Nach Führungstreffen CDU-Spitze will große Koalition

Nach dem Jamaika-Scheitern hat die CDU-Spitze festgelegt, dass sie der Minderheitsregierung eine klare Absage erteilen will und auf eine erneute Koalition mit der SPD setzt.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Daniel Günther, Landesvorsitzender Spitzenkandidat der CDU in Schleswig-Holstein Quelle: dpa

Die CDU-Spitze strebt eine erneute Koalition mit der SPD an und hat einer Minderheitsregierung eine klare Absage erteilt. "Wir haben die feste Absicht, dass es eine handlungsfähige Regierung gibt", sagte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther am Sonntagabend nach vierstündigen Beratungen des CDU-Präsidiums in Berlin. Dies sei keine Minderheitsregierung, sondern ein Bündnis, das eine parlamentarische Mehrheit habe. "Das ist die große Koalition." Nur wenn die Verhandlungen mit der SPD scheiterten, müsse man neu nachdenken. Von den Sozialdemokraten wurden neue Forderungen zur Bildung eines Bündnisses laut.

Union und SPD haben sich in den vergangenen Tagen aufeinander zubewegt. So lehnte CDU-Chefin Angela Merkel zuletzt am Wochenende Neuwahlen ab. Ihr CSU-Kollege Horst Seehofer sieht in einem Bündnis von Union und SPD die "beste Variante für Deutschland". SPD-Chef Martin Schulz ist dagegen zurückhaltender.

Weil die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl das schlechteste Ergebnis nach dem Zweiten Weltkrieg kassierten, kündigte er noch am Wahlabend den Gang in die Opposition an. Nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen von Union, FDP und Grünen soll es nun aber doch Gespräche geben. Zunächst ist für Donnerstag ein Treffen der Chefs von CDU, CSU und SPD bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geplant.

Diese Entscheidungen liegen jetzt auf Eis
Peter Altmaier, kommissarischer Bundesfinanzminister Quelle: dpa
1. Der Haushalt arbeitet mit HandbremseProblematisch ist eine derartige vorläufige Haushaltsführung allerdings für die Bereiche und Ressorts, die eigentlich dringend mehr Mittel erhalten sollten. Dazu zählen derzeit Verteidigung, Bildung und Forschung, der Breitbandausbau, die innere Sicherheit und Verkehrsinvestitionen des Bundes. Geld, dass entweder für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit oder für mehr Sicherheit ausgegeben werden sollte, ist somit blockiert – womöglich bis weit ins Jahr 2018. Quelle: AP
2. Der EU-Reformmotor stocktDie Suche nach einer neuen Koalition in Berlin beeinträchtigt auch den EU-Politikbetrieb. „Ohne neue deutsche Regierung kann keine wichtige Entscheidung in Brüssel fallen“, sagt der EU-Botschafter eines großen Landes. Vor allem die Debatte über die Reform der Eurozone kann nicht wirklich anlaufen, so lange die geschäftsführende Bundeskanzlerin nicht weiß, unter welchen Umständen sie in den kommenden vier Jahren regieren wird. Bis zum Juni 2018 wollten die Staats- und Regierungschefs eigentlich entscheiden, ob sie den europäischen Rettungsschirm ESM in einen Europäischen Währungsfonds umwandeln wollen. Auch die Einführung eines  Euro-Finanzministers und eines eigenen Budgets für die Eurozone – beides fordert vehement der französische Präsident Emmanuel Macron – sollten bis dahin geklärt sein. Aus diesem Zeitplan wird wohl nichts.  „Es ist nicht lustig, wenn Deutschland als aktiver Faktor in der europäischen Politik über Monate ausfällt“, sagt der erfahrene CDU-Europa-Abgeordnete Elmar Brok. Quelle: dpa
3. Brexit-Deals werden unwahrscheinlicherEin ganz ähnliches Bild auch beim Brexit: In den laufenden Verhandlungen fällt Merkel in den kommenden Monaten als Schrittmacherin aus. Natürlich sind hier zunächst die Briten am Zug. Denn nur, wenn sie ausreichend auf die Forderungen der restlichen EU-Staaten eingehen, kann beim EU-Gipfel im Dezember die Entscheidung fallen, die zweite Phase der Verhandlungen zu eröffnen und endlich über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU zu sprechen. Quelle: dpa
3. Brexit-Deals werden unwahrscheinlicherAls Kanzlerin des größten Mitgliedsstaates, dessen Wirtschaft vom Brexit stark betroffen wäre, fällt Merkel bei den Verhandlungen aber eine besondere Rolle zu. Und auch wenn der Franzose Michel Barnier offiziell für die 27 EU-Staaten verhandelt, so wissen alle, dass es an heiklen Punkten nützlich sein wird, wenn Merkel mit der britischen Ministerpräsidentin Theresa May telefoniert. Mit dem Zusatz „geschäftsführend“ hat Merkel bei solchen Interventionen weder die gewohnte Autorität noch den Spielraum. Quelle: REUTERS
4. Deutschen Autobauern fehlt es an Unterstützung in BrüsselUnd nochmal Europa. Ohne Regierung in Berlin kann sich Deutschland auch bei einem für die Automobilindustrie extrem wichtigen Sachthema nicht positionieren: Den CO2-Limits nach 2021. Die EU-Kommission hat dazu Anfang November einen Vorschlag vorgelegt, der nun in die Gesetzgebung im Europäischen Parlament und zu den Fachministern der EU geht. Frankreich hält die Vorgaben der EU-Kommission nicht für streng genug und besetzt damit schon einmal eine eindeutige Verhandlungsposition. Wenn Deutschland mit Verspätung antritt, wird das ein strategischer Nachteil sein. Quelle: dpa
4. Deutschen Autobauern fehlt es an Unterstützung in BrüsselÜblicherweise kann sich die deutsche Automobilindustrie auf Schützenhilfe jeder Bundesregierung in Brüssel verlassen. kein Wunder, dass Matthias Wissmann, der Präsident des Automobilverbandes VDA bereits appelliert: „Deutschland braucht eine stabile Regierung, die die marktwirtschaftlichen Kräfte stärkt und die Balance hält zwischen einer engagierten Industrie- und Wirtschaftspolitik einerseits und einer verantwortungsvollen Umwelt- und Sozialpolitik andererseits.“  Würgt uns nicht den Industriestandort ab, soll das übersetzt heißen. Quelle: dpa

Aus CDU-Kreisen verlautete, man wolle sich erst nach dem SPD-Parteitag auf eine Verhandlungslinie festlegen. Zunächst müssten die Sozialdemokraten sagen, wozu sie bereitstünden. Die SPD will vom 7. bis 9. Dezember in Berlin zusammenkommen.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) will nach eigenen Worten eine Neuauflage der großen Koalition vermeiden. Sie schlug im ZDF stattdessen die Tolerierung einer von der Union gebildeten Minderheitsregierung unter Merkel vor.

Noch vor Beginn von Gesprächen gibt es zwischen Union und SPD bereits inhaltliche Auseinandersetzungen. Es sollten nicht praktisch im Stundentakt rote Linien gezogen werden, kritisierte der stellvertretende CDU-Chef Volker Bouffier. "Wer sich jetzt zum Scheinriesen aufbläst und sozusagen ununterbrochen fordert, was wir jetzt tun müssten, dem möchte ich sagen: Er soll es nicht übertreiben." Seine Kollegin Julia Klöckner sagte: "Wir haben in vier Wochen Weihnachten. Dennoch sollte man mit Wunschzetteln sehr realistisch umgehen." Konkret äußerte sich Klöckner über die von der SPD geforderte Bürgerversicherung. Die Abschaffung der privaten Krankenversicherung würde am Ende alle Versicherten teurer zu stehen kommen.

Aus der SPD wurden indes neue Forderungen laut. So pocht der stellvertretende Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel darauf, dass die Sozialdemokraten bei einer Zusammenarbeit mit der Union ihre Steuerpläne durchsetzen. "Grundlage für alle Optionen ist unser Steuerkonzept aus dem Wahlkampf", sagte er der "Rheinischen Post". So müsse der Solidaritätszuschlag ab 2020 für untere und mittlere Einkommen entfallen. Gleichzeitig werde die Einkommensteuer für große Vermögen steigen. Auch Steuerflucht müsse entschieden bekämpft werden. Das führe zu Entlastungen von 15 Milliarden Euro, sagte Schäfer-Gümbel. "Diese Vorgaben gelten, weil es mit uns kein 'Weiter so' geben wird."

Für Streit könnte auch die Europapolitik sorgen, über die das CDU-Präsidium am Sonntagabend ebenfalls beriet. Merkel habe gemahnt, dass die Union eine Position haben müsse, wie man auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron reagieren wolle, hieß es in Teilnehmerkreisen. Hintergrund ist auch, dass die SPD als Voraussetzung für die Bildung einer Koalition weitreichende Zusagen bei der Reform der Euro-Zone verlangen könnte.

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