Nach Ottawa-Terror Experten halten Anschlag auf Berliner Reichstag für möglich

Der Angriff auf das Parlament in Ottawa erschüttert Kanada – und wirft die Frage auf, ob solche Attacken auch in Deutschland möglich sind. Polizeigewerkschafter meinen ja, lehnen aber schärfere Schutzmaßnahmen ab.

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Der Reichstag in Berlin - Sitz des Bundestags: Sorge vor Anschlägen durch fanatisierte Einzeltäter. Quelle: dpa

Berlin Nach Einschätzung von Experten ist ein Anschlag wie der auf das kanadische Parlament, auch in Deutschland denkbar. „Die aktuellen Sicherheitsvorfälle der letzten Wochen rund um das Weiße Haus in Washington und aktuell das Attentat auf das Parlament in Ottawa zeigen, dass es keinen 100-prozentigen Schutz vor Anschlägen gibt. Das gilt auch für den Berliner Reichstag“, sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Für Deutschland gelte weiterhin, dass derzeit „eine hohe, aber nur abstrakte Gefahr eines Terroranschlages“ vorliege. Es gebe aktuell jedoch „kein uns bekanntes konkretes Anschlagsrisiko“.

Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft schließt einen terroristischen Angriff wie in Kanada auf den Bundestag nicht aus. „Bei allen Maßnahmen darf man auch nie vergessen, dass es einen absoluten Schutz nicht gibt und insbesondere fanatisierte Einzeltäter völlig unkalkulierbar zuschlagen können“, sagte Verbandschef Rainer Wendt dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Wendt sieht aber keine Notwendigkeit, den Schutz für deutsche Parlamente zu verschärfen. „Die deutschen Parlamentsgebäude sind ausreichend und gut geschützt, da gibt es keinen akuten Veränderungsbedarf.“

Sicherheitspolitik dürfe nicht von Hektik und Angst geprägt sein. „In der Abwägung von Sicherheitsmaßnahmen muss man immer auch im Blick haben, dass wir aus dem Deutschen Bundestag keinen Hochsicherheitstrakt machen wollen, der von hohen Mauer und Stacheldraht umgeben und für die Bevölkerung nicht zugänglich ist, sondern im wahrsten Sinne ,dem deutschen Volke' offen steht.“

Schulz erhofft sich von den Ermittlungen zum Attentat in Ottawa Erkenntnisse zum Umgang mit Terrorverdächtigen in Deutschland. „Wenn es sich bestätigen sollte, dass der oder die Täter einen islamistischen Hintergrund haben und zumindest der erschossene Täter bekannt und als gefährlich eingestuft war und ihm bereits der Pass abgenommen wurde, zeigt dies deutlich die geringe Wirkung von solchen Maßnahmen“, sagte der Polizeigewerkschafter. „Polizei und Verfassungsschutz sind auch in Deutschland nicht in der Lage, als gefährlich eingestufte Islamisten rund um die Uhr zu bewachen. Dafür fehlen die Ressourcen.“

Nach dem Anschlag im Regierungsviertel in der kanadischen Hauptstadt Ottawa sind die meisten Absperrungen inzwischen wieder aufgehoben worden. Premierminister Stephen Harper sagte in einer vom Fernsehen übertragenen Rede, man werde sich von derlei Angriffen nicht einschüchtern lassen. Zugleich kündigte er ein stärkeres Engagement seines Landes im Kampf gegen den internationalen Terrorismus an.


„Schlüsselelement“ der Verhinderung von Attentaten

Ein Mann hatte am Mittwoch in Ottawa in der Nähe des Parlaments einen Wachsoldaten erschossen. Anschließend stürmte er in das Gebäude, wo er von Sicherheitskräften getötet wurde. Medienberichten zufolge handelt es sich bei dem Täter um einen Kanadier, der auf einer Liste von Personen stehe, die als mögliche Terroristen unter Beobachtung stünden. Entgegen ersten Vermutungen handelte er offenbar alleine.

Wendt sagte dazu, das „Schlüsselelement“ der Verhinderung solcher Attentate wie in Ottawa seien gute Informationen über diejenigen, von denen eine Gefahr ausgeht, damit die Sicherheitsbehörden möglichst präzise Gefahrenanalysen erstellen können.

„Deshalb sind gute personelle und technische Ausstattung der Polizei und Nachrichtendienste und die internationale Zusammenarbeit mit anderen Diensten so wichtig“, betonte Wendt. „Es ist deshalb mehr als fahrlässig, wenn Verfassungsschutz und Bundesnachrichtedienst immer wieder mit unhaltbaren Verdächtigungen diskreditiert und geschwächt werden, da muss auch in der deutschen Politik ein Umdenken stattfinden“, fügte der Polizeigewerkschafter hinzu.

Auch Gewerkschafter Schulz unterstrich, dass die Sicherheitsbehörden hinsichtlich der personellen und materiellen Ressourcen in die Lage versetzt werden müssten, das Menschenmögliche für die Sicherheit der Bürger in Deutschland tun zu können. „Gerade hier gibt es noch erheblichen Handlungsbedarf.“

Schulz sagte allerdings auch, dass Sicherheit staatlicherseits nur bis zu einem gewissen Grad garantiert werden könne. „Daran würden auch noch schärfere beziehungsweise in Grundrechte noch einschneidendere Gesetze nichts ändern. Wir dürfen nicht unsere Freiheit für eine vermeintliche Sicherheit opfern“, warnte der Experte. Man dürfe bei aller berechtigten Sorge zudem nicht in Panik verfallen.

Zudem gab er zu bedenken, dass man es mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun habe, das man nicht mit dem Strafgesetzbuch lösen könne. „Aufklärung, Prävention und ein rechtzeitiges Erkennen von Radikalisierungstendenzen sind die Schlüssel zum Erfolg“, sagte er.


Islamisten sollen schon 2010 Reichstag im Visier gehabt haben

Der Reichstag stand schon in der Vergangenheit im Fokus möglicher Terrorattacken. Im November 2010 hatten die deutschen Sicherheitsbehörden Hinweise darauf, dass Islamisten einen Anschlag auf den Reichstag ins Auge gefasst haben könnten. Daraufhin waren die Sicherheitsmaßnahmen am Parlamentsgebäude deutlich erhöht worden.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warnte damals öffentlich vor möglichen Anschlägen in Deutschland. Die Sicherheitsbehörden waren damals  von befreundeten Geheimdiensten informiert worden und gingen auch eigenen konkreten Hinweisen nach. Angeblich plane einer der obersten Führer des Terrornetzes Al Qaeda, junge Islamisten für längerfristige Anschläge zu rekrutieren, um den Westen - auf welche Art auch immer - wirtschaftlich zu schwächen.

Auch befürchteten die Sicherheitsbehörden ein Szenario nach dem Muster der blutigen Anschläge von Mumbai. Dort griffen 2008 islamistische Terroristen prominente Ziele und richteten ein Blutbad an. Zudem ist von „Schläfern“ in Europa die Rede, die bislang unauffällig sind, aber nur auf ihre Einsatz warten könnten.

Wesentliche Hinweise von damals erwiesen sich aber zwei Monate später als nicht so ernst wie zunächst angenommen. Informationen, wonach bereits eine indisch-islamische Gruppe auf dem Weg nach Deutschland sein sollte, bewahrheiteten sich nicht. Zudem verstrichen der November des Jahres 2010, Weihnachten und der Jahreswechsel, ohne dass etwas passierte. Die USA hatten zudem ihren Reisehinweis für Europa aus dem Herbst nicht verlängert.

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