Mit ALG Q ins Kanzleramt? Wie Schulz die Agenda 2010 korrigieren will

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Streit um ALG

Tatsächlich ist ein längeres ALG I umstritten. Bis zur 2005 gestarteten Hartz-IV-Reform hatten viele Ältere die bis dahin geltende Bezugsdauer von bis zu 32 Monaten als Möglichkeit eines vorgezogenen Ruhestandes genutzt. Unternehmen entledigten sich auf Kosten der Sozialkasse älterer Beschäftigter. Das kürzere ALG I und Hartz IV erhöhte den Druck auf Erwerbslose, auch unerwünschte Jobs anzunehmen. Kritik an einer ALG-Verlängerung übt nun der scheidende Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise.

Die Agenda 2010 blieb keineswegs starr. Bereits 2007 verlängerten Union und SPD das ALG I für Ältere ab 50. Ulrich Walwei vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA nannte die Verlängerung damals „süßes Gift“. Denn: „Wer einen längeren Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, ist meist auch länger arbeitslos“, erläutert der Vizechef des Instituts heute. 2007 wollte der damalige SPD-Vizekanzler Franz Müntefering die Verlängerung zuerst verhindern - sein Kompromissvorschlag: Diese an Qualifizierung zu knüpfen. Damals setzte er sich damit nicht durch.

Doch wem würde ein Arbeitslosengeld Q überhaupt etwas bringen? Die Opposition hat sich in der Agenda-2010-Debatte bisher kraftvoller auf Schulz eingeschossen, als es bei der Union den Anschein hat. Die Linke kritisiert, dass Schulz an Hartz IV nicht rütteln will. Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, einkommensschwache Kinderreiche, Migranten - die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer wirft der SPD vor, sich nicht um die zu kümmern, die es am Nötigsten hätten. „Die SPD hat vor allem ältere männliche Facharbeiter im Blick. Für die anderen Menschen sind die blind.“

Dass ein längerer ALG-I-Bezug vielen Menschen mit geringem Verdienst gar nicht so viel bringt, zeigen Zahlen der Bundesagentur: Sie kommen manchmal mit Hartz IV besser über die Runden als mit ALG I, das 60 Prozent des Nettolohns beträgt. Der durchschnittliche ALG-I-Betrag lag im November 2016 bei 992 Euro. Ein alleinstehender Hartz-IV-Bezieher bringt es derzeit im Monat auf 409 Euro. Samt der vom Jobcenter übernommenen Wohnkosten ist häufig der Abstand zum ALG 1 nicht mehr allzu groß. Mit Frau und einem Kind, kommt er - ohne Wohnkosten - sogar auf mehr als 1000 Euro.

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