Nachdruck aus Heft 8/1977 "Den Markt besser begreifen"

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Ist das Resignation?

Je älter ich werde, desto bewusster wird mir, dass alle Probleme der Wirtschaftspolitik Probleme der Moral sind. Es sind Fragen, welche moralische Anschauungen die Erhaltung unserer Kultur fördern oder zumindest möglich machen. Einerseits bestimmen unsere moralischen Anschauungen, welche Institutionen, also welche Einrichtungen, wir schaffen. Andererseits beeinflussen die Einrichtungen dann wieder die moralischen Anschauungen.

Dabei ist die Moral, die die Schaffung der Institutionen bestimmt, und die Moral, die dann diese Institutionen schaffen, vielfach nicht dieselbe. So halten wir es für ungerecht, das Individuum allein für sein Schicksal verantwortlich zu machen. Wir haben daher Institutionen geschaffen, die das Individuum in weitem Maß von der Verantwortung entlasten. Diese Entlastung von der Verantwortung schafft aber eine ganz neue Moral. Der Einzelne glaubt jetzt, einen Anspruch an die Gesellschaft zu haben. Wir haben also diese merkwürdige Wechselwirkung Moral – Institution – Moral. Ich habe mehr und mehr den Verdacht, dass sich der Aufstieg und Verfall von Kulturen durch diese Wechselwirkung in weitem Maße erklären lässt.

Das wichtigste ordnungspolitische Problem heißt heute: Wer entscheidet über die Verwendung der knappen Güter? Welche Lösung sehen Sie?

Es gibt drei Methoden, mit denen die Menschen versuchen, dieses Problem zu lösen. Die erste Methode ist der Markt. Sie haben ihn möglich gemacht durch ein System des Privatrechts, des Eigentumsrechts und der Verträge. Die zweite Möglichkeit ist die irrige Vorstellung, dass wir den Markt ersetzen können, indem eine Zentralbehörde alles Wissen verarbeitet und dann dem Einzelnen sagt, was er tun soll. Das ist zwar wohlmeinend gedacht, aber technisch unmöglich. Schließlich gibt es eine dritte Methode, die allgemein anerkannt ist, nämlich die kooperative syndikalistische Methode, in der Gruppen organisiert sind, um die Funktion des Marktes zu okkupieren.

Ich denke an die Gewerkschaften und alle anderen organisierten Gruppen, die ja keinen anderen Lebenszweck haben, als den Mechanismus des Marktes zu verhindern. Das heißt meistens, auf Kosten anderer sich selbst vor der Notwendigkeit der Anpassung zu schützen und, um es extrem auszudrücken, sich selbst ein größeres Einkommen auf Kosten des Gesamteinkommens zu sichern. Tatsächlich werden wir beherrscht von einer Koalition der kooperativ-syndikalistischen Gewerkschaften mit zentralistischen Sozialisten, und diese beiden zusammen werden – ich spreche allerdings mehr von England als von Deutschland – die Wirtschaft zugrunde richten.  

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