Musterpolizeigesetz Ein trojanisches Pferd für mehr Überwachung

Bundesinnenminister Thomas de Maizière will mit einem Musterpolizeigesetz schwerwiegende Überwachungsmaßnahmen durchsetzen. Dann könnten Methoden zur Terrorabwehr Alltagswerkzeug der Polizei werden. Eine Warnung.

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ein trojanisches Pferd für mehr Überwachung Quelle: dpa

Zufrieden und in ihrem Sicherheitshunger vorerst gesättigt kehren die Landes- und Bundesinnenminister de Maizière von ihrer Frühjahrskonferenz in Dresden zurück. Unter ihren Beschlüssen befindet sich einer, der Aufmerksamkeit verdient, weil er wie kein zweiter für die großkoalitionäre Logik in der Sicherheitsgesetzgebung steht: Die Einführung eines Musterpolizeigesetzes. Es soll gemeinsame Standards setzen und einem Flickenteppich bei der inneren Sicherheit entgegenwirken.

An sich ist die Idee nicht neu und – richtig gemacht – auch nicht schlecht. Sie stammt aus den 70er Jahren und hat einen gescheiterten Versuch hinter sich.

Neu, schlecht und besonders perfide aber ist die Idee, durch das Musterpolizeigesetz grundrechtsintensivste Überwachungsmaßnahmen in die Landespolizeigesetze zu schleusen. Diese Absicht kommuniziert der Bundesinnenminister natürlich nicht offen. Sie lässt sich an seinem Vorgehen jedoch ablesen wie ein offenes Buch.

Zur Person

Am Rande der Innenministerkonferenz posaunte er in jedes Mikrofon, dass die Behörden zur Terrorismusbekämpfung auch verschlüsselte Messenger-Dienste wie Whatsapp, Telegram und Signal abhören können müssen. Die Sicherheitsbehörden müssten im Internet nicht mehr aber auch nicht weniger Möglichkeiten haben als außerhalb des Internets.

Was er dabei verschwieg: Sie dürfen es bereits. Das Bundeskriminalamt kann sich seit 2009 für die Terrorismusbekämpfung auf Rechtsgrundlagen zur Online-Durchsuchung und so genannten „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“ (Q-TKÜ) im Bundeskriminalamtsgesetz (BKA-Gesetz) stützen. Das BKA ist die zuständige Behörde für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus.

Bei Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung darf in der Praxis auf PC, Tablet oder Smartphone heimlich ein Staatstrojaner gespielt werden, der ganze Festplatten auslesen (Online-Durchsuchung) oder verschlüsselte Kommunikation wie Sprachübermittlung via Skype oder verschlüsselte Textnachrichten via WhatsApp (Q-TKÜ) erfassen kann.

Trotz einer Fülle angemahnter rechtsstaatlicher Korrekturen billigte das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr letzten Jahres im Kern diese in seinen Worten „besonders schwerwiegenden Eingriffe, die tief in die Privatsphäre eindringen“ für die Terrorismusbekämpfung. Wenn also im Vorhinein auch nur die geringsten tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein terroristischer Anschlag geplant wird oder bevorsteht, dürfen sich die Beamten des BKA auf Rechner, Tablets und Smartphones schalten, Festplatten auslesen und eben auch verschlüsselte Messenger-Dienste überwachen. Diese Befugnisse sind solche zur Abwendung bevorstehender Gefahren – genauer zur Abwendung von Gefahren des internationalen Terrorismus.

Terroristische Gefahren deswegen, weil ansonsten das Bundeskriminalamt gar nicht zuständig wäre. Die allgemeine, originäre Gefahrenabwehr ist Ländersache.

Das Musterpolizeigesetz

Hier kommt nun das Musterpolizeigesetz ins Spiel. Weil der Bund in diesem Bereich zur Gesetzgebung nicht zuständig ist, will de Maizière ein Musterpolizeigesetz. Künftig benötige ein Bundesland dann schon gute Gründe, wenn es von den gemeinsamen Regelungen abweichen wolle. Von diesem Muster soll nämlich eine Sogwirkung auf die Polizeigesetze der Bundesländer ausgehen, die Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung bisher nur in ganz wenigen Fällen kennen. Rechtsgrundlagen für die Online-Durchsuchung finden sich beispielsweise nur in den Polizeigesetzen von Bayern und Rheinland-Pfalz. Das soll sich nach dem Willen des Bundesinnenministers durch das Musterpolizeigesetz ändern.

Es bedarf nicht viel Phantasie, woran sich dieses Muster orientieren wird: Am BKA-Gesetz. Das darf nicht passieren!

Unter Führung des Bundesinnenministeriums wurde es gerade noch einmal novelliert und verschärft. Es enthält die ganze Palette an Überwachungsmöglichkeiten, von optischer und akustischer Wohnraumüberwachung, über Online-Durchsuchung und Telekommunikationsüberwachung bis hin zur elektronischen Fußfessel und einer zentralen Bevorratung von Daten, die trotz aller berechtigter Zweifel vielleicht für die Terrorismusbekämpfung tauglich sein mögen, nicht aber für die allgemeine Gefahrenabwehr.

Hierin liegt die Krux dieser Idee des Musterpolizeigesetzes: Das für den Spezialbereich der Terrorismusbekämpfung geschaffene Recht im BKA-Gesetz soll auf das herkömmliche Polizeirecht übertragen werden. In Bayern zeichnet sich dieser Weg bereits ab. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die CSU gerade dabei, im bayerischen Polizeigesetz die Voraussetzungen dafür zu schaffen, potentiell gefährlich Menschen präventiv und auf Dauer wegzusperren. Zutreffend titelte eine große Tageszeitung von der Einführung des „Guantanamo-Prinzips“.

Wer sich eine Vorstellung vom weiteren Inhalt eines solchen Musterpolizeigesetzes machen will, schaue nur auf die anderen Themen der Innenministerkonferenz, beispielsweise zur Schleierfahndung oder der „intelligenten“ Videoüberwachung, vor der selbst die Gewerkschaft der Polizei zurückschreckt. Der Einsatz automatischer Gesichtserkennung sei ein unausgereiftes Konzept.

Sollten de Maizieres Pläne Realität werden, könnten die eingriffsintensivsten Befugnisse bald zum Alltagswerkzeug der Polizei gehören. Der Alltag eines Beamten bei der Landespolizei, er ist jedoch nicht von Terrorismusbekämpfung geprägt. Und wenn das einmal doch der Fall sein sollte, kann er das BKA jederzeit um Amtshilfe ersuchen.

Richtig gemacht wäre ein Musterpolizeigesetz hingegen nur dann, wenn es als Mustergrundrechtsgesetz und nicht als Musterüberwachungsgesetz daherkommt. Ein Gesetz, das einheitliche Standards nicht für die Einschränkung von Grundrechten schafft sondern für ihre Geltung schafft, indem es die Kontrolle staatlichen Handelns durch unabhängige Stellen vereinheitlicht. In seinem Urteil zum Bundeskriminalamtsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht genau das angemahnt: Die vorherige Anordnung von intensiven Eingriffen in die Freiheit der Bürger durch unabhängige Stellen wie durch Richter, Protokoll- und Transparenzpflichten für die Sicherheitsbehörden im Anschluss an solche Eingriffe, eine regelmäßige Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten und Berichtspflichten gegenüber den Parlamenten.

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