„Der Islamische Staat führt einen brutalen Angriffskrieg auf unsere Gesellschaft.“ Das hat der bayrische Innenminister Joachim Herrmann in dieser Woche gesagt. Klar, für einen Innenminister, für den bayrischen insbesondere, gehören markige Sprüche zum Jobprofil.
Die Debatte über Bundeswehreinsätze im Inneren gehört zu den Klassikern der Bundesrepublik. Logisch, dass sie nach den Anschlägen in Würzburg und Ansbach, die der IS für sich reklamiert, wieder hochkocht. Und sie ist ein gutes Beispiel für die Überreaktion und irrationalen Debatten, die wir derzeit erleben. Vier Beispiele:
1. Einsatz der Bundeswehr im Inneren?
Keine Frage: Deutschland und insbesondere der Freistaat Bayern haben zwei schlimme Wochen hinter sich. Zu den beiden Anschlägen mit IS-Hintergrund kommt der Amoklauf von München, bei dem der Täter neun Menschen erschoss. Am Tatabend war lange unklar, ob womöglich eine islamistische Terrorbande durch die Stadt zieht. Das hätte ein ähnliches Szenario bedeutet, wie wir es Ende letzten Jahres in Paris erleben mussten. Damals starben 130 Menschen, mehrere Hundert wurden verletzt.
Doch die Fakten sind eben anders. Wir haben in kurzer Zeit zwei islamistische Attentäter erlebt, die Menschen töten wollten (Würzburg und Ansbach). In Reutlingen tötete ein syrischer Flüchtling eine Frau – offenbar eine Beziehungstat.
Die Bundeswehr hätte wohl keinen der Täter im Vorhinein stoppen können. In Würzburg hielten schließlich Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos den Angreifer auf. Und in München hat die Polizei eindrucksvoll gezeigt, wie sie binnen kürzester Zeit 2300 Beamte auf die Straßen bringen kann, die die Lage verhältnismäßig schnell unter Kontrolle kriegten.
Was hätten die knapp 100 Militärpolizisten tun sollen, die Verteidigungsministerium Ursula von der Leyen kurzerhand in Bereitschaft versetzte? Der Bundeswehrverband hat dafür kein Verständnis. „Die Bundeswehr ist keine Hilfspolizei“, sagte der stellvertretende Verbandsvorsitzende Andreas Steinmetz.
Definitionen und Zusammenhänge
In Asien nannte man sie „amucos“ - Krieger, die den Feind ohne Angst vor dem Tod angreifen und vernichten. Heute beschreibt der Begriff in der Regel blindwütige Aggressionen – mit und ohne Todesopfer. Die meisten Amokläufer sind männlich und eigentlich unauffällig, in vielen Fällen ledig oder geschieden. Neben psychisch kranken Tätern gibt es auch Amokläufer, die aus banalen Gründen plötzlich ausrasten. Angst, Demütigung oder Eifersucht haben sich oft lange aufgestaut, bevor es zur Katastrophe kommt. Teils werden Taten auch im Kopf durchgespielt. „Amok“ kommt aus dem Malaiischen und bedeutet „wütend“ oder „rasend“.
Attentate sind politisch oder ideologisch motivierte Anschläge auf das Leben eines Menschen, meistens auf im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeiten. Der Ausdruck „Attentäter“ wiederum wird auch für Menschen verwendet, die einen Anschlag auf mehrere Menschen begehen. Terroristische Attentäter zielen etwa auf Angehörige eines ihnen verhassten Systems oder einer Religion ab. Mit Anschlägen auf öffentlichen Plätzen, in Verkehrsmitteln oder auf Feste versuchen sie, in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten. Der Begriff „Attentat“ leitet sich vom lateinischen attentare (versuchen) im Sinne eines versuchten Verbrechens ab.
Terrorismus ist politisch motivierte, systematisch geplante Gewalt, die sich gegen den gesellschaftlichen Status quo richtet und auf politische, religiöse oder ideologische Veränderung ausgerichtet ist. Dass Terroristen töten und zerstören, ist Mittel zum Zweck. Sie wollen vor allem Verunsicherung in die Gesellschaft tragen. Terrorakte richten sich oft gegen die Zivilbevölkerung oder symbolträchtige Ziele.
Terror geht auf das lateinische Wort „terrere“ zurück, was „erschrecken“ oder „einschüchtern“ bedeutet. Terror und Terrorismus werden oft gleichbedeutend verwendet. Im Unterschied zum Terrorismus bezeichnet der Begriff „Terror“ aber eher das Machtinstrumentarium eines Staates. Der „Terror von oben“ steht für eine Schreckensherrschaft, die willkürlich und systematisch Gewalt ausübt, um Bürger und oppositionelle Gruppen einzuschüchtern. Auch in die Umgangssprache hat der Begriff Eingang gefunden - etwa für extreme Belästigung, zum Beispiel Telefonterror.
Kurz: Militärs kümmern sich um Kriege und Einsätze im Ausland, Polizisten um die Sicherheit im Inland. Das Prinzip hat sich bewährt und sollte Bestand haben.
2. Ist Angela Merkel schuld?
Angela Merkel hat die Flüchtlinge ins Land gelassen, also ist sie für die Anschläge in Würzburg und Ansbach verantwortlich. Wer Leserkommentare auf Nachrichtenseiten, Facebook oder Twitter verfolgt, stößt auf diese Meinung. CSU-Chef Horst Seehofer lastet Merkel die Schuld nicht direkt an, sagt aber: „Wir haben mit allen unseren Prophezeiungen recht bekommen.“
Nun könnte man spitzfindig argumentieren, die Täter von Würzburg und Ansbach seien nach Deutschland gekommen, bevor sich Merkel zu ihrer liberalen Flüchtlingspolitik im Herbst 2015 entschieden hatte. Der Ansbacher Täter, ein Syrer, war im August 2014 eingereist. Der Würzburger Täter, der aus Afghanistan oder Pakistan stammt, kam im Juni 2015 in die Bundesrepublik.
Viel entscheidender ist aber folgender Punkt: Potentielle Terroristen wären auch im Land gewesen, wenn Deutschland eine Obergrenze definiert hätte. Wenn Merkel nach 200.000 Flüchtlinge die Grenze geschlossen hätte, wären auch unter dieser Personengruppe potentielle Attentäter gewesen oder Menschen, die sich in Deutschland radikalisieren könnten. Wer islamistischen Terrorismus aus Syrien, Irak oder Afghanistan verhindern will, darf keinen einzigen Menschen aus diesen Ländern aufnehmen. Und das fordert nicht mal Seehofer.
Was aber stimmt: Der zeitweilige Kontrollverlust, die hunderttausendfache Nicht-Registrierung von Flüchtlingen über Monate, war sicherlich nicht förderlich im Sinne einer positiven Sicherheitslage.
3. Schützt uns Merkels Willkommenskultur vor Terrorismus?
Wenn die Merkel-Kritiker schreien, dauert die Antwort der Kanzlerinnen-Anhänger für gewöhnlich nicht lange. So auch in diesem Fall. Der britische Independent argumentiert, Deutschland sei langfristig besser vor Terrorismus geschützt, eben weil die Kanzlerin hunderttausende Muslime ins Land gelassen hat. Die Flüchtlinge – so die Hoffnung – werden zu Botschaftern für Deutschland in ihren Heimatländern.
Deutschland ist ein tolles Land, lasst es in Frieden – dürfte dieser Gedanke, den die Flüchtlinge in ihre Länder tragen könnten, in etwa lauten. Mit Verlaub: Das ist naiv.
Die meisten Opfer des Islamischen Staates sind Muslime. Die Annahme, dass die Terrororganisation einen Staat verschonen könnte, weil dort viele Muslime leben, deckt sich nicht mit der Realität. Und der Streit um die Verantwortlichkeit der Kanzlerin zeigt, wie sehr die Anschläge in Bayern schon instrumentalisiert werden – von beiden Seiten.
4. Ist Sarah Wagenknecht eine verkappte Nationalistin?
Wie links die Fraktionsvorsitzende der Linken wirklich ist, debattiert die Partei immer mal wieder. Es ist eine berechtigte Frage. Nach den Anschlägen sagte Wagenknecht in einem Fernsehinterview, „dass die Aufnahme und Integration einer sehr großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern zumindest mit erheblichen Problemen verbunden und sehr viel schwieriger ist als Frau Merkel uns das im letzten Herbst mit ihrem ‚Wir schaffen das‘ einreden wollte“.
Chronik: Aufsehenerregende Anschläge in Deutschland
Mit Axt und Messer bewaffnet geht ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan in einer Regionalbahn bei Würzburg auf Fahrgäste los. Fünf Menschen werden verletzt, einige von ihnen lebensgefährlich. Polizisten erschießen den Attentäter, der sich in einem Video als Kämpfer der Terrormiliz IS bezeichnete.
Wenige Tage später sprengt sich ein 27-jähriger syrischer Flüchtling vor einem Musik-Festival in Ansbach mit einem Rucksack in die Luft. Er stirbt, 15 weitere Menschen werden verletzt. Auf einem Handy des Mannes gebe es eine Anschlagsdrohung als Video, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Der Täter kündige einen Racheakt gegen Deutsche an als Vergeltung, weil sie Muslime umbrächten.
Nach einer indischen Hochzeit verüben zwei junge mutmaßliche Salafisten aus Gelsenkirchen einen Bombenanschlag auf ein Gebetshaus der Sikhs in Essen. Drei Menschen werden verletzt. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um einen gezielten Angriff mit terroristischem Hintergrund handelte.
Bei einer Kontrolle am Hauptbahnhof Hannover verletzt eine 15 Jahre alte Deutsch-Marokkanerin einen Bundespolizisten lebensgefährlich mit einem Messer. Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft war die Attacke eine „Märtyreroperation“ für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS).
Ein junger Kosovo-Albaner erschießt auf dem Flughafen Frankfurt/Main zwei US-Soldaten und verletzt zwei weitere schwer. Der Mann gilt als extremistischer Einzeltäter. 2012 wird er zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der Widerspruch aus ihrer eigenen Partei kam sofort. „Wer Merkel von rechts kritisiert, kann nicht Vorsitzender einer Linksfraktion sein“, sagte Jan van Aken, außenpolitische Sprecher der Linksfraktion.
Ja, Wagenknecht bekam sofort Zuspruch aus der AfD. Doch ihre Position ist nichts anderes als banaler Mainstream. Dass sie sie in diesem Moment geäußert hat, war unklug, weil sie damit den Eindruck erweckt hatte, friedliche Flüchtlinge mit Terroristen in Zusammenhang zu bringen.
Gegen die Bestandsaufnahme – die Integration wird ein langer und schwieriger Prozess – dürfte aber kaum jemand etwas einzuwenden haben – weder CDU noch SPD, auch nicht weite Teile der Linken. Vielmehr hat sich an der Frage der alte Konflikt zwischen Wagenknecht und Teilen ihrer Partei hoch geschaukelt.
Was bleibt: Der bayrische Innenminister will das Land im Notfall mit Militär stabilisieren. Andere suchen die Schuld bei Angela Merkel – oder wahlweise das Heil. Und die Linksfraktion überlegt ihre Chefin loszuwerden, weil sie scheinbar nationalistische Aussagen verbreitet. Deutschland ist schwer verunsichertes und hyperventiliert.
Den Islamischen Staat freut das.