Nach Lagarde-Vorstoß Ökonom rüttelt an EU-Schuldengrenze

Infolge der Euro-Krise ist die vertraglich vereinbarte Defizit-Grenze praktisch schon obsolet geworden. Der IWF fordert, die Grenze nach oben zu verschieben, Wirtschaftsforscher Horn will sie ganz abschaffen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Schuldenuhr beim Bund der Steuerzahler (BdSt) in Düsseldorf: Wie hoch darf Staatsverschuldung sein? Quelle: dpa

Der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, hat sich dafür ausgesprochen, die Maastrichter Schuldengrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) abzuschaffen. Horn geht damit noch weiter als die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, die gefordert hatte, das geltende Limit in Richtung des effektiven Schuldenstandes anzuheben - derzeit wären das in der Euro-Zone 94 Prozent.

„Die  derzeitige  Lage enthüllt die Problematik starrer wirtschaftspolitischer Regelbindungen“, sagte Horn dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Die Festsetzung von exakt quantifizierten Schwellenwerten laufe daher immer wieder Gefahr, an der Realität zu scheitern und damit wirtschaftspolitische Entscheidungen ihrer Glaubwürdigkeit zu berauben.

„Insofern ist es zwar vernünftig, die 60-Prozent-Schwelle abzuschaffen, es ist aber unsinnig, sie durch eine neue starre Schwelle zu ersetzen, die möglicherweise auch wieder revidiert werden muss“, betonte der IMK-Chef. „Gefordert ist fiskalische Flexibilität, die  Verschuldung wie auch Entschuldung an den jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert.“

Horn wies in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeit hin, zu beurteilen, ob sich die derzeitige Schuldenobergrenze tatsächlich negativ auf die wirtschaftliche Lage der einzelnen Staaten auswirkt. Es gebe keinen empirischen Beleg  dafür, „dass die wirtschaftliche Entwicklung ab einem Schuldenstand  von 60 Prozent schlechter verläuft“, sagte er. Er fügte allerdings hinzu: „Sie verläuft aber auch nicht besser.“

Gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Leistung lässt der Maastrichter Vertrag zum Schutz des Euro eigentlich nur 60 Prozent Verschuldung zu. Staatsschulden in dieser Größenordnung sind langfristig tragbar, wenn man die in Europa üblichen Wachstumsraten berücksichtigt. Durch die Folgen der Finanzkrise ist diese Quote jedoch in allen Ländern sprunghaft gestiegen.

„Frau Lagarde macht es sich zu einfach“

Lagarde plädierte auf einer Konferenz von Zentralbankchefs der Banque de France am vergangenen Freitag in Paris dafür, diese Schwellen zu revidieren. „In der EU sollte die 60-Prozent-Grenze angepasst werden mit Blick auf die Schuldenstände, die heute tatsächlich erreicht sind“, sagte die frühere französische Finanzministerin in einer Diskussionsrunde, an der auch die Fed-Chefin Janet Yellen und EZB-Direktoriumsmitglied Benôit Cœuré teilnahmen.

In der EU liegt der durchschnittliche Schuldenstand mit 88 Prozent weit über dem zulässigen Grenzwert, in der Euro-Zone mit 94 Prozent sogar noch höher. Der Schuldenstand ist ökonomischer wesentlich wichtiger als das jährliche Defizit, weil eine hohe Gesamtverschuldung die Zinslast erhöht, den Spielraum für andere Ausgaben abwürgt und einen Staat bei einem abrupten Zinsanstieg zum Spielball der Finanzmärkte machen kann.

Politiker von Koalition und Opposition erteilten der Forderung Lagardes eine deutliche Absage erteilt. „Einfach nur die Höchstgrenzen der Staatsverschuldung in Europa abzuschaffen ist keine ausreichende Lösung“, sagte der SPD-Bundesvize Thorsten Schäfer-Gümbel dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%