Nach Wahlschlappe CDU hat mehr Angst vor Merkel als vor dem Wähler

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CDU reagiert arrogant und ignorant

Die Fronde findet in der Schwesterpartei CSU statt – aber selbst dort nur mit angezogener Handbremse. Angeblich, so die "Bild"-Zeitung, spielt deren Chef Horst Seehofer mit dem Gedanken als CSU-Spitzenkandidat zur kommenden Wahl an- und als „starker Mann“ und Gegenpol zu Merkel in ein neues Kabinett einzutreten. Auf den Sturz der Kanzlerin hofft man da anscheinend auch nicht.

Aus der CDU vernimmt man statt Merkel-Kritik Reaktionen von verblüffender Arroganz und unfassbarer Ignoranz. Ruprecht Polenz beschimpfte indirekt die ungebildeten Wähler: "Wenn in einem Land mit der geringsten Bevölkerungsdichte und den wenigsten Flüchtlingen 22 Prozent die AfD wählen, aus Angst vor Flüchtlingen, dann sollte die Regierung nicht ihre Flüchtlingspolitik überprüfen. Sondern ihre Bildungspolitik."

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Bundesinnenminister Thomas de Maizière behauptet entgegen aller Evidenz, dass die Erfolge der AfD nichts mit der Flüchtlingskrise zu tun hätten. Man fragt sich, in welchem Land dieser Minister die letzten zwölf Monate verbracht hat. Die Bundeskanzlerin selbst gab in ihrer Stellungnahme vom G20-Treffen in China zu, dass es darum bei den Wahlen gegangen sei.

Zu erklären ist diese Mischung aus sturer Nibelungentreue und Fatalismus nicht rational, sondern allenfalls partei-psychologisch. Da die Kanzlerin alle konkurrierenden Führungspersönlichkeiten längst beseitigt hat und die CDU seit der Kohl-Ära die programmatische Arbeit eingestellt und dadurch das übers Taktische hinausgehende politische Denken verlernt hat, fehlt dem Widerstand gegen den aktuellen Kurs sowohl das Personal als auch die leitende Idee. Der Horror Vacui, die schiere Angst vor dem völligen Zerfall dieser morschen Partei, verführt ihre Mandats- und Funktionsträger dazu, die Reihen umso fester um die Anführerin zu schließen. Nur sie allein steht noch für Bedeutung und Macht.

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Wenn immer manche Journalisten oder externe Beobachter den Sturz Merkels an die Wand malen, reagiert die Partei mit umso stärkeren Beschwörungen der Treue. Der äußerliche Höhepunkt dieses seltsamen Reflexes war die bizarre Klatschorgie auf dem Parteitag von Karlsruhe. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, angesichts eines offensichtlichen Kontrollverlusts der von Merkel geführten Bundesregierung und inmitten von Gerüchten über das Ende der Ära Merkel klatschten sich die Delegierten buchstäblich ihre Angst von der Seele.

Seither hört man von CDU-internen Merkel-Kritikern bisweilen die Bitte: Wenn ihr wollt, dass Merkel gestürzt wird, dann schreibt nicht darüber.

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