Modellberechnungen Nur 60.000 Aufstocker brauchen dank Mindestlohn keine Grundsicherung mehr

1,3 Millionen Menschen in Deutschland bekommen Hartz IV, obwohl sie arbeiten – das Geld reicht einfach nicht aus. Doch der geplante Mindestlohn wird wohl nur einen Bruchteil der Menschen aus dieser Situation befreien.

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Eine Gebäudereinigerin einer deutschen Putzfirma: Der Mindestlohn bringt Aufstockern nur einen monatlichen Einkommensanstieg von zehn bis zwölf Euro. Quelle: dpa

Berlin Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro wird wohl nur einen Bruchteil der rund 1,3 Millionen erwerbstätigen Bezieher von Hartz IV aus der Abhängigkeit von staatlichen Hilfen führen. Nach Modellberechnungen des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit werden nur etwa 60.000 der sogenannten Aufstocker durch den ab 2015 geplanten Mindestlohn nicht mehr auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sein. Das ist weniger als jeder Zwanzigste, wie aus der am Mittwoch veröffentlichten Studie hervorgeht. Auch der Anstieg des monatlichen Einkommens sei mit zehn bis zwölf Euro gering. Dies liege unter anderem daran, dass Einkommen oberhalb von 100 Euro zu 80 Prozent mit dem Anspruch auf Arbeitslosengeld II verrechnet werde.

Für den Staat ergibt sich nach der Simulation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dagegen eine gesamtfiskalische Entlastung zwischen 2,2 und gut 3 Milliarden Euro. Steuer- und Sozialkassen profitieren demnach von einem höherem Erwerbseinkommen der Aufstocker, während die Einnahmen aus Steuern von Arbeitgebern geringer werden.

Im November 2013 waren nach letzten verfügbaren Zahlen der Bundesagentur 1,303 Millionen Hartz-IV-Bezieher erwerbstätig. Davon war aber nur jeder Sechste in Vollzeit beschäftigt. Fast vier Fünftel (77 Prozent) der Aufstocker arbeiten laut IAB weniger als 32 Stunden in der Woche. Das geringe Arbeitsvolumen sei ein Grund, warum der Mindestlohn nur für Wenige das Ende von Hartz IV bedeute, obwohl der durchschnittliche Stundenlohn von Aufstockern 6,20 Euro betrage. Ein weiterer Grund sei die Haushaltsgröße: Vielfach reiche der Alleinverdienst eines Arbeitnehmers mit Hartz-IV-Unterstützung nicht für den Rest der Familie raus.

„Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Höhe von 8,50 Euro hat für die Aufstocker kurzfristig eher geringe Auswirkungen – sowohl in Bezug auf das verfügbare Einkommen als auch auf den Ausstieg aus dem Leistungsbezug“, heißt es in der Studie. Die IAB-Berechnungen beruhen auf Modellannahmen. Diese gehen unter anderem davon aus, dass sich durch den Mindestlohn weder die Arbeitskräftenachfrage noch das Arbeitsangebot verringern. Verschiedene Arbeitsmarktforscher gehen allerdings davon aus, dass der Mindestlohn zu Stellenabbau führen wird, der auch Aufstocker beträfe. Andere Experten bezweifeln, dass es nennenswerte negative Effekte geben wird.

Der gesetzliche Mindestlohn ist das Kernvorhaben der SPD. Sie hatte im Bundestagswahlkampf damit geworben, dass dadurch auch die Ausgaben für Aufstocker in Höhe von jährlich über zehn Milliarden Euro deutlich verringert würden. „Ein gesetzlicher Mindestlohn ist ökonomisch richtig, weil er (...) Euch und viele andere von diesem irrwitzigen Betrag von zehn Milliarden Aufstockermitteln entlastet“, sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf dem Wahlparteitag im April 2013. Das IAB rechnet indes damit, dass die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II durch den Mindestlohn allenfalls um 700 bis 900 Millionen Euro jährlich sinken. Durch Mehrausgaben für Wohngeld und Kinderzuschlag falle der Einspareffekt noch geringer aus.

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