Milliarden Euro. 3,5 Milliarden veranschlagt Plünnecke für die Integration der jungen Flüchtlinge von der Kita bis zur Hochschule. „Das ist sowohl gesellschaftspolitisch als auch ökonomisch sinnvoll“, verteidigt er diesen Posten und zeigte sich zugleich enttäuscht, dass dieses Thema in den Wahlprogrammen aller Parteien allenfalls eine Randnotiz darstelle.

2,7 Milliarden seien nötig, um mehr Ganztagsschulen zu schaffen. Diese gelten als die beste Schulform, um Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern besser zu fördern und Ausländer schnell zu integrieren. Daneben empfiehlt das IW einen viel stärkeren Qualitätswettbewerb zwischen den Schulen – damit diese voneinander lernen. Hier könne die Bundesrepublik viel von Kanada lernen. In die die richtige Richtung weise etwa das in Baden-Württemberg gestartete „strategische Schulcontrolling“.

Schließlich raten IW und INSM, für rund 0,8 Milliarden Euro jährlich 100.000 zusätzliche Studienplätze für Ausländer zu schaffen, um so qualifizierte Zuwanderer anzulocken. Das sei auch deshalb sinnvoll, weil sich aus dem Ausland kommende Studenten relativ gleichmäßig über Deutschland verteilten. Andere Zuwanderer hingegen gingen dorthin, wo es schon Familie oder viele Landsleute gebe, und konzentrierten sich daher zum Vorteil der dortigen Unternehmen etwa in Süddeutschland oder im Rhein/Main-Gebiet. Der Norden und vor allem der Osten habe so weit weniger gute Aussichten, qualifizierte Zuwanderer anzulocken. Aktuell sind von den insgesamt 2,8 Millionen Studenten knapp 360.000 Ausländer die dafür zugewandert sind. Die rund 90.000 Ausländer, die hier die Schule besucht haben, zählen nicht dazu.

Doch Geld allein ist nicht alles, meint auch Plünnecke. Er fordert „Schulfrieden“ von den Ländern, statt ewig über die Schulstrukturen und G8 versus G9 zu streiten, und das System erst in die eine und dann wieder in die andere Richtung zu lenken. Das sei Teil des Erfolgsrezeptes der Siegerländer im Bildungsmonitor: Sachsen und Thüringen haben über all die Jahre sowohl am zweigliedrigen Schulsystem als auch am achtjährigen Gymnasium festgehalten. „Damit haben sie hier keine Kraft verloren“, resümiert Plünnecke.

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