Sechs Uhr morgens am 11. August 2016. Kevin Müller macht sich wie so oft von Berlin aus auf den Weg zu einem Kunden in Köln. Mittlerweile kann er zehn Minuten später das Haus verlassen, weil er mit dem Elektroauto im Berufsverkehr die Busspur nutzen darf. Es regnet in Strömen. Zum Glück steht der Elektro-Mini von DriveNow gleich um die Ecke. Mein Gott, im Kofferraum sieht es aus, als hätte der Vormieter Kompost transportiert. Egal, schließlich könnte sein Auto, das seit Wochen ungenutzt in der Garage steht, auch mal eine Grundreinigung brauchen.
Am Hauptbahnhof angekommen, wird Kevin sein Carsharing-Autos locker los. Die Stadt Berlin hatte jüngst 30 exklusive und, noch besser, kostenlose Parkplätze für Elektroautos reserviert.
Der ICE 3 fährt pünktlich ein, ist angenehm gekühlt, hat sogar heißen Kaffee an Bord und spuckt Kevin nur zwei Minuten zu spät in Köln aus. Schon auf Höhe Wuppertal organisierte Kevin eine Mitfahrgelegenheit mit der Uber-App per Smartphone. Der Fahrer sah auf dem Foto zwar etwas dusselig aus, war aber gut bewertet. Und tatsächlich: Er steht mit seinem Opel Adam in der Kurzparkzone am schicken Fernbusbahnhof und winkt Kevin zu. Mit der Fahrt in den Kölner Mediapark verdient er sich sieben Euro dazu. Steuerfrei.
So einfach funktioniert Reisen im Jahr 2016 – in einem schönen Traum. Hier kommt die Realität: Busspuren sind nur für Busse da, die Autos stehen im Stau, Parkplätze fehlen, und neue Dienstleister werden verboten. Die Städte wollen es nicht anders – zum Teil können sie auch nicht.
So wird der ÖPNV finanziert
Unterschieden wird dabei grundsätzlich zwischen Schienenpersonennahverkehr (SPNV), also den von den Eisenbahnunternehmen wie der Deutschen Bahn befahrenen Strecken. Und dem Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) zu dem neben den Buslinien auch die Straßen- und U-Bahnen zählen. Die Übersicht zeigt die wichtigsten Bausteine.
Quelle: Arbeitskreis Innovative Verkehrspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung
Der direkte Beitrag der Bürger ist der größte Baustein bei der Finanzierung des ÖPNV. Das meiste Geld wird dabei direkt über den Fahrkartenverkauf eingenommen. Hinzu kommen Erträge aus Werbe- und Pachteinnahmen. Der so eingenommen Betrag deckt oft aber nicht annähernd die tatsächlichen Kosten.
Viele ÖPNV-Nutzer zahlen für ihre Fahrkarte nicht den vollen Preis. Dazu zählen unter anderem Schüler, Studenten und Besitzer von Sozialtickets. Die Differenz übernimmt die öffentliche Hand.
Zusätzlich zu anderen Subventionen wir der ÖPNV auch steuerrechtlich begünstigt. So entfällt beispielsweise die Umsatzsteuer für Verkehrsverträge. Weil im Querverbund nichtversteuerte Gewinne aus lukrativen kommunalen Versorgungsunternehmen in den defizitären ÖPNV geschoben werden können, sparen die Kommunen so Steuern.
Für den Erhalt und Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs ist bislang der Bund in zentraler Verantwortung. Er investiert in die Infrastruktur der Deutschen Bahn. Vielfach müssen sich jedoch auch die Länder und Kommunen an den Ausbaukosten beteiligen.
Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz war über Jahrzehnte das wichtigste Fördermittel für den öffentlichen Straßenverkehr. Doch es wurde 2006 abgeschafft und durch das Entflechtungsgesetz abgelöst, das seinerseits 2019 ausläuft. Bereits 2014 läuft eine Zweckbindung für den Verkehr in Gemeinden aus.
Seit der Bahnreform haben die Länder die Verkehrsverbünde oder andere Aufgabenträgerorganisationen über Verkehrsverträge mit dem Betrieb des Schienenverkehrs beauftragt. Dafür erhalten die Länder vom Bund über das Regionalisierungsgesetz einen Teil der Mineralölsteuereinnahmen. Dazu kommen noch die Trassenpreise, die die Unternehmen für die Nutzung der Schienen verlangen.
Der ÖPNV auf der Straße, also Busse, Straßen- und U-Bahnen, ist Aufgabe der Kommune. Je nach Finanzsituation der Kommune schwankt auch die Unterstützung und das Angebot.
Die urbane Mobilität steht vor einem Umbruch. Immer mehr Menschen drängen in die Metropolen und verdichten den Verkehr. Die Folge: ein rücksichtsloses „Mir-gehört-die-Straße“. Gab es früher Geld vor allem für den Ausbau des Autoverkehrs, leiten es Verkehrsplaner heute auch in Radwege, Bus- und Bahnspuren. Autofahrern ist das schon zu viel, Radfahrern und Nahverkehrsbetrieben nicht genug. Start-ups nutzen Ortungsdienste auf Smartphones, um neue Dienste anzubieten. Sie rütteln tradierte Märkte auf, fordern Verwaltungen heraus, verwandeln Städte in Schauplätze eines Straßenkampfs um Flächen, Vorfahrt und Finanzen.
Kampf um Vorfahrt und Finanzen
Burkhard Horn beobachtet das Getümmel seit Jahren. Er leitet die Abteilung Verkehr der Senatsverwaltung in Berlin und kennt die Rivalität zwischen Autofahrern, Fußgängern, Radfahrern und den Busbetrieben. Der „Stadtentwicklungsplan Verkehr 2025 – nachhaltig unterwegs“ beschreibt auf Hochglanzpapier die heile Welt einer besseren und umweltfreundlichen Mobilität. Jeder sei dafür, sagt Horn. Doch wenn es an die Umsetzung konkreter Maßnahmen geht, „reißen häufig alte Grabenkämpfe wieder auf“.
Und neue Spieler kommen mit Start-ups hinzu: Carsharing, Bikesharing, Taxi-Alternativen, Fernbusse, Elektroroller. „Jeder beansprucht Platz und Privilegien für seine Ideen“, sagt Horn. „Das führt zu Konflikten.“
Hamburg steht still – wie jeden letzten Freitag im Monat. Mehr als 5000 Radfahrer fuhren vor wenigen Wochen im Pulk durch die Hansestadt und legten den Autoverkehr lahm – Rekord. Sie nutzen eine Regelung in der Straßenverkehrsordnung (StVO), die mehr als 15 Radfahrer als „geschlossenen Verband“, sprich: als ein Fahrzeug, definiert. Den Radlern, die sich über Facebook verabreden, gehe es um den „kreativen Straßenprotest“, sagt Teilnehmer Jonathan Ade.
Hamburg ist die deutsche Hauptstadt der „Critical Mass“-Bewegung, die ihren Ursprung 1992 in San Francisco fand. Radfahrer organisieren sich zum Widerstand „gegen eine verfehlte Verkehrspolitik“, sagt der 26-jährige Nautik-Student Ade. Radwege seien schlecht ausgebaut, Geld fehle. Hamburg hat einen besonders schlechten Ruf als Radler-Stadt. Dort hat sich die Teilnehmerzahl innerhalb eines Jahres verfünffacht. Nun schwappt die Welle der Frustrierten über: In einem Dutzend Städte sei man mit je mehr als 100 Teilnehmern aktiv, dokumentiert die Web-Seite itstartedwithafight.de.
Der Kampf um die Busspur
Kriegsrhetorik im Stadtverkehr – und es wird schlimmer. Noch im Sommer berät die Regierung über das Elektromobilitätsgesetz von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), das Städten ab 2015 die Option gibt, Parkplätze an Ladesäulen für Elektrofahrzeuge zu reservieren, kostenlose Parkplätze anzubieten und Busspuren zu öffnen. Fahrrad- und Taxi-Lobby sind empört. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) befürchtet, dass der Nahverkehr in seiner „Leistungsfähigkeit in nicht hinnehmbarer Weise benachteiligt“ werde, und warnt vor Trittbrettfahrern und Bussen aus dem Takt.
So wie in Norwegen, dem elektromobilen Vorreiter. Dort verstopfen die rund 27 500 Stromer in der Hauptstadt Oslo längst die Busspuren. Fahrer schimpfen, sie könnten ihre Zeitpläne nicht einhalten. Die Verwaltung erwägt Änderungen.
Der Kampf um die Busspur avanciert zum Symbol einer veränderten Mobilität in Städten. Wissenschaftler fordern eine Neubewertung der Infrastruktur. „Wir müssen die Flächen in den Städten tatsächlich umverteilen“, sagt Gerd-Axel Ahrens, Verkehrsexperte an der Technischen Universität Dresden. Eine Einschränkung des öffentlichen Nahverkehrs durch Freigabe der Busspuren „ist der falsche Ansatz“.
Dänische Verhältnisse
Stattdessen seien in den Sechziger- bis Achtzigerjahren Straßenkapazitäten gebaut worden, die heute oft zu groß seien. Radler könnten profitieren. „Sie gehören auf die Straße“, sagt Ahrens, „schon allein, weil dadurch das Unfallrisiko sinkt.“ Autofahrer übersähen sie meist beim Abbiegen, wenn Rad- und Fußweg kombiniert sind. „Abmarkierte Radwege auf der Straße sind die sinnvollste und sicherste Maßnahme, um dem wachsenden Radverkehr Rechnung zu tragen.“ Städte wie Hamburg testen Gemeinschaftsstraßen, die auf Schilder und Ampeln verzichten. Rücksicht zählt.
Doch die Umverteilung schürt Konflikte. In Dresden diskutieren Stadtpolitiker seit 1996, wem die vier Spuren auf der Königsbrücker Straße gehören, wo heute weniger Autos fahren als prognostiziert. Die Auto-Lobby will sie behalten, Radfahrer opponieren. Doch langsam verschieben sich die Machtverhältnisse auf den Magistralen. Auf der Warschauer Straße in Berlin mit täglich 40 000 Autos weicht eine Parkspur 2015 einem Radweg – trotz Anwohner-Protest. Dänische Verhältnisse könnten also irgendwann Realität werden: Die Fahrrad-Hochburg Kopenhagen eröffnete jüngst einen 190 Meter langen Rad-Highway, der zwei Bezirke über Wasser verbindet.
Längere Grünphase für Radfahrer
Auch die Ampelschaltung steht vor einer epochalen Weichenstellung. „Die Grünphasen müssen an die sich ändernden Verkehrsverhältnisse angepasst werden“, sagt Martin Schreiner, Leiter Strategie bei der Münchner Straßenverkehrsbehörde. Der Radverkehr in Bayerns Landeshauptstadt sei von 2000 bis 2012 „durch die Decke gegangen“ – ein Plus von 70 Prozent. München investiert zehn Millionen Euro pro Jahr – mehr als früher. „Trotzdem kommt es bei schönem Wetter an viel befahrenen Routen zu wahren Radlerstaus“, so Schreiner. Auch München schickt Radler auf die Straßen, was „in der Regel ein paar Sekunden mehr Grün für die Radler erfordert“.
Für viele Autofahrer ist das eine Horrorvorstellung. Der Hals dürfte bald weiter anschwellen. Berlin testet bereits die grüne Welle für Radfahrer. Auf der Belziger Straße im Schöneberger Kiez können Radler bei 17 km/h zwei Ampeln kreuzen. Doch es gibt Grenzen. Autofahrer orientierten sich am „Pulkführer“, so Planer Horn, Radler seien „unterschiedlich schnell“. Das mache eine grüne Radwelle schwierig. Zudem könnte sie die Beschleunigung von Tram und Bus konterkarieren.
Parkplatzsuche mit dem Smartphone
San Francisco steht still – und einige tun es gerne. Nutzer von MonkeyParking versteigern über die Smartphone-App öffentliche Parkplätze, indem sie diese so lange besetzen, bis der meistbietende Fahrer ankommt. Nutzer erzielen bis zu 25 Dollar pro Parkbucht. Die App war ein Hit in San Francisco, bis sie die Stadtbehörde verbot. MonkeyParking zog sich zurück – vorerst.
Carsharing verschärft Parkplatznot
Der Park-Disput in den USA könnte Vorbote für Deutschland sein. An Parkraum in Großstädten besteht Mangel, weil es zu viele Autos gibt und die Städte den öffentlichen Parkraum „nicht optimal bewirtschaften“, sagt Stefan Weigele, Partner der Strategieberatung Civity, die sich auf urbane Mobilitätsmärkte spezialisiert hat. Nun belegten auch noch Carsharing-Unternehmen wie DriveNow (BMW), Car2Go (Daimler) und Multicity (Citroën) die Straßen mit Autos, die Nutzer auf jedem öffentlichen Parkplatz abstellen dürfen. „Sie verstärken erst einmal den Parkdruck vor allem in Trendvierteln mit dichter Bebauung und knappen Flächen.“
Das Beraterteam um Weigele untersuchte das Konzept der Autokonzerne. Die Ergebnisse, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegen, sind ein Warnschuss für die Verwaltungen. „Die gegenwärtige Auslastung der Autos ist sehr gering, die lokale verkehrliche Relevanz vernachlässigbar“, sagt Weigele. Damit leisteten sie „heute keinen Beitrag zur Lösung von Verkehrsproblemen in Ballungsräumen“. Das flexible Carsharing, das Parken überall im Stadtgebiet erlaube, sei „im hohen Maß motorisierte Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich“. Es ersetze „das Fahrrad, den öffentlichen Verkehr und das Taxi“.
Carsharing wird kaum genutzt
Gleichwohl verschärfen die flexiblen Carsharing-Fahrzeuge den Ton in der Debatte um Parkraum. Sie seien „aktuell nahezu so ineffizient und flächenintensiv wie ein privater Pkw“, so Weigele. Ein Auto von DriveNow, Car2Go oder Multicity wird in Berlin im Schnitt pro Tag gerade mal eine Stunde bewegt, kaum mehr als ein Privatauto (siehe Grafik). „Die flexiblen Carsharing-Fahrzeuge sind in Wirklichkeit Stehzeuge“, sagt Weigele. „Aufgrund der globalen Expansionsperspektive und der vergleichsweise hohen Erlösstrukturen ergibt sich für die Konzerne trotzdem ein interessanter Milliardenmarkt“ (mehr dazu im kommenden Heft).
So teuer ist der ÖPNV in Deutschland
Die Preise für eine Fahrkarte schwanken in Deutschland stark, wie die folgende Übersicht zeigt. Angegeben sind je die Preise für den gesamten Verkehrsverbund. Weil sich die Verbünde unter anderem in Hinblick auf Größe, Taktfrequenz der Busse und Bahnen sowie Service-Angeboten unterscheiden, sind sie nur bedingt miteinander vergleichbar. Die Liste gibt aber einen Überblick über die Preisstrukturen des Nahverkehrs in Deutschlands Großstädten.
Quelle: Unternehmen / WiWo-Recherche / Stand Dezember 2014
Verbund: Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg VBB
Kurzstrecke: 1,60 Euro
Tageskarte: 7,40 Euro
Wochenticket: 36,50 Euro
Monatsticket. 98,50 Euro
Verbund: Hamburger Verkehrsverbund HVV
Kurzstrecke: 1,50 Euro
Tageskarte: 18,30 Euro
Wochenticket: 52,50 Euro
Monatsticket. 199,60 Euro
Verbund: Münchner Verkehrs- und Tarifverbund MVV
Kurzstrecke: 1,30 Euro
Tageskarte: 11,70 Euro
Wochenticket: 55,90 Euro
Monatsticket. 203,90 Euro
Verbund: Verkehrsverbund Rhein-Sieg
Kurzstrecke: 1,90 Euro wie bisher
Tageskarte: 24,40 Euro statt 23,80 Euro
Wochenticket: 65,90 Euro statt 64 Euro
Monatsticket. 247,40 Euro statt 240,20 Euro
Verbund: Verkehrsverbund Stuttgart VVS
Kurzstrecke: 1,20 Euro wie bisher
Tageskarte: 14,80 Euro statt 14,60 Euro
Wochenticket: 71 Euro statt 70,20 Euro
Monatsticket. 210 Euro statt 205,60 Euro
Verbund: Verkehrsverbund Rhein-Ruhr VRR
Kurzstrecke: 1,60 Euro statt 1,50 Euro
Tageskarte: 26,70 Euro statt 26 Euro
Wochenticket: 89,05 Euro statt 85,70 Euro
Monatsticket. 239,90 Euro statt 231,50 Euro
Verbund: Verkehrsverbund Rhein-Ruhr VRR
Kurzstrecke: 1,60 Euro statt 1,50 Euro
Tageskarte: 26,70 Euro statt 26 Euro
Wochenticket: 89,05 Euro statt 85,70 Euro
Monatsticket. 239,90 Euro statt 231,50 Euro
Verbund: Verkehrsverbund Rhein-Ruhr VRR
Kurzstrecke: 1,60 Euro statt 1,50 Euro
Tageskarte: 26,70 Euro statt 26 Euro
Wochenticket: 89,05 Euro statt 85,70 Euro
Monatsticket. 239,90 Euro statt 231,50 Euro
Verbund: Verkehrsverbund Oberelbe VVO
Kurzstrecke: -
Tageskarte: 13,50 Euro wie bisher
Wochenticket: 61,50 Euro statt 57,50 Euro
Monatsticket. 166,50 Euro statt 156 Euro
Verbund: Mitteldeutscher Verkehrsverbund MDV
Kurzstrecke: 1,80 Euro
Tageskarte: 16,60 Euro
Wochenticket: 86,40 Euro
Monatsticket. 258,60 Euro
Verbund: Großraum-Verkehr Hannover GVH
Kurzstrecke: 1,50 Euro wie bisher
Tageskarte: 8 Euro statt 7,70 Euro
Wochenticket: -
Monatsticket. 187 Euro statt 181 Euro
Verbund: Verkehrsverbund Großraum Nürnberg
Kurzstrecke: 1,80 Euro statt 1,70 Euro
Tageskarte: 18 Euro statt 17,50 Euro
Wochenticket: 83 Euro statt 80,50 Euro
Monatsticket. 255,50 Euro statt 247,80 Euro
Verbund: Verkehrsverbund Rhein-Ruhr VRR
Kurzstrecke: 1,60 Euro statt 1,50 Euro
Tageskarte: 26,70 Euro statt 26 Euro
Wochenticket: 89,05 Euro statt 85,70 Euro
Monatsticket. 239,90 Euro statt 231,50 Euro
Die Städte beobachten den Markt daher mit Skepsis. Trotzdem hoffen sie auf positive Impulse für urbane Mobilität – und die eigene Kasse. Sie vereinbaren mit den Unternehmen Park-Verträge: mal minutengenau, mal pauschal. So zahlen Car2Go, DriveNow und Multicity in Berlin pro Stunde ein bis drei Euro je nach Parkplatz. In München zahlen sie 1800 Euro pro Auto und Jahr. Der Vorteil für die Kommunen: „Die Unternehmen zahlen zuverlässig und pünktlich“, sagt Weigele, „eine Parkscheinkontrolle ist überflüssig.“
Privilegierte Parkbuchten haben keine Rechtsgrundlage
Doch das verschärft eher den Streit um knappe öffentliche Flächen. „Die Verwaltungen wollen die Carsharing-Unternehmen beim Parken gerne privilegieren“, sagt Experte Ahrens. Sie hoffen: Setzt sich das Teilen von Autos durch, verkaufen einige Haushalte ihr Auto. „Ein Carsharing-Platz kann sieben bis zehn Parkplätze ersetzen“, sagt Ahrens. „Doch die Straßenverkehrsordnung gibt eine Privilegierung des Carsharings nicht her.“ Öffentlicher Verkehrsraum darf nicht privatisiert werden.
Tun die Kommunen es doch, bewegen sie sich im rechtsfreien Raum – genauso wie bei Elektroautos, denen die Städte Ladesäulen auf exklusiven Parkflächen zur Verfügung stellen. Das dürfen sie per Verordnung, entschied das Oberlandesgericht Hamm. Jeder Verkehrsteilnehmer müsse sich an ein Parkschild für E-Autos halten. Gleichzeitig verwiesen die Richter aber darauf, dass privilegierte Parkbuchten für Elektroautos keine Rechtsgrundlage hätten. Parkraum gehöre allen Bewohnern.
Die Städte sind verunsichert. „Wir wünschen uns einen eindeutigen Rechtsrahmen, der uns erlaubt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen“, sagt der Berliner Verkehrsplaner Horn. „Hierzu müsste der Bund die Straßenverkehrsordnung anpassen und eine Privilegierung einzelner Verkehrsteilnehmer erlauben.“ Minister Dobrindt will das tun – zunächst aber nur für E-Autos. Die Privilegierung von Carsharing kommt später, wenn überhaupt.
Protest der Taxifahrer
Schon heute liegt beim Parkraummanagement einiges im Argen. So forderte der Hamburger Rechnungshof den Senat auf, mehr Politessen auf die Straße zu schicken, um unzulässiges Dauerparken zu beenden. Mehreinnahmen von bis zu 35 Millionen Euro seien möglich – pro Jahr! Ihnen helfen könnte wegeheld.de. Die Park-Petze im Web listet Autos auf, die Einfahrten und Wege versperren. Vor allem Radler laden Fotos hoch und melden Verstöße.
Berlin steht still. Rund 900 Taxifahrer blockierten an einem Juni-Tag den Verkehr, um gegen das US-Unternehmen Uber zu demonstrieren. So auch in Hamburg, London, Paris, Madrid und Mailand. „Wir lassen uns nicht vertreiben“, sagt Thomas Grätz, Chef des Deutschen Taxiverbandes.
Die regulierte Taxi-Branche ist in Aufruhr. Anbieter wie Uber und Wundercar vermitteln Hobbyfahrer als Chauffeure und kassieren dafür 20 bis 30 Prozent Vermittlungsgebühr. Die Unternehmen agieren im rechtlichen Graubereich. So gilt der Transport von Personen mit Kraftfahrzeugen, der nicht im Linienverkehr stattfindet, laut Personenbeförderungsgesetz (PBefG) als „Gelegenheitsverkehr“. Dazu zählen Taxi- und Mietwagenfahrten. Wer mit der Dienstleistung Geld verdient, „muss im Besitz einer Genehmigung sein“, heißt es im PBefG. Bei der Marke Uber Pop ist das nicht der Fall. Dort fahren Privatleute mit ihrem eigenen Pkw. Die Argumentation von Uber und Wundercar: Es gehe um den sozialen Aspekt. Bei Wundercar sei der Fahrpreis zudem eine Art Trinkgeld.
Städte sind gegen Uber
Die Unternehmen agieren daher weiter wie gehabt. Uber startete 2013 seinen Betrieb in Berlin und München. Vor wenigen Wochen folgten Frankfurt und Hamburg. „Wir wachsen weiter“, sagt Patrick Studener, der die Expansion verantwortet. „Jede deutsche Großstadt steht auf der Liste.“
Die Expansionsgelüste sorgen für Streit. „Wir prüfen, was rechtlich erlaubt ist und was nicht“, sagt Berlins Verkehrsplaner Horn. Grundsätzlich erwäge man, „die rechtlichen Vorgaben zur gewerblichen Personenbeförderung durchzusetzen“. Uber droht ein Verbot wie in Hamburg. Dagegen klagten die Amerikaner, nun entscheidet das Gericht. Wirtschaftssenator Frank Horch macht keinen Hehl aus seiner Abneigung. „Uber ist nicht innovativ, sondern unlauter“.
So teuer ist ein Monatsticket in Europas Städten
Monatsticket (Innenstadt): 44,7 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1,9 Prozent
Quelle: Aktuelles EMTA Barometer 2014 (Werte 2012)
Monatsticket (Innenstadt): 50,95 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1,9 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 77 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 3,3 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 104,8 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 4,3 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 52 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1,5 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 36,06 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 2 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 45,02 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 0,9 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 81 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1,3 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 58,9 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1,4 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 44 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 138,2 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 3,8 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 52,2 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1,6 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 84,5 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1,1 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 56,5 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 0,9 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 25,11 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 85,41 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 4,3 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 92,03 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 2 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 56,9 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1,1 Prozent
Monatsticket (Innenstadt): 22,06 Euro
Anteil am monatlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 1 Prozent
Rückendeckung für die Start-ups kommt aus Brüssel, nachdem ein belgisches Gericht Uber dort verboten hatte. „Diese Entscheidung schützt keine Passagiere, sondern das Taxi-Kartell“, twitterte EU-Digitalkommissarin Neelie Kroes.
Fernbus fernab des ÖPNV
Köln wartet. Rund 50 Reisende sind es an diesem Montagmorgen Mitte Juli. Studenten und Rentner drängeln sich auf einem dreieinhalb Meter breiten Gehweg neben der vierspurigen Gummersbacher Straße. Kein Wetterhäuschen, keine Sitzbänke, kein Kiosk, keine Toilette. Ein paar Schüler hocken mit dem Rücken an einem zwei Meter hohen Metallzaun. Schilder mit den Fahrplänen von Flixbus, ADAC Postbus, City2City und Meinfernbus markieren das trostlose Revier der Fernbusbetreiber.
Eigentlich erlebt Deutschland seit 2013 eine Mobilitätsrevolution. Fernbusse boomen und bieten preisbewussten Kunden Reisen zum Schnäppchenpreis an. Doch so wie in Köln sieht es auch anderswo aus: Gießen, Stuttgart, Kassel – verbannt und unbeliebt (siehe Grafik).
Der Frust sitzt tief bei den Unternehmen. „Die mangelnde Infrastruktur geht zulasten der Qualität“, sagt Torben Greve, Chef von Meinfernbus. Es gebe „gallische Dörfer“, die mit Fernbussen nichts zu tun haben wollten. Leider lägen sie an „neuralgischen Punkten“ ihrer Liniennetze.
Fernbusse als Chance für kleine Städte
Die Städte würgen Wachstum ab. Derzeit seien fünf Prozent der Deutschen mal mit einem Fernbus gefahren oder planen dies, schätzt Greve. Das Potenzial sieht er bei 60 Prozent. Die Fernbusse würden wie Billigflieger „nicht mehr verschwinden“.
Die Reaktion der Kommunen ist zwiegespalten: Kleinere Städte wie Konstanz, Ulm und Bad Harzburg, die von der Bahn vom Fernverkehr abgekoppelt werden, werben um die Gunst der Start-ups, sagen Branchenvertreter. Auch Großstädte wie Hamburg und München investierten in zentrale Omnibushalte (ZOB). In Hannover eröffnet im September ein neuer ZOB – doch an Samstagen könnte er schon zu klein sein.
Mal wieder geht es ums Geld. „Die Bundesregierung hat den Markt für Fernbusse liberalisiert, nun darf sie den Städten und Kommunen nicht Kosten und Verantwortung für den Fernverkehr aufbürden“, sagt Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Bahnhöfe würden auch vom Bund gefördert und von der Bahn betrieben. Einen Beitrag zur Finanzierung des Um- und Aufbaus von Haltestellen „könnte die Lkw-Maut leisten, die auf Fernbusse ausgedehnt werden sollte“.
Das Argument klingt logisch, doch Fernbusse befördern auch den Nahverkehr. Fahrgäste wollen per Straßen- oder S-Bahn direkt in den Bus umsteigen. In der Gummersbacher Straße in Köln liegt die U-Bahn-Station jedoch 650 Meter entfernt.
Grüne Zwangsbeglückung
Pankow steht still. Einen Monat lang im Jahr 2015 sollte der Berliner Bezirk mit 370 000 Einwohnern einen Teil seiner Straßen für Autos sperren – als Festival der Ökomobilität. Erlaubt wären Elektroautos, -busse und Räder. Auf einer Pressekonferenz wollte Jens-Holger Kirchner, grüner Stadtrat für Stadtentwicklung, diese Idee vorstellen, die aus Südkorea kommt. Einen Tag zuvor lud er wieder aus. SPD-Bezirksbürgermeister Matthias Köhne stemmte sich gegen „grüne Zwangsbeglückung“.
Pankow wirft ein schräges Licht auf die Arbeit der Bezirksverwaltung. Doch unkoordiniertes Wirrwarr bei der Verkehrspolitik gibt es oft. Mobilität sei „ein hoch emotionales Thema“, sagt ein Experte des Städtetages. Fachreferenten für Verkehrsplanung stritten mit Experten für Verkehrsregelung. Die einen halten Carsharing-Sonderflächen für ein Mittel gegen den Verkehrsinfarkt, die anderen für ein Problem.
Den Städten fehlt allein schon eine Lösung für den zunehmenden Lieferverkehr, der etwa durch Online-Handel entsteht. Vereinzelt laufen Pilotprojekte, Waren am Stadtrand zu sammeln und Routen zu bündeln. Doch laut Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services sind die Ergebnisse ernüchternd: „Die Floprate ist hoch: Von den 46 City-Logistik-Projekten der vergangenen 20 Jahre, werden nur noch acht aktiv betrieben“, heißt es in der Studie. Zustellfirmen drohen in der Diskussion um privilegierte Straßen- und Flächennutzung unberücksichtigt zu bleiben.
Gesamtkonzepte gibt es nicht. „Viel zu zersplittert ist die Aufgabenteilung im Mobilitätsbereich“, sagt Berater Weigele. Selten lägen Zuständigkeiten für Nahverkehr, Parkraummanagement, Radwege und City-Logistik zusammen. Folge: halbherzige Lösungen ohne durchschlagenden Erfolg und eine Zunahme der Probleme. „Wachsende Metropolen brauchen einen Masterplan Mobilität und eine grundlegende Reorganisation der Zuständigkeiten.“
Paradebeispiel London
„London macht vor, wie es geht“, sagt Weigele. Die Behörde „Transport for London“ (TFL) koordiniert den gesamten Verkehr in der britischen Hauptstadt – von U-Bahn über Straßen bis hin zu Radwegen und Taxis. Seit 2003 treibt TFL auch eine City-Maut ein. Die knapp 300 Millionen Euro Einnahmen pro Jahr investiert TFL in Verkehrswege. „Eigenes Budget und straffe Struktur schaffen Effizienz in der Planung von sinnvollen Verkehrsprojekten.“
Auch die Politik fordert die City-Maut. „Kommunen sollten die Möglichkeit bekommen, eine City-Maut einzuführen“, sagt Matthias Gastel, grüner Nahverkehrsexperte und Bundestagsabgeordneter. Der Bund müsste dafür das Straßenverkehrsgesetz ändern, weil Bundesstraßen durch Städte führen. Doch Dobrindt lehnt ab. Sollte er die Pkw-Maut auf Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen durchbekommen, wäre eine City-Maut ohnehin politisch tot. EU-Recht verbietet doppelte Maut auf Straßen. Das ärgert die EU-Kommission, die für die Möglichkeit „städtischer Straßenbenutzungsgebühren“ wirbt.
Städte erhoffen sich nun anderswo Freiheiten. Laut StvO gilt in Städten Tempo 50 als Richtschnur. „Abseits von bereits bestehenden 30er-Zonen können wir nur in Ausnahmen, etwa bei Gefahrenstellen, die Höchstgeschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde drosseln“, sagt Städtetag-Chef Articus, etwa nahe Schulen, Kindergärten und Einkaufszentren. „Um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, wäre Tempo 30 in Wohngebieten generell sinnvoll. Die Städte sollten selbst entscheiden können, welche Straßen zu Wohngebieten gehören und welche Vorfahrts- und Hauptstraßen sind.“
Inzwischen versucht die Bezirksverwaltung Pankow einen neuen Anlauf mit dem autofreien Monat – wenn auch auf weniger Straßen, sagt Organisator René Waßmer. Sollte es am Ende doch nicht klappen, will er es anderswo probieren. „Das Interesse ist vorhanden“, so Waßmer. „Mobilität verändert sich – einige Städte tun es auch.“