Mögliches Diesel-Verbot „Verbrenner und Elektrofahrzeug sind keine Gegner“

Die Autoindustrie hat die Auswirkungen eines Zulassungsverbots von Verbrennern untersuchen lassen. Mehr als 600.000 Arbeitsplätze hängen an der Technik, sagen Ifo-Ökonomen – und raten zu einem Wettbewerb der Technologien.

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Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir bezeichnet den fossilen Verbrennungsmotor als „klares Auslaufmodell auf dem Weltmarkt“. Quelle: dpa

Berlin Die Automobilbranche wehrt sich gegen die Attacken auf den Verbrennungsmotor: Ein Zulassungsverbot für Verbrennungsmotoren ab 2030 könnte deutliche Einbußen für Beschäftigung und Wertschöpfung am Standort Deutschland zur Folge haben. Mehr als 600.000 der heutigen Industriearbeitsplätze wären direkt oder indirekt betroffen – zehn Prozent der deutschen Industriebeschäftigung. Darauf weist eine Studie des Ifo-Instituts im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie (VDA) hin. Allein in der Autoindustrie wären 436.000 Jobs gefährdet, davon 130.000 bei kleineren und mittleren Unternehmen. „Den Verbrenner politisch abzuschalten hielten wir für einen schweren strategischen Fehler“, sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann am Dienstag in Berlin.

Die deutsche Automobilindustrie verfolge das Ziel, „die ganze Bandbreite der Antriebstechnologien noch effizienter zu machen“. Der hocheffiziente Verbrenner, künftig vielleicht auch auf Basis regenerativ hergestellter Kraftstoffe, und das Elektrofahrzeug „sind keine Gegner“. Nach Meinung des VDA seien sowohl der Verbrenner als auch das Elektrofahrzeug notwendig, um die Klimaziele zu erreichen. Deutschland als Heimat der Automobilindustrie, so Wissmann, sollte keine Antriebsart gegen die andere in Stellung bringen. „Das ergibt wirtschaftlich, ökologisch und sozial keinen Sinn.“

Auch Ifo-Präsident Clemens Fuest sprach sich dagegen aus, Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2030 zu verbieten. Er legte jedoch Wert auf die Feststellung, dass die heute vom Verbrennungsmotor abhängigen Arbeitsplätze auch bei einem Verbot der Antriebsart nicht zwingend wegfielen. Die Zahlen müssten sorgfältig interpretiert werden, heißt es in der Studie. Sie lieferten in erster Linie Richtwerte über die potenziell betroffene Produktion, Bruttowertschöpfung und Beschäftigung am Standort Deutschland. Wie viel davon im Falle eines Zulassungsverbots für Pkws und leichte Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotor tatsächlich wegfallen würde, hänge von mehreren Faktoren ab, die mit erheblicher Unsicherheit behaftet seien. Unter anderem entscheidend sei die Reaktions- und Anpassungsfähigkeit der Automobilhersteller und Zulieferer, sagte Fuest. Großbetriebe könnten sich möglicherweise leichter umstellen. Vielen kleinen, hochspezialisierten Unternehmen werde es jedoch sicherlich schwerfallen, sich alternativ aufzustellen.

Fuest forderte von der Politik, nicht eine einzelne Technologie zu unterstützen. „Es ist wichtig, dass Klimapolitik technikneutral vorgeht, also Klimaschutzziele vorgibt, ohne vorzuschreiben, mit welchen Techniken das zu geschehen hat“, sagte der Ifo-Präsident. „Wer den Wettbewerb der Umweltschutztechniken mit Verboten ausschaltet, verschwendet Ressourcen und leistet dem Klimaschutz einen Bärendienst.“

Fuest widerspricht der verbreiteten Annahme, die deutsche Automobilindustrie habe aufgrund ihrer Technikführerschaft bei Diesel und Benzin zu spät und zu zaghaft auf alternative Antriebe gesetzt. Die Studie zeigt, dass deutsche Hersteller und Zulieferer auch bei der Entwicklung von Elektromobilität führend sind. „Ein Drittel der weltweiten Patente im Bereich Elektromobilität  kommt aus Deutschland“, sagte Fuest. „Man kann nicht sagen, dass die deutsche Autoindustrie nichts tun würde.“ Die Antwort auf die Frage, warum dann trotzdem so wenige Elektromobile in Deutschland fahren würden, sei nicht, etwas zu verbieten. Die Konkurrenz zwischen den Technologien müsse zugelassen werden.

Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir bezeichnete den fossilen Verbrennungsmotor als „klares Auslaufmodell auf dem Weltmarkt“. Die Automobilindustrie dürfe nicht dasselbe Schicksal wie die Atomkonzerne durchmachen, heißt es in einer Pressemitteilung als Reaktion auf die Studie. „Die großen Atom- und Kohlekonzerne haben die Energiewende zuerst bekämpft und dann verschlafen - und all das auf dem Rücken Zehntausender Arbeitsplätze.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bauten einen „Schutzzaun um den Verbrennungsmotor, um eine veraltete Technologie am Leben zu halten“. Die Grünen machen sich für ein Aus für den Verbrennungsmotor bis 2030 stark. Damit soll der Elektromobilität schneller zum Durchbruch verholfen werden.

Bei Patenten zu Benzin- und Dieselfahrzeugen haben die deutschen Unternehmen der Studie zufolge einen Anteil von 40 Prozent. Dabei geht der Großteil der Forschungs- und Innovationsleistungen in Effizienzverbesserungen. So zielen zwei von drei deutschen Patenten zu Verbrennungsmotoren auf Verbrauchsreduktion ab. Bei Brennstoffzellenfahrzeugen liefern sich die großen Automobilländer ein Kopf-an-Kopf-Rennen. So stammt ein Viertel der Patente auf diesem Gebiet aus Deutschland. Japans Anteil liegt bei 28 Prozent, aus den USA kommen 23 Prozent.

„Die technologische Basis für alternative Antriebe ist in Deutschland vorhanden“, sagte Fuest. Aus innovationspolitischer Sicht sei ein Zulassungsverbot für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nicht zu begründen. Vielmehr könnte ein Fokus auf Infrastruktur und nachfrageorientierten Maßnahmen die Marktdurchdringung mit innovativen Produkten beschleunigen. Schwachpunkt in Deutschland ist nach wie vor eine zu geringe Durchdringung von Lademöglichkeiten für Elektromobile. „In Norwegen haben wir mit unseren Elektromobilen einen Marktanteil von 57 Prozent“, sagte Wissmann. Er sei deswegen optimistisch, dass unter anderem durch einen Ausbau der Infrastruktur auch in Deutschland der Anteil der Elektromobile steigen werde.

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