Mitgliederschwund Gewerkschaften kämpfen um die Wende

Verdi und IG Metall wollen auf ihren Bundeskongressen an ihrer ‧politischen Strategie feilen. Wie geht es den Gewerkschaften eigentlich?

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Auszubildende waehrend eines Quelle: AP

Der Zeitplan steht: In dieser Woche reisen 1009 Delegierte der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nach Leipzig, um auf ihrem Bundeskongress die Leitlinien für die nächsten vier Jahre festzuzurren. Die Funktionäre wollen über 1000 Satzungs- und Strategie-Anträge abarbeiten und den Vorstand neu wählen. Drei Wochen später macht es in Karlsruhe die IG Metall den Verdi-Kollegen nach.

Mitgliederprobleme und anstehende Tarifrunden dürften bei den beiden größten deutschen Gewerkschaften zu heißen Debatten führen. Hinter den Alphatieren aber gibt es ordentlich Bewegung: Bei Verdi gehen mit Margret Mönig-Raane und Gerd Herzberg zwei Schwergewichte in Rente, die das Gesicht der Großgewerkschaft prägten.

Vorstand soll schrumpfen

Auch der für Banken und Versicherungen zuständige Vorstand Uwe Foullong dankt ab. Bei der IG Metall soll der geschäftsführende Vorstand nach dem Willen von Metaller-Chef Berthold Huber von sieben auf fünf Mitglieder schrumpfen, was intern für Zoff sorgt. Gehen sollen Wolfgang Rhode und das einzige CDU-Mitglied im Führungszirkel, Regina Görner. Ob die Delegierten dies durchwinken, ist ungewiss: Huber braucht für seinen Reformvorschlag eine Zweidrittelmehrheit.

Dennoch müssen weder Huber noch Verdi-Boss Frank Bsirske müssen um ihre Wiederwahl bangen.

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Zwar hat hat der jahrelange Mitgliederschwund tiefe Löcher in die Kasse von Verdi gerissen. Die Gewerkschaft, dessen Funktionärsriege bei der Gründung vor zehn Jahren grotesk überbesetzt war, stand zwischenzeitlich finanziell auf der Kippe. bsirske aber hat in bester kapitalistischer Manier die Belegschaft um über ein Drittel auf 3200 Stellen reduziert, "ohne betriebsbedingte Kündigungen", wie ein Sprecher versichert.

Der Einnahmen - traditionell kassieren Gewerkschaften von ihren Mitgliedern ein Prozent des Bruttoeinkommens - lagen 2010 bei 414 Millionen Euro und sollen 2011 stabil bleiben. Intern rechnet Verdi künftig mit härteren Tarifkämpfen und erhöht die Abführung an seine Streikfonds bis 2013 von sechs auf acht Prozent der Einnahmen. 2010 zahlte die Gewerkschaft 200 Millionen Euro an Streikgeldern aus.

Eine Stahlarbeiterin pustet am Quelle: dpa

Auch Berthold Huber muss sich keine Sorgen um seine Wiederwahl machen. Die IG Metall hat 2500 Mitarbeiter und damit (obgleich mitgliederstärker) weniger Personal als Verdi. Die Beitragseinnahmen lagen zuletzt bei 442 Millionen Eur; 36 Prozent davon kommen den 163 regionalen Dependancen zugute. Im Zuge einer Organisationsreform fallen in der Frankfurter Zentrale 125 von 550 Stellen weg; dafür werden jährlich weitere 20 Millionen Euro für Mitgliederwerbung und Basisarbeit vor Ort bereitgestellt.

20 Millionen für Mitgliederwerbung

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Auch wenn die Aufwands- und Ertragsrechnungen in den vergangenen Jahren immer im Minus abschloss - erst 2011 erwartet die IG Metall wieder ein Plus -, ist die Gewerkschaft nicht arm. Allein den Streikfonds schätzen Insider auf mindestens zwei Milliarden Euro. die Gewerkschaft muss auch in schlechten Jahren laut Satzung rund 15 Prozent der Einnahmen dorthin abführen.

Größtes Problem der Gewerkschaften bleibt nach wie vor der Mitgliederschwund: 2010 haben die DGB-Gewerkschaften noch einmal knapp 72.000 Mitglieder verloren. 2011 aber bahnt sich ein Turn-Around an. Der Rückgang ist mittlerweile vor allem auf Sterbefälle zurückzuführen, bei den aktiven Arbeitnehmern stabilisieren sich bei vielen Gewerkschaften die Zahlen. Verdi musste in der ersten Jahreshälfte 2011 nur noch ein kleines Minus von 0,5 Prozent hinnehmen, die IG Metall meldet erstmals seit 22 Jahren wieder steigende Mitgliederzahlen. Auch die bislang niedrige Zahl junger Gewerkschafter wächst.

Strukturelle Probleme

Strukturelle Probleme bleiben dennoch: Einem hohen Organisationsgrad in industriellen Großkonzernen - bei VW etwa sind mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter organisiert - stehen weiße Flecken in aufstrebenden neuen Branchen gegenüber, etwa in den Bereichen regenerative Energie, IT, Zeitarbeit oder bei Callcentern. Speziell Verdi, wo mehr als 1000 Berufe organisiert sind, muss sich zudem der wachsenden Konkurrenz druch Spartengewerkschaften erwehren, deren Klientel sich von der Massenorganisation nicht vertreten fühlt.

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