Noch vor einem Jahr wurden die Parteichefs der AfD belächelt, wenn sie sagten, dass sie eine kleine Volkspartei anführen würden. Mittlerweile hat sich die Lage grundlegend geändert. Bei den drei Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt im Frühjahr war die AfD der große Gewinner. In den Magdeburger Landtag zog die Partei gar mit über 24 Prozent der Wählerstimmen ein, was sie dort zur zweitstärksten Kraft macht.
Am kommenden Sonntag könnte die Partei erneut triumphieren, wenn in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wird. In den Umfragen liegt die Partei derzeit an zweiter Stelle – vor der Union und nur einige Punkte hinter der SPD. Dass die AfD die Sozialdemokraten hinter sich lassen kann, haben wir in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt bereits erlebt. Dass sie nun aber auch die CDU überholen könnte, löst bei vielen Christdemokraten schlichtweg Panik aus.
Die Sprüche der AfD
Ob Flüchtlingspolitik oder Fußball - mit markigen Sprüchen sorgen führende AfD-Politiker immer wieder für Kopfschütteln und Empörung, wie jetzt die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch. Einige Zitate.
Quelle: dpa
„Das ist ungefähr so, als würden Sie mit Plastikeimern einen Tsunami stoppen wollen.“ (Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen am 24. Oktober 2015 bei einem Landesparteitag in Baden-Württemberg über die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise)
„Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“ (Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke am 21. November 2015 in einem Vortrag über Asylbewerber aus Afrika)
„Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen. (...) Es gibt keinen Grund, mit Gewalt unsere Grenze zu überqueren.“ (Die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch Ende Januar 2016 auf ihrer Facebook-Seite über Flüchtlinge)
„Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.“ (Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry in einem Interview des „Mannheimer Morgen“ vom 30. Januar 2016. Angesichts des Flüchtlingszustroms forderte sie im Notfall auch den Einsatz von Schusswaffen.)
„Wir müssen die Grenzen dichtmachen und dann die grausamen Bilder aushalten. Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.“ (Gauland am 24. Februar 2016 im Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“ über Flüchtlinge)
„Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ (Gauland in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 29. Mai 2016 über Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng)
„Eine deutsche oder eine englische Fußballnationalmannschaft sind schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne.“ (Der AfD-Bundesvize Alexander Gauland am 3. Juni 2016 im „Spiegel“)
Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der Technischen Universität in Dresden spricht von eines der am „leichtesten erklärbaren Debakel unserer etablierten Parteien“. Wenn die AfD im Nordosten und eine Woche später im Stadtstaat Berlin erfolgreich sein sollte, wäre sie in allen ostdeutschen Landesparlamenten vertreten und hätte sich als demokratisch legitimierte Partei rechts von der Union etabliert. „Das ist nicht gerade ein Meisterwerk innenpolitischer Führungskunst der CDU-Vorsitzenden“, urteilt Patzelt.
Im Sommer vor einem Jahr schien die Alternative für Deutschland nach einem langen Führungsstreit, der zur Spaltung führte, bereits erledigt zu sein. In den bundesweiten Umfragen lag die Partei damals zwischen zwei und vier Prozent, also deutlich unter der Fünf-Prozenthürde. Dann erreichten immer mehr Flüchtlinge Deutschland und die Bundeskanzlerin entschied sich für eine Politik der offenen Grenzen, Flüchtlinge und Migranten wurden nicht zurückgewiesen.
Diese politische Gemengelage war der ideale Nährboden für die AfD. Zwar hat auch die CSU eine Obergrenze für Flüchtlinge und eine insgesamt restriktivere Flüchtlingspolitik gefordert. Doch die Christsozialen sind auf Bayern beschränkt. Und die AfD überbietet die CSU oftmals noch in ihren Forderungen und wird daher als tatsächliche Alternative zu den etablierten Parteien in Punkto Flüchtlingspolitik wahrgenommen.
Zwar hat Merkel mit Hilfe der Türkei die Flüchtlingszahlen deutlich reduzieren können, die anfängliche Euphorie, die sich unter dem Stichwort Willkommenskultur zusammenfassen lässt, ist aber längst verflogen – auch bei der Kanzlerin. Doch kann sie sich nach Ansicht Patzelts nicht von ihrer eigenen Politik verabschieden. „Wenn sich die Kanzlerin weitgehend von ihrer Flüchtlingspolitik distanzierte, bekäme sie ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem. Wer ihre Politik verteidigte, fühlte sich verraten; und wer jetzt zur AfD neigt, glaubt Merkel ohnehin nicht mehr. Die CDU-Vorsitzende kann also jetzt nicht mehr zurück. Sie hat sich in eine Falle begeben“, sagt der Politikwissenschaftler.
Die AfD dürfte einen Anti-Merkel-Wahlkampf im Bund planen
Patzelt ist überzeugt, dass sich die AfD wohl nur noch selbst besiegen kann. „Die CDU war so arrogant zu glauben, dass sich rechts neben ihr langfristig keine Partei halten könne.“ Doch die meisten Mitglieder und Wähler der AfD seien eben keine Nazis. „Und deshalb ist die traditionelle Ausgrenzungsstrategie gescheitert“, sagt Patzelt.
Doch wie könnte sich die Partei „selbst besiegen“? Immerhin scheint die politische Grundregel, eine zerstrittene Partei kann keine Wahl gewinnen, außer Kraft gesetzt zu sein. Der Streit in der Führungsspitze schadet der AfD seit Monaten nicht. Die Vorsitzenden Frauke Petry und Jörg Meuthen können wenig miteinander anfangen und zeigen das auch in aller Öffentlichkeit. In den Umfragen bleibt die AfD aber stabil.
Die Christdemokraten werden nur dann Wähler von der AfD zurückgewinnen können, wenn sie sich programmatisch anders aufstellen, glaubt Patzelt. „Die Union sollte versuchen, im rechten Lager die intellektuelle Hegemonie neu zu erringen. Dafür müsste sie Patriotismus als Integrationsmittel einer Einwanderungsgesellschaft pflegen und beispielsweise als Motto ausgeben: Aus zugewanderten Syrern sollen syrische Deutsche werden - spätestens in der zweiten Generation“, erklärt Patzelt. Die Partei solle sich auch überlegen, ob die doppelte Staatsbürgerschaft diesem Ziel eher nützt oder eher schadet. „Dann hat sie eine gewisse Chance, jetzige AfD-Wähler wieder an sich zu binden“, sagt Patzelt.
Für Kanzlerin Merkel bedeutet der wahrscheinliche AfD-Wahlerfolg in Mecklenburg-Vorpommern, dass der Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr deutlich steiniger wird als in den Jahren 2013 und 2009. „Wenn sie wieder antritt, wird das ein sehr schwieriger Wahlkampf für sie“, sagt Patzelt. Vor einem Jahr galt Merkel noch als unangreifbar, mittlerweile ist aber der Verdruss über die eigene Kanzlerin in der Union deutlich zu spüren. „Und die AfD ruft jetzt schon: Merkel muss weg", sagt Patzelt. Der kommende Sonntag wird Merkels Konkurrenz von rechts in ihrer Meinung weiter bestärken.