Nach Jamaika-Scheitern Steinmeier sucht nach dem Ausweg

Nach dem überraschenden Abbruch der Gespräche über ein Jamaika-Bündnis sucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation. Heute trifft er FDP-Chef Christian Lindner.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will Neuwahlen vermeiden. Quelle: AP

Es ist die Quadratur des Kreises, die der Bundespräsident da vor sich hat. Steinmeier will Neuwahlen vermeiden. Doch keiner weiß so recht, wie das gehen soll. Steinmeier will heute mit FDP-Chef Christian Lindner ausloten, ob es noch Chancen für eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen gibt. Das Treffen sei um 16 Uhr geplant, sagte Lindners Sprecher der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Dem Vernehmen nach empfängt Steinmeier noch vor Lindner die Grünen-Vorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir in seinem Amtssitz Schloss Bellevue. Sollten die Jamaika-Sondierungen nicht wieder aufgenommen werden, drohen Neuwahlen.

Nach dem Scheitern der Gespräche über ein schwarz-gelb-grünes Bündnis hatte Steinmeier die Parteien aufgerufen, sich erneut um eine Regierungsbildung zu bemühen. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, sagte Steinmeier am Montag nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Schloss Bellevue.

Die FDP hatte die Verhandlungen am späten Montagabend platzen lassen und erklärt, man habe keine Vertrauensbasis mit den Partnern gefunden. Lindner widersprach am Montagabend in der ARD der Darstellung, man sei kurz vor einer Einigung gewesen. „Meine Perspektive war: Wir haben nach 50 Tagen noch 237 Konflikte gehabt.“ Er fügte hinzu: „Der gesamte Text, den wir erarbeitet haben, der ist gewoben mit einem grünen Faden.“ Die Grünen hatten der FDP die Schuld für den Abbruch der Gespräche gegeben.

An diesem Mittwoch trifft sich der Bundespräsident außerdem mit dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz. Allerdings hat die SPD-Spitze bereits ihr Nein zu einer Wiederauflage der großen Koalition bekräftigt. In der ARD erklärte Schulz am Montagabend, er gehe von Neuwahlen aus. „Wenn jetzt die Wählerinnen und Wähler bewerten sollen, wie die Jamaika-Koalition an die Wand gefahren worden ist, dann (...) sind Neuwahlen eine Möglichkeit.“ Unterstützung erhielt Schulz vom Ex-SPD-Chef Kurt Beck. Die SPD müsse das Votum der Wähler respektieren, die eine große Koalition nicht mehr gewollt hätten. „Sondierungsgespräche sind also sinnlos“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Dienstag).

In der Union gibt es trotzdem noch Hoffnung, dass Neuwahlen vermieden werden können. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte am Montagabend, die „Totalverweigerung“ der SPD sei nicht gut für das Land. Bevor man vorschnell Neuwahlen ausrufe, müsse man alle Möglichkeiten ausloten, die zur Verfügung stehen. Der schleswig-holsteinische Regierungschef Daniel Günther, der in Kiel eine Jamaika-Koalition führt, sagte in den ARD-„Tagesthemen“, alle Parteien sollten noch einmal deutlich nachdenken, denn Neuwahlen „wäre der schlechteste Weg, den wir gehen könnten“.

Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster setzt auf eine Wiederaufnahme der Jamaika-Gespräche. Er sagte der „Heilbronner Stimme“ (Dienstag): „Neuwahlen bringen aus meiner Sicht nichts, außer einer aufwendigen Warteschleife, mit danach ähnlichen Ergebnissen. Ich hoffe nach einer kleinen Pause auf die Wiederaufnahme der Jamaika-Gespräche.“ Steinmeier habe da eine wichtige Rolle.

"Unser Land verträgt keinen Stillstand"
Matthias Müller, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG"Unser Land verträgt keinen Stillstand", erklärt VW-Chef Matthias Müller. Es müssten wichtige Entscheidungen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands getroffen und deshalb schnell klare Verhältnisse geschaffen werden. "Eine Hängepartie können wir uns nicht erlauben." Quelle: dpa
Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats ("Die fünf Wirtschaftsweisen")Der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, hat angesichts des Scheiterns der Jamaika-Sondierungen vor einem Regierungsbündnis aus ständig miteinander streitenden Parteien gewarnt. "Ein Bündnis, deren Partner sich in den kommenden Jahren vor allem gegenseitig blockieren würden, wäre wohl noch schlechter als eine schleppende Regierungsbildung", sagte Schmidt am Montag. Auch habe der Abbruch der Gespräche für eine Koalition aus Union, FDP und Grünen die Ausgangslage für die deutsche Wirtschaft derzeit kaum verändert. "In jedem Fall sind die negativen Auswirkungen der gescheiterten Jamaika-Sondierungen eher langfristiger als konjunktureller Natur", sagte der Ökonom. Nach wie vor sei die konjunkturelle Lage in Deutschland sehr gut, betonte Schmidt. Die Wirtschaft erlebe einen langen und robusten Aufschwung. Allerdings gebe es mittel- und langfristig große Herausforderungen, wie der demografische Wandel, die Digitalisierung oder die Fortentwicklung der Europäischen Union. Darauf müsse eine neue Regierung Antworten finden. Quelle: dpa
Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts Quelle: dpa
Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer Quelle: REUTERS
Thilo Brodtmann, VDMA-Hauptgeschäftsführer Quelle: VDMA
Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen Quelle: Presse
Matthias Wahl, Präsident des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) Quelle: PR

Merkel will im Fall von Neuwahlen wieder als Kanzlerkandidatin antreten. Sie habe ihren Wählern vor der Bundestagswahl versprochen, vier weitere Jahre im Amt bleiben zu wollen. Es wäre doch jetzt „komisch“, wenn sie dieses Versprechen brechen würde. In der Union wurde die Ankündigung begrüßt. JU-Chef Paul Ziemiak zeigte sich „sehr beruhigt“, dass Merkel wieder antreten will. „Wir sind alle froh, dass sie auch ihrer Verantwortung nachkommt“, sagte Ziemiak im ARD-Talk „Plasberg“. Das sei die Stimmung im CDU-Vorstand und in der Unions-Fraktion gewesen.

Auch Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) setzt darauf, dass Merkel weitermacht. Er sagte der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“: „Ich hatte nicht den Eindruck, dass da in der Union eine große Kanzlerinnendebatte ausgebrochen ist. Sie macht auf mich weiterhin einen starken Eindruck.“

Merkel ließ am Montag erkennen, dass die Frage einer großen Koalition für sie noch nicht ganz abgehakt ist. Ob sie auf die SPD noch einmal zugehen werde, hänge von dem Ergebnis der geplanten Gespräche zwischen Steinmeier und der SPD ab. „Ich bin zu Gesprächen natürlich bereit“, betonte sie.

Schulz hielt es für unverschämt, dass Merkel schon wieder ihre Kanzlerkandidatur erklärt hat. Im Interview mit dem Fernsehsender RTL sagte Schulz am Montagabend: „Dass Frau Merkel jetzt schon wieder ins Fernsehen rennt und ihre Kandidatur verkündet, finde ich, ist auch eine Missachtung der Gespräche, die der Bundespräsident ja gerade von allen Parteien angemahnt und eingefordert hat.“

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