Nach dem Tod von Anis Amri „Wünsche uns jetzt wirklich friedliche Weihnachten“

Er war der meistgesuchte Mann Europas: Bei einer Kontrolle in Italien geht Anis Amri der Polizei ins Netz und stirbt. Die Suche nach Komplizen beginnt. Thomas de Maizière hofft nun auf ruhige Festtage.

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Am Freitag erklärte der Innenminister: „Ich wünsche uns jetzt wirklich friedliche Weihnachten.“ Quelle: AFP

Mailand, Berlin Es ist mitten in der Nacht in Sesto San Giovanni. 25 Minuten braucht man von hier aus mit der Metro nach Mailand. Zwei junge Polizisten schieben in der Nähe des Bahnhofs der 80.000-Einwohner-Stadt Wache. Da fällt Luca S. und Christian M. ein Mann auf. Sie fragen ihn nach seinen Papieren. Dann geht alles ganz schnell: Statt eines Ausweises zieht der Mann eine Pistole, schießt, die Polizisten feuern zurück. Und töten: den mutmaßlichen Attentäter von Berlin.

Anis Amri ist tot. In Italien endet das Drama vom Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, bei dem Amri einen Lastwagen in eine Menschenmenge gelenkt haben soll. Mindestens 12 Menschen starben dabei, 53 wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Amri setzte sich unbehelligt mit dem Zug ab, erst nach Frankreich, dann nach Italien. Gestoppt haben ihn die 29 und 36 Jahre alten Polizisten, die nun nicht nur in Italien wie Helden gefeiert werden.

Italiens Präsident lässt Grüße ausrichten, der Premierminister dankt, der Innenminister ruft die beiden an, der Mailänder Polizeipräsident lobt. Vorbildlich, professionell, pflichtbewusst, mutig hätten sich die beiden verhalten. S., der den entscheidenden Schuss abgibt und Amri in den Brustkorb trifft. M., der dem Verdächtigen aufgrund seines Akzents nicht abnimmt, dass dieser aus dem süditalienischen Reggio Calabria kommt, auf die Papiere beharrt und schließlich von dem extrem gefährlichen Amri angeschossen wird.

Die mehr als dreitägige Suche nach Amri, dessen Bild nach dem Attentat durch ganz Europa ging, ist damit vorbei. Innenminister Thomas de Maizière schien erleichtert. „Ich wünsche uns jetzt wirklich friedliche Weihnachten“, erklärte er am Freitag.

Doch die Behörden ruhen nicht: Generalbundesanwalt Peter Frank betonte am Freitag, nach Amris Tod sei „von großer Bedeutung“, ob er ein Unterstützernetzwerk, Mitwisser oder Gehilfen hatte. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte eine rasche Überprüfung an, „inwieweit staatliche Maßnahmen verändert werden müssen“. Sie dringt auf schnellere Abschiebungen nach Tunesien.

Das IS-Sprachrohr Amak veröffentlichte am Freitag ein Video, auf dem der mutmaßliche Berlin-Attentäter zu sehen sein soll. In der knapp dreiminütigen Aufnahme schwört Amri dem Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Abu Bakr al-Bagdadi, die Treue. Die Echtheit der des Videos, das in Berlin aufgenommen worden sein könnte, konnte zunächst nicht unabhängig bestätigt werden.

Für die Bundesanwaltschaft sei „vor allem auch von Interesse, ob die Waffe, die bei Anis Amri in Mailand gefunden wurde, die Tatwaffe von Berlin ist“, sagte Frank. Amris Fingerabdrücke wurden mehrfach an dem Lkw sichergestellt.

Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigten rasche Beratungen über Konsequenzen aus dem Terroranschlag an. Bei den Gesprächen werde es im Januar „insbesondere um die Fragen gehen, wie Ausreisepflichtige so schnell wie möglich abgeschoben werden und wie Gefährder noch besser überwacht werden können“, sagte Maas. Deutsche Sicherheitsbehörden hatten den Tunesier als Gefährder im Blick. De Maizière verwies auf seinen „längst“ vorliegenden Gesetzentwurf zur Abschiebehaft bei ausreisepflichtigen Gefährdern und zur Ausgestaltung der Duldung. „Darüber hinaus werde ich mir vorbehalten, weitere Vorschläge zu unterbreiten, um Deutschland noch sicherer zu machen.“


„Großer Dank an die italienische Polizei“

Merkel erklärte, sie habe mit dem tunesischen Präsidenten Beji Caid Essebsi telefoniert. „Ich habe dem Präsidenten gesagt, dass wir den Rückführungsprozess (...) noch deutlich beschleunigen und die Zahl der Zurückgeführten weiter erhöhen müssen.“ Bei der Frage der Rückführungen habe es im laufenden Jahr bereits Fortschritte gegeben. Nach dem Anschlag war bekannt geworden, dass eine Abschiebung Amris gescheitert war, weil er keinen Pass hatte. Merkel würdigte das Eingreifen der italienischen Behörden. „Unser großer Dank geht an die italienische Polizei und die übrigen Kräfte von Sicherheit und Justiz für die denkbar engste Zusammenarbeit in diesem Fall.“

Auf Amris Spur waren die Berliner Ermittler gekommen, als sie in dem Lastwagen seine Duldungspapiere fanden. Der 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereiste Tunesier war Medienberichten zufolge in Italien und seinem Heimatland zu Haftstrafen verurteilt worden.

Merkel betonte am Freitag, bei aller momentanen Erleichterung bestehe die Gefahr des Terrorismus „wie seit vielen Jahren weiter“. Für sie selbst wie für die gesamte Bundesregierung sei es oberste Pflicht des Staates, die Bürger zu schützen. Merkel fügte hinzu: „Unsere Demokratie, unser Rechtsstaat, unsere Werte, unsere Mitmenschlichkeit – sie sind der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus. Und sie werden stärker sein als der Terrorismus.“

Die deutschen Behörden überprüften nach dem Anschlag von Berlin Sicherheitsmaßnahmen auf allen Ebenen und verstärkten sie vielfach, bekräftigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. „Gehen Sie ganz generell davon aus, dass alle Behörden in Bund und Ländern nach solchen Anschlägen alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen noch einmal durchgehen, sozusagen jeden Stein umdrehen.“ Welche Schritte nach dem Anschlag im Detail ergriffen worden seien, wolle er nicht sagen – damit Menschen, die etwas planten, davon nichts erführen.

Der italienische Polizist Christian M., der von Amri angeschossen wurde, ist derweil wieder auf dem Weg der Besserung. Für Amri dagegen schließt sich mit seinem Tod der Kreis zu seiner Vergangenheit in Europa. Dort war er 2011 als Flüchtling angekommen, gab sich als Minderjähriger aus, wurde schließlich wegen verschiedener Gewalttaten verhaftet und kam ins Gefängnis. Angeblich wollte er am Freitag von Mailand nach Süditalien weiterreisen, berichteten Medien. Dort war er auch, bevor er das Land wegen seiner Straftaten verlassen musste – und sich auf den unheilvollen Weg nach Deutschland machte.

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