Damit setzt sich im Unternehmerflügel der Aderlass fort, welcher unmittelbar nach dem Parteitag bereits unter Luckes Getreuen begonnen hatte. So erklärten unter anderem der Euro-Kläger Joachim Starbatty, Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, die AfD-Landesvorsitzenden sowie Europaabgeordneten Bernd Kölmel (Baden-Württemberg) und Ulrike Trebesius (Schleswig-Holstein) bereits ihren Rücktritt. Auch Publizist Konrad Adam erwägt einen Austritt. Insgesamt waren laut Bundesgeschäftsstelle rund 600 Mitglieder nach dem Parteitag aus der AfD ausgetreten.
Die neue Parteivorsitzende Frauke Petry versucht indes die Austrittswelle zu stoppen. In einer E-Mail bittet sie die Mitglieder, „keine übereilten Entscheidungen zu treffen“. Gleichzeitig distanziert sie sich von dem pöbelhaften Verhalten einzelner Teilnehmer des Bundesparteitages. „Wir werden uns weiterhin von radikalen und extremistischen Positionen abgrenzen“, verspricht sie.
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Heinrich Weiss, Aufsichtsratschef des Industriekonzerns SMS Siemag und prominenter Unterstützer der AfD, macht das Schicksal der Partei vom Programm abhängig, dass diese sich im Herbst geben will. Den Abgang Luckes sieht Weiss einerseits als Verlust: „Sein Abgang ist bedauerlich, er was das wirtschaftspolitische Hirn der Partei.“ Dennoch glaubt der Unternehmer an Kontinuität: „Es besteht eine gute Chance, dass die AfD auch unter Frauke Petry marktwirtschaftlich und familienkonservativ bleibt.“
Doch an der offensichtlichen Spaltung ändern solche Durchhalteparolen wenig. Die austrittswilligen Unternehmer sehen sich allesamt als die Spitze einer Bewegung. „Mit mir wollen gut 50 Prozent des Kreisverbandes Cuxhaven gehen“, sagt beispielsweise Unternehmerin Schreier.
Der abgewählte Parteivorsitzende Bernd Lucke erwägt unterdessen die Gründung einer neuen Partei, die aus seinem Verein „Weckruf 2015“ hervorgehen könnte. Mehr als 4000 Mitglieder hatten diesen Appell in den vergangenen Wochen unterschrieben, um in der Partei eine klare Abgrenzung nach Rechtsaußen durchzusetzen. In den kommenden Tagen sollen sie jetzt abstimmen, was sie von einer Neugründung halten. Unternehmer Hans Wall ist begeistert von der Idee. „Sollte Bernd Lucke eine neue Partei gründen, bin ich dabei.“