Mord an Studentin in Freiburg „Tagesschau-Redakteure sind nicht gefühllos“

Ein Flüchtling steht in Freiburg unter Mordverdacht. Der Fall stößt auf internationales Interesse, doch die ARD-„Tagesschau“ berichtet nicht darüber. Nach scharfer Kritik geht deren Chef in die Offensive.

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Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, verteidigt die Entscheidung, nicht über den Freiburger Mordfall berichtet zu haben. Quelle: NDR/Holde Schneider

Berlin Sieben Wochen nach dem Verbrechen, das nicht nur Freiburg erschüttert hat, sieht sich die Polizei am Ziel. Einer Streifenwagenbesatzung fällt ein junger Mann mit rasierten Schläfen und Zopf auf. Die zwei Polizisten bringen ihn zur Kriminalpolizei. Die ist sich nach einem DNA-Abgleich sicher: Der 17-Jährige ist der Gesuchte. Er soll eine 19 Jahre alte Studentin vergewaltigt und ermordet haben.

Es ist ein junger Mann aus Afghanistan. Er kam 2015 als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland, lebte in Freiburg bei einer Pflegefamilie. Nun sitzt er in Untersuchungshaft. Der Fall hat bundesweit teils heftige Reaktionen ausgelöst. Selbst die „Washington Post“ und die „New York Times“ berichteten darüber.

Die ARD-„Tagesschau“ befand jedoch, am Samstag zumindest in ihrer TV-Ausgabe keine Meldung zur der Festnahme zu bringen. Anders als etwa auf „www.tagesschau.de“, im Südwestrundfunk (SWR) und in öffentlich-rechtlichen Radiosendern, wo sehr wohl der Fall ein Thema war.

Entsprechend groß ist der Unmut, der sich insbesondere in den sozialen Netzwerken über die „Tagesschau“ ergießt. Der Chefredakteur von ARD-Aktuell, Kai Gniffke, nahm die Redaktion indessen in Schutz, dagegen äußerte der Deutsche Journalistenverband scharfe Kritik. Und auch auf der Facebook-Seite der Nachrichtensendung meldeten sich User zu Wort.

Eine Sandra Segl schreibt: „Die ARD gehört ersatzlos wegen Dilettantismus geschlossen. Es ist eine unverfrorene Unverschämtheit, dass wir für diesen an Propaganda erinnernden Nanny Journalismus noch bezahlen müssen.“ Und ein Kurt Köhler ergänzt: „Liegt es vielleicht daran, dass bald Wahljahr ist und die Tagesschau auf Anweisung von Merkel nichts Negatives über Flüchtlinge bringen darf?“

Eine Marcel Heldt findet, dass sich die „Tagesschau“ „einfach nur lächerlich“ macht, denn national und international sei über den Fall berichtet worden. Auch ein Norbert Burger merkt an, dass „auf der ganzen Welt“ der Fall ein Thema war. „In der freien Wirtschaft würdet ihr für diese Arbeit sang und klanglos untergehen.“ Aber, fügt der User hinzu, „ihr habt ja noch die Zwangsabgabe die euch, egal wie schlecht ihr seit den Hintern rettet. So eine Wohlfühloase hätte ich auch gerne auf der Arbeit“.

Der Chef von ARD-Aktuell, Gniffke, verteidigte die Entscheidung, nicht über den Fall berichtet zu haben. „Die Redakteurinnen und Redakteure bei der Tagesschau sind nicht gefühllos“, schreibt Gniffke in seinem Blog. „Aber wir berichten nur sehr selten über einzelne Kriminalfälle.“ Es gebe im Medienmarkt Redaktionen, die sich auf die Berichterstattung über Kriminalfälle spezialisiert hätten und dies in der Regel auch „sehr angemessen“ täten. Die „Tagesschau“ hingegen berichte über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. „Da zählt ein Mordfall nicht dazu.“


Kritik vom Deutschen Journalistenverband

Gniffke betonte allerdings, dass man in den vergangenen Tagen geprüft habe, ob sich der Freiburger Fall von anderen Mordfällen abhebe. „Dies haben wir nicht so gesehen und deshalb den Tod der jungen Frau nicht gemeldet“, erläuterte er. Und genau aus demselben Grund habe man auch bei der Verhaftung des Tatverdächtigen diesen Maßstab nicht verschoben. „Die Herkunft des mutmaßlichen Täters hat also mit dieser Entscheidung nichts zu tun“, unterstrich Gniffke. „Im Gegenteil, dass wir kein Problem damit haben, gegebenenfalls auch die Herkunft von Tatverdächtigen zu nennen, konnte man bei unserer Kölner Silvester-Berichterstattung sehen, bei der wir von Anfang an die Herkunft der mutmaßlichen Täter genannt haben.“

Gleichwohl hätte die „Tagesschau“ auch anders entscheiden können, räumte Gniffke ein. „Man hätte durchaus mit dem Gesprächswert dieses Mordfalls argumentieren können, denn tatsächlich hatten die beiden jüngsten Vergewaltigungs- bzw. Mordfälle in Freiburg (von denen man nicht weiß, ob sie zusammenhängen) zu einer größeren Aufmerksamkeit der Medien geführt, auch über die Region Freiburg hinaus“, erläuterte der ARD-Aktuell-Chef. Doch, fügte er hinzu: „Da wir für die Tagesschau den Gesprächswert eines Themas aber etwas geringer gegenüber dem Kriterium der Relevanz gewichten, haben wir uns gegen den Mordfall in der Sendung entschieden.“

Beim Deutschen Journalistenverband (DJV) stößt die Argumentation auf Unverständnis. „Zur journalistischen Sorgfaltspflicht gehört neben der Recherche und auch die Prüfung von Relevanz. So etwas braucht Zeit, deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Tagesschau-Redaktion mit der Information über die Herkunft des mutmaßlichen Täters zunächst zurückhaltend war“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall der „Bild“-Zeitung.

Da der Fall aber einen breiten gesellschaftlichen Diskurs ausgelöst habe, sei es Aufgabe von Journalisten, diesen Diskurs abzubilden und auch einzuordnen. „Die rassistische Einordnung interessierter Kreise muss als solche beschrieben werden, und es müssen auch die objektiven Hintergründe und die soziale Einordnung von Problemlagen dargestellt werden“, betonte Überall.

Dass der Mord in Freiburg tatsächlich von bundesweiter Relevanz ist, zeigt nun auch der Umstand, dass die CSU einen neuen Vorstandsbeschluss mit der Forderung nach einer Obergrenze für neu eintreffende Flüchtlinge am Montag kurzerhand und entgegen der jüngsten Planungen auf kommendes Jahr verschoben hat. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer begründete dies damit, dass er nach dem Tod einer Studentin in Freiburg, wo ein unbegleiteter Flüchtling tatverdächtig ist, das Papier noch einmal ergänzen wolle.


Politiker warnen vor Stimmungsmache gegen Flüchtlinge

Zuvor warnten Politiker davor, das Verbrechen zur Stimmungsmache gegen Flüchtlinge zu missbrauchen. „So bitter es ist: Solche abscheulichen Morde gab es schon, bevor der erste Flüchtling aus Afghanistan oder Syrien zu uns gekommen ist“, sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) der „Bild“. „Wir werden nach solchen Gewaltverbrechen – egal, wer sie begeht – keine Volksverhetzung zulassen.“

Die 19 Jahre alte Studentin war Mitte Oktober vergewaltigt worden, ihre Leiche wurde im Fluss Dreisam gefunden. Sie ertrank. Die Medizinstudentin war mit ihrem Fahrrad auf dem Heimweg von einer Uni-Party gewesen, als sie Opfer der Verbrechens wurde.

Der Mordverdächtige war im Jahr 2015 nach Deutschland eingereist und lebte danach als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling bei einer Familie. Nach seiner Festnahme am Freitag in Freiburg äußerte sich der Jugendliche ohne Vorstrafen den Ermittlern zufolge bislang nicht.

Auch gebe es bisher keinen Hinweis darauf, dass sich der Flüchtling und das Opfer kannten, sagte die Polizeisprecherin. Ein 18,5 Zentimeter langes blondiertes schwarzes Haar am Tatort hatte die Ermittler auf die Spur gebracht.

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte der „Bild“: „Solche Grausamkeiten werden leider von In- wie Ausländern begangen, das ist leider kein neues Phänomen.“ Auch CSU-Innenexperte Stephan Mayer warnte davor, alle Migranten und Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen.

AfD-Bundeschef Jörg Meuthen meinte hingegen: „Wir sind erschüttert über diese Tat und erleben gleichzeitig, dass unsere Warnungen vor der ungesteuerten Einreise Hunderttausender junger Männer aus patriarchalisch-islamischen Kulturkreisen als populistisch abgewertet wurden.“ Die bisherige Rechtslage, DNA-Proben nicht nach Ethnie zuzuordnen, bezeichnete Meuthen als skandalös.

Für Kritik sorgte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, der der „Bild“ sagte: „Dieses und viele andere Opfer würde es nicht geben, wäre unser Land auf die Gefahren vorbereitet gewesen, die mit massenhafter Zuwanderung immer verbunden sind.“ Der SPD-Vizevorsitzende Ralf Stegner nannte die Äußerungen „politisch widerlich und dümmer als die Polizei erlaubt“.

Die Ermittler wollen im Freiburger Fall nun erneut Zeugen befragen. Wie eine Polizeisprecherin am Montag mitteilte, werden unter anderem Gäste der Studentenparty befragt, auf der das Opfer zuvor gewesen war. Fotos der Feier werden erneut gesichtet – ebenso wie Videomaterial aus der Straßenbahn, in der der Verdächtige in der Tatnacht gefahren war. Die Auswertungen sollen helfen, den genauen Tathergang zu rekonstruieren.

Mit dpa

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