Mindestlohn Wie Arbeitgeber sich vor 8,50 Euro drücken

Ende Januar ist der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zum ersten Mal fällig. Doch manche Arbeitgeber versuchen, die Zahlung mit Hilfe anderer Leistungen zu umgehen - oder an der Uhr zu drehen.

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Fußbodenwischen dauert wie lange? Unrealistische Zeitvorgaben zählen zu den Tricks, mit denen schwarze Schafe Lohnzahlungen drücken wollen. Quelle: dpa

Stuttgart Ein Kinobesuch auf Kosten vom Chef? Nicht von jedem Arbeitgeber war das zuletzt eine nette Geste - sondern vielmehr der Versuch, den gesetzlichen Mindestlohn zu umgehen. Seit Januar gilt für Beschäftigte in Deutschland ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Ende des Monats wird er erstmals ausgezahlt. Einige Unternehmen wurden nach Beobachtung der Gewerkschaften bereits kreativ bei dem Versuch, die Vorschrift zu unterlaufen.

„Uns wurden Fälle gemeldet, bei denen der Mitarbeiter statt des Mindestlohns einen Gutschein bekommen sollte für einen Kinobesuch oder eine Karte für die Sauna und das Solarium“, sagt eine Sprecherin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der DGB hat wie auch das Arbeitsministerium eigens eine Hotline zu Fragen rund um das Thema eingerichtet.

„Die meisten, die bei uns anrufen, haben Informationsfragen. Es gibt aber auch etliche, die von Versuchen ihres Arbeitgebers berichten, den Mindestlohn zu umgehen.“ Ein anderes Beispiel sei das Trinkgeld, das der Wirt plötzlich damit verrechnen wolle. Das gehe aber nicht: „Trinkgeld ist immer on top.“

Schlupflöcher gibt es anscheinend aber genug: „Das Einfachste ist die unbezahlte Mehrarbeit“, gibt Arbeitsmarktexperte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu bedenken. Die halbe Stunde für Aufräumarbeiten nach der Schicht falle dann etwa hinten runter und die tatsächliche Arbeitszeit werde nicht berechnet.

Eine andere Möglichkeit sei es, Mitarbeitern direkt unrealistische Zeitvorgaben zu machen, sagt der Experte. Als Beispiel nannte er einen Flur, für den zwei Stunden Reinigungszeit veranschlagt würden - was in der Praxis aber gar nicht zu schaffen sei. Die Zeit, die es länger dauere, bekomme die Reinigungskraft dann nicht bezahlt.

Der gesetzliche Mindestlohn ist zum neuen Jahr bundesweit gestartet. Ausnahmen sind aber etwa Minderjährige oder auch Langzeitarbeitslose im ersten halben Jahr beim neuen Arbeitgeber. Zudem gelten Übergangsfristen für manche Branchen bis Ende 2017.

Dass es nicht zum Unterlaufen der Regeln kommt, soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die beim Zoll angesiedelt ist, überprüfen. Das Personal soll dazu um 1600 Stellen aufgestockt werden, allerdings müssen viele Beschäftigte erst ausgebildet werden, so dass die Kontrollen in vollem Umfang noch nicht überall möglich sind.


Selbstständig im Friseursalon?

Die Gewerkschaft Verdi warnt, dass gerade bei Minijobbern genau hingeschaut werden müsse. Sie stehen ihrem Chef durch den Mindestlohn häufig kürzer zur Verfügung als bisher, damit sie die Grenze von 450 Euro monatlich nicht überschreiten.

„Für Minijobber ergibt sich automatisch eine Höchstarbeitszeit“, sagt ein Sprecher. Hier sei die Dokumentation der Arbeitszeit vom Beschäftigten selbst wichtig. Arbeitgeber hatten zuletzt auf den hohen bürokratischen Aufwand hingewiesen, der für sie mit der Dokumentation verbunden sei.

Die Baubranche hat den Mindestlohn bereits seit Jahren, und die Gewerkschaft beobachtet auch dort noch immer so einige Verstöße - etwa bei ausländischen Anbietern, die nach Deutschland zum Arbeiten kommen und für die der Mindestlohn ebenfalls gilt. „Teilweise werden Busladungen von Menschen an die Gewerbeämter herangefahren, die sich als Selbstständige eintragen“, erläutert der Sprecher.

Selbstständige sind auch in anderen Branchen künftig vom Mindestlohn ausgenommen. Ein Beispiel für mögliche Umgehungsversuche ist DIW-Experte Brenke zufolge eine Friseuse, die im Salon künftig einen Platz anmieten und auf selbstständiger Basis arbeiten muss.

„Es wird vielleicht Personen geben, die unterm Strich nicht viel davon haben“, sagt Brenke. Nach Angaben des Arbeitsministeriums sollen knapp vier Millionen Menschen von der Neuregelung profitieren.

Unlautere Absichten weisen die Arbeitgeber von sich: Sie warfen den Gewerkschaften bereits vor Einführung des Mindestlohns Stimmungsmache vor. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer betonte in dem Zusammenhang, dass der Mindestlohn noch mit vielen Fragezeichen und Rechtsunsicherheiten verbunden sei.

Von Anfang an sei klar gewesen, dass dort, wo sich Arbeit zum Mindestlohn nicht mehr rechne, Alternativen gesucht würden oder Arbeitsplätze wegfielen, sagte er damals. „Wer Löhne festsetzt, ohne zu berücksichtigen, was Kunden für Produkte und Dienstleistungen zu zahlen bereit sind, darf sich darüber nicht wundern.“

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