München "Einzeltäter sind im Vorfeld kaum zu identifizieren"

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"Die Reaktion war professionell und angemessen"

Rund 2300 Polizisten waren am Freitag im Einsatz, der Tatort wurde großräumig abgesperrt, Spezialeinheiten wie die GSG 9 und die österreichische Cobra rückten an. Der öffentliche Nahverkehr wurde zeitweise eingestellt, der Hauptbahnhof geräumt. Wie bewerten Sie den Einsatz der Sicherheitsbehörden?
Die Sicherheitsbehörden haben in so einer Lage keine andere Möglichkeit. Sie müssen jeder Zeit vom Schlimmsten ausgehen. Über Stunden hinweg war die Lage ja vollkommen unklar. Es gab Gerüchte von weiteren Schießereien in der Stadt. Solange die Polizei diese nicht kategorisch ausschließen konnte, hätte es sich gestern in München um ein ähnliches Szenario wie in Paris im November 2015 handeln können.

Dort verübten mehrere Attentäter einer Terrorzelle zur gleichen Zeit Anschläge an verschiedenen Orten.
Deswegen wäre auch der Hauptbahnhof ein geeignetes Ziel gewesen. Insofern war es richtig, ihn zu sperren. Die Sicherheitskräfte müssen erst einmal die höchsten Vorsichtsmaßnahmen anwenden, bis sie sicher Entwarnung geben. Was München jedoch deutlich gemacht hat, ist eine steile Lernkurve der deutschen Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren. Die Reaktion war professionell und angemessen, die Informationspolitik sachlich, nüchtern und zu keinem Zeitpunkt spekulativ.

Chronik: Aufsehenerregende Anschläge in Deutschland

IS-Sympathisanten haben noch in der Nacht Videos ins Netz gestellt, die angeblich Opfer in München zeigen. Dabei wurde schnell klar, dass die Bilder nichts mit München zu tun hatten.
Das ist ein hochinteressantes Phänomen. Im Verlauf solcher möglichen Attentate taucht meist innerhalb nur weniger Minuten Material auf, dass angeblich den Tatort zeigen soll. Es gibt eine große Menge von IS-Sympathisanten und Propagandahelfer. Sie versuchen voreilig, die Tat in einen jihadistischen Kontext zu stellen, meist ohne jeden Beweis dafür zu haben. Man sollte sehr vorsichtig sein mit der Nutzung und Weiterverbreitung solcher Bilder, da man in der Lage nie weiß, wer dieses Material verbreitet und welches Ziel er damit verfolgt.

Der bayrische Innenminister hat schon nach der Axtattacke in Würzburg mehr Kameras und Überwachung gefordert. Ist das der richtige Weg?
In Würzburg und München handelte es sich bei den Tätern offensichtlich um Einzeltäter. Diesem Täter-Typus ist mit mehr Überwachung durch Kameras nicht beizukommen. Die Hinweise auf mögliche Radikalisierungsprozesse oder Interesse für Amoktaten können nur aus dem direkten Umfeld der Täter kommen. Für Sicherheitsbehörden ist es ungeheuer schwer, Einzeltäter oder einsame Wölfe im Vorfeld einer Tat zu identifizieren.

Müssen die Sicherheitsbehörden ihre Vorgehensweise überarbeiten?
Es gibt da durchaus noch Luft nach oben, insbesondere im Hinblick auf die Erkennung von Einzeltätern. Die israelischen Behörden zum Beispiel haben Maßnahmenkataloge entwickelt, anhand derer sich solche Täter leichter erkennen lassen. Die sind da relativ weit vorne. Dennoch bleibt es die schwierigste Aufgabe. Die Anti-Terror-Abwehr hierzulande ist bislang nicht auf die Erkennung potentieller Einzeltäter ausgelegt, sondern vor allem auf die Verhinderung großer Anschläge von Terrorzellen. Das sind noch die Nachwehen des 11. September. Doch der Terrorismus hat sich seither massiv weiterentwickelt.

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