Nach dem Anschlag in Berlin "Der islamistische Terrorismus wurde nicht geschwächt, sondern verstärkt"

Nach dem Lkw-Attentat in Berlin sind Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte lautgeworden. Ein generelles Versagen sieht Innenminister de Maizière nicht, kündigt aber einen umfassenden Bericht an. Die Deutschen wünschen sich indes mehr Überwachung.

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Blick auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 22.12.2016 in Berlin. Quelle: dpa

Nach dem Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt steht auch die Arbeit der Sicherheitsbehörden in Deutschland im Fokus. Bundesinnenminister Thomas de Maizière kündigte eine eingehende Untersuchung an, schloss ein pauschales Versagen bezüglich des mutmaßlichen Attentäters Anis Amri jedoch aus. „Selbstverständlich werden wir den Fall aber bis ins Detail aufarbeiten und einen entsprechenden Bericht vorlegen“, sagte der CDU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Eine Mehrheit der Deutschen fordert laut einer Umfrage mehr Sicherheitsmaßnahmen im Land.

Der 2015 nach Deutschland gekommene Tunesier Amri (24) war nach Überzeugung der Ermittler der Mann, der am Abend des 19. Dezember mit einem gestohlenen Sattelzug in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche raste. Zwölf Menschen starben, 53 wurden verletzt, einige von ihnen lebensgefährlich. Die Todesopfer des Anschlags sind inzwischen identifiziert. Unter ihnen sind laut Bundeskriminalamt sieben Deutsche sowie Menschen mit tschechischer, ukrainischer, italienischer, israelischer sowie polnischer Staatsangehörigkeit.

Die Online-Petition, die das Bundesverdienstkreuz für den bei dem Anschlag getöteten polnischen Lkw-Fahrer fordert, erfährt derweil weiter großen Zulauf. Auf der Plattform Change.org gab es bis Montagmittag rund 32 000 Unterstützer für das Anliegen. Der Pole soll nach Erkenntnissen der Polizei noch kurz vor dem Anschlag mit dem Attentäter im Führerhaus gekämpft haben, bis dieser ihn erschoss. So habe der Fahrer möglicherweise Schlimmeres verhindert.

Amri selbst war am Freitag bei einem Schusswechsel mit der italienischen Polizei nahe Mailand getötet worden. Die Ermittlungen liefen auch an den Weihnachtsfeiertagen mit Hochdruck. Unter anderem soll geklärt werden, ob der 24-Jährige ein Unterstützernetzwerk, Mitwisser oder Gehilfen hatte. Nach dpa-Informationen gelangte der 24-jährige Amri über Lyon nach Italien.

Stärkere Videoüberwachung

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Deutsche Presse-Agentur sprechen sich 73 Prozent der Befragten dafür aus, die Polizeikräfte aufzustocken. Eine große Mehrheit von 60 Prozent der Deutschen ist der Befragung zufolge für eine stärkere Videoüberwachung öffentlicher Räume. Der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche wurde nicht von der Polizei mit Kameras observiert. Der rot-rot-grüne Berliner Senat will die Videoüberwachung derzeit nicht ausweiten.

Bundesinnenminister de Maizière forderte den Senat in der „Bild am Sonntag“ auf, seine Haltung zur Videoüberwachung „dringend“ zu überdenken. Die Berliner Innenverwaltung will sich nicht unter Druck setzen lassen. Nach dem Anschlag sollten erst die Ermittlungen zu Ende geführt werden, sagte der Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD), Martin Pallgen.

Da Amri als abgelehnter Asylbewerber und Gefährder aus dem Visier der deutschen Behörden verschwunden war, kommen aus der Politik Rufe nach schärferen Gesetzen. Seine Abschiebung war gescheitert, weil er keinen Pass hatte.

„Es gibt bisher juristisch keine ausreichende Möglichkeit, jeden dieser Gefährder rund um die Uhr überwachen zu lassen“, sagte de Maizière in der „Bild am Sonntag“. Zugleich betonte er, dass die deutschen Sicherheitsbehörden eine hochprofessionelle Arbeit leisteten und so bereits Anschläge verhindert hätten.

Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht warf der Bundesregierung vor, das Erstarken terroristischer Gruppen mitverantwortet zu haben. Seit 15 Jahren werde ein „Krieg gegen den Terror“ geführt, zuerst in Afghanistan, dann im Irak, in Libyen und in Syrien. „Und die Bilanz all dieser Kriege ist, dass der islamistische Terrorismus nicht geschwächt, sondern massiv verstärkt wurde“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

In der tunesischen Stadt Kairouan nahmen Sicherheitskräfte drei Männer fest, die mit dem mutmaßlichen Attentäter von Berlin in Verbindung stehen sollen. Einer der Verdächtigen sei der Neffe Amris, teilte das Innenministerium in Tunis mit. Der Neffe soll gestanden haben, dass er mit dem mutmaßlichen Attentäter über eine Nachrichten-App in Kontakt gestanden habe. Sein Onkel habe gewollt, dass er der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Treue schwöre.

Der Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche soll wie geplant bis zum 1. Januar geöffnet bleiben. Am 31. Dezember werde es noch einmal einen Gottesdienst geben, sagte Klaus-Jürgen Meier, der Vorstandsvorsitzende der AG City und Vertreter des Handels.

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