Nach dem Anschlag von Berlin Die Angst darf uns nicht beherrschen

Der Anschlag von Berlin zeigt: Echte Sicherheit gibt es nicht mehr. Stattdessen macht sich Angst breit. Wollen wir verhindern, dass sich diese in Hass entlädt, müssen wir lernen, richtig mit ihr umzugehen. Ein Kommentar.

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Bewaffnete Polizisten gehen am 20.12.2016 in Potsdam (Brandenburg) über den Weihnachtsmarkt in der Brandenburger Straße. Nach dem mutmaßlichen Anschlag von Berlin verstärkt die Polizei vielerorts in Deutschland die Sicherheitsvorkehrungen auf Weihnachtsmärkten. Foto: Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Nach dem Lkw-Anschlag von Berlin fordert Angela Merkel die Deutschen dazu auf, die Werte der Bundesrepublik zu verteidigen. „Wir werden die Kraft finden für das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen: frei, miteinander und offen.“ Doch wie soll das gehen, was die Kanzlerin als Schlusssatz ihrer Erklärung zum Angriff auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche formuliert hat?

Wie können wir noch offen leben, wenn in Wirklichkeit nichts mehr sicher ist? Wenn uns nun beim Gang über Weihnachtsmärkte Sorgen überkommen? Wenn uns nach der Parallele zu Nizza, wo im Frühsommer ein Lastwagen in eine Menschenmenge raste und Menschen in den Tod riss, nun auch in den Kopf kommt, dass es auch eine Parallele zu Paris geben könnte, Terroristen also auch bei uns Restaurants und Musikklubs mit Kalaschnikows überfallen könnten?

Wer der Angst nachgibt und nicht mehr zu Konzerten, zu Veranstaltungen, in Diskotheken, Lokale oder auf öffentliche Feste geht, macht es natürlich jenen Recht, die – wie die Fanatiker der Terrormiliz Islamischer Staat oder der Taliban ohnehin Musik, Lachen, Fröhlichkeit aus dem öffentlichen Leben verbannen wollen mit ihren vor-mittelalterlichen Wertvorstellungen. Aber andersherum: Warum sollte man sich einem Risiko aussetzen, etwa nur um Musik zu hören?

Noch immer ist unklar, wer der Täter ist, der den Lastwagen gezielt in die Menschenmenge auf dem Berliner Breitscheidplatz gelenkt und zwölf Menschen in den Tod gerissen hat. Dass der festgenommene pakistanische Flüchtling wirklich der Täter ist, wird inzwischen auch von der Polizei angezweifelt. Doch all jene, die nun ihre Meinung bestätigt sehen, wollen dies ohnehin nicht mehr hören. Für sie steht die Hauptschuldige ohnehin seit langem fest: Merkel und ihre liberale Flüchtlingspolitik.

Noch schlimmer aber ist, dass in einem Rechtstaat mit den Regeln des Asylrechts und der Strafprozessordnung, die nun immer lauter werdenden Rufe nach kurzem Prozess gar nicht erfüllt werden könnten. In ihrer Heimat Gefolterte haben ein Recht auf Asyl. Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, genießen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Und nur ziemlich schwere Verbrechen erlauben eine Abschiebung Asylsuchender. Das sollte auch niemand ändern wollen, denn es sind Pfeiler unseres rechtstaatlichen Handelns.

Doch diejenigen, die schon von Anfang an „Ausländer raus“ rufen und nun sehen, dass ihren Forderungen nicht Folge geleistet wird, werden sich auch von diesem Argument nicht überzeugen lassen.


Angst darf nicht in Selbstjustiz umschlagen

Der schon vor etlichen Jahren vorausgesagte „Kampf der Kulturen“ könnte in einer Welle der Selbstjustiz ausbrechen. Doch dieser Kampf kann von niemanden gewonnen werden und würde Deutschland nur zu einem Schlachtfeld eines ebenso sinnlosen wie unzählige Opfer fordernden Konfliktes machen. Vielleicht schrecken auch die Heißsporne deshalb vor Gewalt zurück. Sicher ist das aber keineswegs.

Im übrigen vergessen jene, die nun noch lauter eine Abschottung Deutschlands fordern, dass es auch sogenannten „home grown terrorism“ gibt: Ob der rechtsextreme Norweger Anders Breivik, der 77 andersdenkende Norweger umbrachte, fanatische Attentäter in den USA oder die Amokläufer in deutschen Schulen. Vor solchen Taten hilft auch kein Stopp der Aufnahme von Flüchtlingen. Es gibt in Wirklichkeit überhaupt keine Sicherheit mehr.

„Die Antwort auf die Attacken muss heißen: mehr Demokratie und mehr Offenheit. Andernfalls werden diejenigen, die dahinter stecken, ihre Ziele erreicht haben.“ Das hatte der damalige norwegische Ministerpräsident und heutige Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach Breiviks Amoklauf 2011 gemahnt. Doch es fällt so schwer, ruhig zu bleiben, sachlich und besonnen. Die Ereignisse haben aufgewühlt. Nichts ist heute mehr so wie gestern.

Allein, dass solch ein Laster-Attentat inmitten Berlins, auf dem Platz, auf dem ich am vorigen Sonnabend noch war, möglich ist, lässt mich hilflos zurück. Aber da ist auch die Angst, dass nun völlig übertrieben – ob irrational oder bewusst – reagiert wird.

Ganz hilflos sind wir aber nicht. Auch wenn es den Terror nicht völlig verhindern wird, so sollten wir doch nun alles dafür tun, dass gerade unsere Kinder die Ereignisse verarbeiten können. In allen Schulen sollte es nun dringend und schnell Kurse geben, wie mit der Angst umgegangen werden kann. Mit der Angst vor Terror, vor Anschlägen, aber auch mit der Angst vor persönlichen Rückschlägen. Angst gebiert Hass, Hass gebiert Gewalt. Wer eine Spirale der Gewalt verhindern will, muss alles dafür tun, dass unsere Kinder lernen, über Angst zu reden und mit Ängsten umzugehen.

Das wird fanatisierte Radikale nicht erreichen, vielleicht Anschläge nicht verunmöglichen. Aber es wird gerade jungen Menschen helfen, mit ihren Ängsten umgehen zu lernen. Und es hilft vielleicht, Hass als Reaktion auf von anderen geschürte Ängste zu verhindern und Nachdenken vor Zuschlagen zu stellen. Eine Atempause haben wir jetzt alle verdient.

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