Mitgliederzahlen Grüne überholen FDP, Schwund bei der CDU

In einer Partei zu sein, wird für die Deutschen offenbar immer unattraktiver. In den vergangenen zwölf Monaten haben fast alle Mitglieder verloren, allen voran die CDU. Was sind die Gründe dafür?

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Welche Koalitionen im Bund denkbar sind
Große Koalition aus Union und SPDVorteile: technokratisches Regieren, krisenerprobt, sichere MehrheitNachteile: schmerzhaften Reformen eher abgeneigt, schwache Opposition ist kaum als Korrektiv geeignetWahrscheinlichkeit: groß Quelle: dpa
Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen Quelle: dpa
Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP Quelle: dapd
Bürgerliche Koalition aus Union und FDP Quelle: dapd
Schwarz-grüne Koalition aus Union und GrünenVorteile: verbindet Interessen von Ökonomie und ÖkologieNachteile: vereint Wähler mit unterschiedlichem Gesellschaftsbild, wenig Schnittmengen in der WirtschaftspolitikWahrscheinlichkeit: eher gering, weil beide Parteien zunächst andere Koalitionen ausloten Quelle: dpa
Rot-grüne Koalition aus SPD und Grünen Quelle: dpa
Rot-rot-grüne Koalition aus SPD, Grünen und LinkenVorteile: Rechnerische Mehrheit im linken Lager erreichbarNachteile: Linkspartei gilt im Westen als kaum koalitionsfähig, SPD und Linke konkurrieren und misstrauen sich, Peer Steinbrück kann überhaupt nicht mit der LinkenWahrscheinlichkeit: ausgeschlossen

Im anhaltenden Mitgliederschwund bei fast allen Bundestagsparteien sieht der Berliner Politologe Oskar Niedermayer kein Zeichen von Politikverdrossenheit. „Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten als früher, sich politisch zu engagieren“, sagte der Parteienforscher an der Freien Universität Berlin (FU) der Deutschen Presse-Agentur. Dem stünden aber nicht mehr Menschen gegenüber, die sich engagierten. „Viele Organisationen buhlen um dieselben Leute, darunter die Parteien.“ Mit Ausnahme der Grünen haben 2012 alle Bundestagsparteien Mitglieder verloren, am deutlichsten die CDU – fast 10.000 im Vergleich zum Vorjahr.

Für 2011 hat Niedermayer den auffälligen Schwund bereits genau analysiert und mit dem Stand zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung 1990 verglichen. Am stärksten traf es danach die Linke. Sie hatte - trotz des Zuwachses durch die Vereinigung von PDS und WASG - Ende 2011 über drei Viertel weniger Mitglieder als die PDS Ende 1990. Der SPD ging in diesem Zeitraum nahezu die Hälfte ihrer Mitglieder von der Fahne. Die FDP verlor nach Niedermayers Daten seit 1990 mehr als drei Fünftel ihrer Mitglieder. Bei der CDU waren es fast zwei Fünftel und bei der CSU annähernd ein Fünftel. Einzig die Grünen konnten ihre Mitgliederzahl seit 1990 steigern - um satte 43 Prozent.

Die Merkel-Macher

2012 haben sich die Trends bei Bundestagsparteien fortgesetzt. Die SPD ist mit rund 483.000 Mitgliedern (2011: 489.638) zur mitgliederstärksten Partei geworden. Dicht dahinter - und nicht mehr davor - liegt nun die CDU mit rund 480.000 Mitgliedern (2011: 489 896). Recht stabil mit nur leichten Verlusten präsentiert sich die CSU mit rund 150 000 (2011: 150.585). Dann kommt die Linke mit 65 000 (2011: 69.458). Der FDP liegen noch keine Zahlen fürs Gesamtjahr vor, aber bis Ende Juni war die Partei um rund 3.000 Mitglieder auf gut 60.000 geschrumpft (2011: 63.123). Einzig die Grünen machten kein Minus: Ihre Zahl blieb stabil - bei circa 60.000.

Die Steinbrück-Boys

„Der Mitgliederschwund ist nicht nur auf eine einzige Ursache zurückzuführen“, erklärte Niedermayer. Dahinter stecke auch ein längerfristiger Wandel der Gesellschaft. Bis in die 1960er Jahre hinein habe es noch soziale Milieus - zum Beispiel Arbeiter oder Katholiken - gegeben. Eine Bindung, die auch einen Eintritt in eine dazu passende Partei nahelegte. „Heute haben wir eine individualisierte Gesellschaft“, sagte Niedermayer. Die Zeiten, in denen eine Partei wie die SPD eine Million Mitglieder hatte, seien unwiederbringlich vorbei.

Piraten begeistern die Jugend

Wie das Einkommen das Wahlverhalten bestimmt
Die Anhänger dieser Partei würde wahrscheinlich diese Wahlkabinen nicht betreten - es ist die Partei der Nichtwähler. 18,5 Prozent der Nichtwähler verdienen weniger als 1.000 Euro pro Monat. Auch in der Einkommensgruppen über 2.500 pro Monat finden sich immer noch 26 Prozent der Nichtwählerpartei.Quelle: Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig Quelle: REUTERS
Die Linkspartei kommt nicht richtig bei den Armen an. Lediglich 6,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro - 30,8 Prozent der Linke-Wähler stehen hingegen mehr als 2.500 Euro zur Verfügung. Quelle: dpa
Anders als die Vermutung nahe legt, befindet sich auch die SPD bei den Personen, die weniger als 1.000 Euro verdient, klar in der Minderheit. Nur 6,1 Prozent der SPD-Wähler kommen aus dieser Schicht, während bei den Personen mit einem Einkommen von mehr als 2.500 Euro bereits 31,3-Prozent der Wähler stammt. Quelle: AP
Die Piratenpartei hat eine breite Basis an Anhängern. Sie überholt alle etablierten Parteien im Spektrum der Personen, die weniger als 1.000 Euro verdienen: Sie finden hier 10,8 Prozent ihrer Wähler. Und bei den großen Einkommen über 2.500 Euro vereinen die Freibeuter gleich 31,8 Prozent ihrer Wählerschaft. Quelle: dpa
Untentschlossene Wähler stammen zu 32,9 Prozent aus der Einkommensgruppe über 2.500 Euro. Sie sind auch in der Gruppe unter 1.000 Euro mit 11,4 Prozent vertreten. Quelle: ZB
31,8 Prozent der Wähler, die ihr Stimme der CDU/CSU geben, verdienen mehr als 2.500 Prozent. In der Einkommensgruppe von unter 1.000 Euro sind lediglich nur 5,7 Prozent der Wähler. Quelle: dpa/dpaweb
Gut in den allen Einkommensgruppen vertreten: Die Rechtsparteien. 15,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro; 35 Prozent mehr als 2.500 Euro. Quelle: dapd

Parteien müssten sich also darauf einstellen, mit weniger Mitgliedern auszukommen, urteilte der Politologe. „Trotzdem müssen sie versuchen, sie zu halten. Mitglieder sind das Standbein. Ohne sie verlieren Parteien ihre Verankerung in der Gesellschaft.“

Für Parteiverdrossenheit hält der Uni-Forscher die Entwicklung nicht. „Da sollte man vorsichtig sein, auch bei jungen Leuten“, sagte Niedermayer. „Nur zwei bis vier Prozent der Bevölkerung lehnen Bundestagsparteien komplett ab.“ Junge Leute seien heute nicht politikmüde, sie mieden eher feste Organisationsstrukturen. „Wer die Welt verbessern möchte, will im Ortsverband nicht mit Leuten über 50 über die Abwasserzweckverbandsabgabe diskutieren.“

Die Ex-Partner – beides Krisengewinner und Technokraten – unterscheiden sich vor allem in der Inszenierung ihrer Auftritte: Frau Schmallippig kämpft gegen Herrn Spitzzüngig.
von Henning Krumrey, Cordula Tutt, Max Haerder, Cornelia Schmergal

Die Jugend suche andere Stile: etwas, das kurzfristig greife, Spaß mache und ein sichtbares Ergebnis bringe. „Die Piraten zeigen, dass es möglich ist, junge Leute mit dem Thema Internet zu begeistern“, sagte Niedermayer. 20.000 stimmberechtigte Mitglieder haben die Piraten im Moment – allerdings bei nachlassender Begeisterung.

Große etablierte Parteien könnten ihren Mitgliederschwund vielleicht stoppen, wenn sie mehr Schnupperangebote und projektbezogenes Mitarbeiten möglich machten, regte Niedermayer an. Richtig schlechte Karten hätten zur Zeit nur Parteien wie die FDP. „Leute gehen nicht in eine Partei, die dauernd in Negativschlagzeilen ist. Man will nicht zu den Verlieren gehören“, sagte der FU-Forscher.

Umgekehrt funktioniere es bei den Grünen: Besonders seit Fukushima könnten sie mit ihrem Kernthema Atompolitik punkten – und neue Mitglieder anlocken.

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