Mindestlohn Zoff bis zum Schluss

8,50 Euro pro Stunde beträgt der gesetzliche Mindestlohn noch bis Ende des Jahres. An diesem Dienstag wird entschieden, wie viel mehr es dann ab 2017 sein darf. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Entscheidung.

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Bisher gibt es 8,50 Euro Mindestlohn. Doch der soll nun steigen. Unklar ist jedoch, wie hoch er ausfallen soll. Quelle: dpa

Die Mindestlohnkommission entscheidet über die Höhe der Lohnuntergrenze für 2017. Die Grundlage bildet der Tarifindex, er ist um 3,2 Prozent gestiegen. Gewerkschaften fordern einen Mindestlohn von 8,87 Euro. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wer entscheidet über die Anpassung?
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat aus ihrer Skepsis gegenüber einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn nie einen Hehl gemacht. Weil es aber zu viele „weiße Flecken“ in der Tariflandschaft gibt, ließ sie sich vom Koalitionspartner SPD überzeugen und machte mit. Doch die staatliche Lohnfindung soll ein einmaliger ordnungspolitischer Sündenfall bleiben.

Deshalb entscheidet über die Anpassung nun die unabhängige Mindestlohnkommission. Ihr gehören je drei Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter sowie der frühere RWE-Arbeitsdirektor Jan Zilius als Vorsitzender an. Zwei Wissenschaftler haben als beratende Mitglieder kein Stimmrecht. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) setzt die Entscheidung anschließend nur per Rechtsverordnung um.

Fakten zum Mindestlohn

Worüber gibt es Streit?
Nach dem Gesetz und ihrer eigenen Geschäftsordnung orientiert sich die Kommission daran,  wie sich die tariflichen Stundenentgelte in den 18 Monaten seit Inkrafttreten des Mindestlohns Anfang 2015 verändert haben. Der entsprechende Index des Statistischen Bundesamtes ist um 3,2 Prozent gestiegen. Der Mindestlohn müsste demnach um 27 Cent auf 8,77 Euro steigen. Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter streiten aber noch darüber, ob nicht zumindest der Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes noch einfließen müsste, der ab März 2016 Gehaltssteigerungen von 2,4 Prozent vorsieht.

Die Bundesstatistiker berücksichtigen in ihrem Index aber nur Abschlüsse, die tatsächlich schon ausgezahlt werden. Wegen der schleppenden Lohnbuchhaltung in den Städten und Gemeinden passiert das aber erst mit der Juli-Abrechnung. Inklusive des Abschlusses im öffentlichen Dienst würde der Mindestlohn um 33 Cent auf 8,83 Euro steigen. Die Gewerkschaften hatten zudem gefordert, auch den Abschluss der Metall- und Elektroindustrie noch einzubeziehen, obwohl der erst am 1. Juli in Kraft tritt und damit knapp außerhalb der Frist liegt. Würde auch er noch berücksichtigt, stiege der Mindestlohn um 37 Cent auf 8,87 Euro.

Der Mindestlohn schlägt zu – aber nicht überall
8,50 Euro stehen als große Aufsteller vor dem Bundeskanzleramt Quelle: dpa
Jemand trägt einen Tannenbaum Quelle: dpa
Ein Mann steht auf einer Leiter, die an einen Stapel aus Baumstämmen angelehnt ist Quelle: AP
Eine Frau trägt ein Tablett mit verschiedenen Biersorten Quelle: dpa
Ein großes Glas Bier im Vordergrund im Hintergrund der Berliner Fernsehturm "Alex" Quelle: dpa
Lastwagen eines Umzugsunternehmens vor der neuen Zentrale der EZB Quelle: dpa
Eine Friseurin frisiert eine Kundin Quelle: dpa

Von der Orientierung am Tariflohnindex kann die Kommission nur abweichen, „wenn besondere, gravierende Umstände aufgrund der Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung vorliegen“. Darüber muss das Gremium mit Zweidrittelmehrheit entscheiden; Arbeitgeber und Gewerkschafter sind also auf mindestens eine Stimme aus dem jeweils anderen Lager angewiesen. Bei der Entscheidung über die Anpassung muss die Kommission aber auch  einen „angemessenen Mindestschutz“ der Arbeitnehmer, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen und die Beschäftigungssicherung im Blick behalten.

Besteht Einigkeit über die Wirkungen des Mindestlohns?


Unbestritten ist, dass die Beschäftigung insgesamt und auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs trotz der Einführung des Mindestlohns weiter gestiegen sind. Das gilt auch in Branchen wie dem Gastgewerbe oder dem Handel, die besonders lautstark vor massenhaften Arbeitsplatzverlusten gewarnt haben.  Unbestritten ist auch, dass die Zahl der Minijobs gesunken ist. Zu einem nicht unerheblichen Teil wurden sie in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt. Niemand kann allerdings wissen, wie viele Arbeitsplätze neu geschaffen worden wären, wenn es die gesetzliche Lohnuntergrenze nicht gäbe.

Hier spüren Verbraucher den Mindestlohn

Auch ist unklar, wie der Arbeitsmarkt bei einer konjunkturellen Abkühlung reagieren wird. Die Arbeitgeber halten es deshalb für verfrüht, schon zum jetzigen Zeitpunkt eine umfassende Bewertung des Mindestlohngesetzes vorzunehmen. Die Gewerkschaften werden dagegen deutlich machen, dass die befürchteten Horrorszenarien von massenhaften Jobverlusten nicht Wirklichkeit geworden sind.  

Welche Effekte hat die Anhebung des Mindestlohns?
Wer im Alter eine Rente oberhalb der staatlichen Grundsicherung beziehen will, müsste nach Angaben des Arbeitsministeriums bei 38,5 Wochenstunden und 45 Beitragsjahren eigentlich mindestens 11,68 Euro verdienen. In der Antwort auf eine Anfrage der Linken gestand die Bundesregierung zudem kürzlich ein, dass die 8,50 Euro in vielen Ballungsräumen wegen hoher Mieten nicht zum Leben reichen.

Wo Mindestlöhne gelten
Die zwei-Millionen-AusnahmeFünf Millionen Menschen könnten vom gesetzliche Mindestlohn profitieren. Doch es gibt immer mehr Ausnahmen. Minijobber, Rentner, Schüler, Studenten und hinzuverdienende Arbeitslose sollen den Mindestlohn nicht bekommen. Nach einer Analyse der Böckler-Stiftung sind rund zwei Millionen Menschen davon betroffen. Das wäre weit mehr als ein Drittel der rund 5 Millionen Menschen in einem Arbeitsverhältnis, die derzeit für einen Stundenlohn unterhalb von 8,50 Euro arbeiten. In vielen Berufen in Deutschland gibt es bereits Mindestlöhne. Quelle: dpa
AbfallwirtschaftEin gesetzlicher Mindestlohn würde den staatlichen Haushalt entlasten, heißt es in einer aktuellen Studie des Forschungsunternehmens Prognos. Bei einer Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde könnte der Staat mit Mehreinnahmen von mehr als sieben Milliarden Euro im Jahr rechnen. Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten existiert in Deutschland bislang kein gesetzlicher Mindestlohn. Bislang wurde die Lohnuntergrenze nur in einigen Bereichen festgelegt. wiwo.de hat ermittelt, welche Mindestlöhne aktuell in Branchen gelten. Im Lohn-Mittelfeld liegen etwa die Mitarbeiter in der Abfallwirtschaft. Die Branche mit 175.000 Arbeitnehmern hat zurzeit einen Mindestlohn von 8,68 Euro. Quelle: ZBSP
BauhauptgewerbeRund 432.200 der Beschäftigten im westdeutschen Bauhauptgewerbe sind durch Mindestlöhne geschützt. Sie sind differenziert nach sogenannten Werkern (11,10 Euro) und Fachwerkern (13,95 Euro, Berlin: 13,80 Euro). Für die 128.000 Werker in den neuen Bundesländern beträgt der Mindestlohn 10,50 Euro. Die Mindestlöhne der westdeutschen Beschäftigtengruppe sollen ab dem 01. Januar 2015 auf 11,15 Euro (Werker) bzw. 14,20 Euro (Fachwerker) angehoben werden, in Ostdeutschland auf 10,75 Euro. Quelle: dpa
BergbauspezialistenDer Mindestlohn betrifft hier nur rund 2.500 Arbeitnehmer. Bei einfacheren Tätigkeiten gilt der Mindestlohn I in Höhe von 11,92 Euro. Bei Hauern und Facharbeitern gilt der Mindestlohn II in Höhe von 13,24. Quelle: dpa
DachdeckerhandwerkIm Westen und Osten galt bis jetzt für rund 71.900 Beschäftigte ein Mindestlohn von 11,55 Euro. Zum 1. Januar 2015 ist ein Anstieg auf 11,85 Euro geplant. Quelle: dpa
Elektrohandwerk (Montage)Betroffen sind rund 295.700 Beschäftigte, die bisher mindestens 10,00 Euro (Ostdeutschland inkl. Berlin: 9,10 Euro) erhalten mussten - zum 01. Januar 2015 wird dieses Limit auf 10,10 Euro (West) bzw. 9,35 Euro (Ost) angehoben. Quelle: dpa
GebäudereinigerhandwerkVon rund 700.000 Arbeitnehmern ist in der Branche nur etwa die Hälfte sozialversichert. Im Bereich Glas-, Fassaden- und Verkehrsanlagenreinigung beträgt der Mindestlohn aktuell 10,31 Euro in den neuen und 12,33 Euro in den alten Bundesländern. Ab dem 01. Januar 2015 sollen die Mindestlöhne auf 12,65 Euro (West) bzw. 10,63 Euro (Ost) angehoben werden. Im Segment der Innen- und Unterhaltsreinigung steigen die Mindestlöhne in den neuen Bundesländern von aktuell 7,96 Euro auf 8,21 Euro und von 9,31 Euro auf 9,55 Euro pro Stunde in den alten Bundesländern. Quelle: dpa

In München etwa bringt ein Vollzeitjob mit Mindestlohn 156 Euro weniger ein als der Staat einem Hartz-IV-Empfänger in der bayerischen Landeshauptstadt zubilligen würde. Gewerkschafter wie Verdi-Chef Frank Bsirske nutzen solche Zahlen für die Forderung, den Mindestlohn auf neun Euro anzuheben und dann „in schnellen Schritten in Richtung zehn Euro“ weiterzuentwickeln. Es könne nicht das Ziel sein, dass ein Beschäftigter sein Leben lang nur zum Mindestlohn arbeite, kontern die Arbeitgeber.

Bei beruflichem Aufstieg würden solche Rechenmodelle schnell obsolet. Die Wirtschaft treibt eher die Sorge um, dass mit der anstehenden Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns der Abstand zu tariflich ausgehandelten Entgelten im unteren Lohnsegment immer kleiner wird. Zögen die Tarifpartner nicht nach und erhöhten die Einstiegsentgelte, würde der Mindestlohn immer mehr tarifvertragliche Regelungen ersetzen und überflüssig machen, warnt der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands in Baden-Württemberg, Peer-Michael Dick: „Tarifbindung und Tarifautonomie wäre damit ein Bärendienst erwiesen.“        

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