Nach Krawallen in Heidenau Auf Umwegen zur Willkommenskultur

Vor einer Woche flogen Steine und Böller in Heidenau. Nun feiern Flüchtlinge und zahlreiche Helfer gemeinsam ein Willkommensfest. Sachsens Innenminister Markus Ulbig muss viel Kritik einstecken.

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Ein Flüchtlingsmädchen bekommt auf einem Willkommensfest für Flüchtlinge Spielzeug. Das Willkommensfest hatte das Bündnis Dresden Nazifrei organisiert. Quelle: dpa

Heidenau Der kleine Mohammed hat noch nie Seifenblasen gesehen. Er läuft über den Parkplatz des zur Flüchtlingsunterkunft umgebauten früheren Baumarkts in Heidenau und pustet die bunten Bläschen in die Luft. „Deutschland ist so schön“, sagt sein Vater, der ebenfalls Mohammed heißt. Vor rund einem Monat flüchtete er mit seiner Familie vor dem syrischen Bürgerkrieg. Jetzt stehen sie neben einer gelben Hüpfburg – in Heidenau in Sachsen. Im Hintergrund läuft fröhliche Musik. Dass das Willkommensfest des Bündnisses Dresden Nazifrei von zahlreichen Polizisten gesichert wird, bekommt der kleine Junge gar nicht mit. Auch nicht, dass das Fest bis zum letzten Moment auf der Kippe stand.

Genau eine Woche nach Ausbruch der rechten und rassistischen Krawalle, die die Kleinstadt in die Schlagzeilen brachte, herrscht Volksfeststimmung vor dem Baumarktgebäude, in dem knapp 600 Flüchtlinge untergebracht sind. Mit einem Zwölftonner haben Freiwillige Kleidung, Spielsachen und Bücher aus Berlin gebracht. Nun liegen sie bunt verteilt und zur Abholung bereit auf der Wiese neben dem Parkplatz. Dort, wo am vergangenen Sonntag noch Glasscherben und Reste von Feuerwerkskörpern lagen, suchen jetzt Mütter mit ihren Kindern nach passenden Kleidungsstücken und Stofftieren.

„Warum soll ich Angst haben?“, fragt der 22-jährige Ahsan aus Pakistan und lacht. Ihm gefalle es hier in Heidenau sehr gut. Er spielt Fußball mit den Heidenauern, die es auch gibt: hilfsbereite Bürger, die sich für Flüchtlinge engagieren und hier die Chance zur Begegnung mit den neuen Nachbarn nutzen. „Es ist gut, dass das Fest stattfindet“, sagt die 19 Jahre alte Luise, die nur wenige Meter von dem Baumarkt entfernt wohnt.

Nicht mal zwei Stunden vorher hatte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) grünes Licht für das Fest gegeben, nachdem am Vorabend noch die Versammlungsbehörde des Landkreises ein Verbot ausgesprochen hatte. Von einem Kniefall vor dem braunen Mob war anschließend bundesweit die Rede. Am Mittag dann wurde das Verbot vom Verwaltungsgericht per Eilentscheid kassiert.

Als Ulbig am Nachmittag auf dem Parkplatz am Baumarkt erscheint, wird er mit „Hau-ab“-Rufen und Pfiffen empfangen. Sofort bildet sich ein Pulk von etwa 30 zumeist linken Demonstranten um den CDU-Politiker. Auch einige Flüchtlinge beschimpfen ihn wüst. Er könne die Kritik nur teilweise verstehen, sagt Ulbig. „Weil ich mit dafür gesorgt habe, dass diese Veranstaltung hier stattfinden kann.“ Auf dem Weg zurück zu seinem Wagen wird er von Demonstranten verfolgt. Seine Sicherheitsleute können sie nur mit Mühe zurückhalten.

Ganz ohne Personenschutz kommt wenig später der nächste Regierungsrepräsentant. Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig wird freundlich empfangen. „Es ist wichtig, dass wir starke Zeichen setzen, starke Zeichen der Willkommenskultur“, sagt der SPD-Landesvorsitzende.

Schon am Morgen hatte er seinen Kabinettskollegen Ulbig bedrängt. Er gehe davon aus, dass das Innenministerium sicherstelle, dass das Fest stattfinden könne. Grünen-Chef Cem Özdemir, der das Fest in Heidenau für mehrere Stunden besucht, empfindet fast Mitleid für Duligs SPD. „Ich kann mir gut vorstellen, dass es für die Sozialdemokraten nicht einfach ist, mit einem Koalitionspartner zu regieren, der unentschieden ist in der Frage, was Rechtsradikalismus angeht.“

Skeptisch beäugt wird das Fest von der anderen Seite. Immer wieder stehen Menschen vor einem Supermarkt gegenüber und beobachten das Treiben mit ernsten Blicken - unter den Augen der Polizei, die ebenfalls Präsenz zeigt.

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