Es geht um die Menschenwürde, existenzsichernde Löhne und die Zukunft der Menschen in den Ländern, die unsere Kleidung unter menschenunwürdigen Bedingungen herstellen. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, zaudert nicht, hehre Zielen zu formulieren, wenn es um das neue Bündnis für nachhaltige Textilien geht.
Was bringt das Textilbündnis von Entwicklungsminister Müller?
Kurzfristig geht es darum, zum ersten Mal alle Akteure, die in Deutschland mit der Herstellung und dem Verkauf von Textilien zu tun haben, in einen regelmäßigen Abstimmungsprozess einzubinden. Mittelfristig sollen sie gemeinsam Strategien entwickeln, damit bei der Herstellung von Kleidung und anderen Textilien ökologische und soziale Mindeststandards eingehalten werden - und zwar von der Baumwollernte bis zum Verkauf des Produktes. Grundlage ist ein Aktionsplan, den das Ministerium gemeinsam mit Verbandsfunktionären und einigen Firmenvertretern entwickelt hat.
Die Gebäude, in denen Textilien produziert werden, sollen sicherer werden, damit so schreckliche Unfälle wie der Einsturz des Rana Plaza in Bangladesch im April 2013 künftig nicht mehr passieren. Kinderarbeit und Arbeitsverhältnisse, die an Sklaverei erinnern, sollen verboten werden. Einige sehr giftige Chemikalien kommen auf den Index.
Das ist eine Forderung vieler Aktivisten, die sich in diesem Bereich engagieren. Auch Minister Müller will ein Siegel einführen, das möglicherweise „grüner Knopf“ heißen könnte. Die Bekleidungsindustrie und die Handelsverbände sträuben sich allerdings bislang dagegen. Sie führen dabei an, gerade viele Mittelständler seien bislang nicht in der Lage, „eine lückenlose und flächendeckende Überwachung sämtlicher Produktionsstufen“ zu gewährleisten.
Nein. Und auch der Beitritt zum Textilbündnis ist freiwillig. Allerdings hoffen die Befürworter des Bündnisses, dass der Prozess eine gewisse Eigendynamik entwickeln wird, so wie damals in den ersten Jahren der Umweltbewegung.
Bisher haben 29 Verbände, Nichtregierungsorganisationen und einige wenige Unternehmen der Textilbranche unterzeichnet. Mehrere Verbände der Bekleidungsindustrie und zwei Handelsverbände hatten allerdings diese Woche erklärt, die Ziele von Müllers Bündnis seien zu ambitioniert. Sie haben ihren Mitgliedern deshalb geraten, bei der Initiative nicht mitzumachen. Mehrere große Konzerne wie Adidas, Aldi, C&A und Puma sind nicht dabei.
Das sieht auch Minister Müller so. Für ihn ist das deutsche Bündnis deshalb auch nur einen ersten Schritt. Später will man auch Akteure aus anderen EU-Staaten mit ins Boot holen.
„Wenn wir bereit sind, nur einen Euro mehr für unsere Jeans zu bezahlen, können Frauen ihre Kinder in die Schule schicken, Gesundheit und Krankenhaus bezahlen“, sagt Müller. Die Käufer im Westen müssten keinen großen Preisanstieg fürchten, auch bei der 9,90-Euro-Jeans seien die Standards umsetzbar. Mit seinem Textilbündnis will der Minister klare Maßnahmen aufstellen, die Mindeststandards für soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit in der Textilproduktion setzt. Von der Baumwolle bis zum Bügel.
So soll etwa in einem ersten Schritt der Anteil fair gehandelter Baumwolle von 20 Prozent in 2016 auf 100 Prozent in 2024 angehoben werden. Der Einsatz gefährlicher Chemikalien soll eingedämmt werden. Zudem sollen Kontrollen an den einzelnen Stationen stattfinden. Wie das konkret aussehen soll, darüber herrscht bislang noch Unklarheit. Das Bündnis stehe am Anfang seiner Arbeit, genaue Schritte würden in den kommenden Wochen und Monaten ausgearbeitet.
Durchaus verfolgt das Bündnis einen ehrenhaften Ansatz, bedenkt man die unmenschlichen Arbeitsbedingungen bei teilweise 15 Cent Stundenlohn bis hin zur Katastrophe von Rana Plaza, einem Fabrikgebäude in Bangladesch, bei dessen Einsturz im vergangenen Jahr mehr als 1100 Menschen starben. Doch so richtig das Engagement ist, so fraglich ist seine Ausbeute.
Das Problem: Dem Textilbündnis fehlt es an starken Partnern – sowohl von Wirtschaftsverbänden als auch großen Unternehmen. Zwar teilen Unternehmen wie C&A, H&M oder Kik die Intentionen des Bündnisses – zu den Erstunterzeichnern gehören sie aber nicht. In einer Stellungnahme Lidls etwa heißt es, man brauche „realistische und vor allem umsetzbare“ Ziele, die auch „international tragfähig“ sind.
Bereits vergangenen Freitag erklärten der Handelsverband Deutschland (HDE) und die Außenhandelsvereinigung (AVE) des Deutschen Einzelhandels sowie der Verband Textil und Mode, der Aktionsplan sei in seiner jetzigen Fassung „noch nicht geeignet“, Verbesserungen für die Schwellenländer zu erringen. „Teile der Maßnahmen sind heute überhaupt nicht realisierbar“, kritisiert ein Sprecher von Textil und Mode. So seien bestimmte Stoffe in der Produktion nicht austauschbar, teils würden feuerhemmende Materialien von der Liste gestrichen.
Ein deutscher Alleingang ist keine Lösung
Ohnehin lasse sich kaum auf allen Stufen die Einhaltung der Maßnahmen nachvollziehen. Die Produktion ist komplex. Nach Angaben von Textil und Mode durchlaufe allein ein Hemd bis zum Handel bis zu 140 Stationen.
Ein weiteres Kernproblem bringt AVE-Geschäftsführer Eggert auf den Punkt: „Ein deutscher Alleingang ist keine Lösung.“ Um wirkliche Veränderungen anzustoßen, müsse die Bundesregierung vielmehr im Schulterschluss mit anderen Industrieländern die Regierungen vor Ort in die Verantwortung nehmen.
Deutsche Unternehmen sind bei Ihren Auftragnehmern meist nur ein Kunde unter vielen. So sagt etwa Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des mittelständischen Outdoor-Ausrüsters Vaude: „Wir selbst können die Unternehmen vor Ort kaum überreden bessere Löhne zu zahlen. Das können eigentlich nur die Großen.“
Doch dem Bündnis fehlt es schon an Grundlegendem, zum Beispiel der Definition, was ein existenzsichernder Lohn überhaupt ist, die Möglichkeiten der Kontrolle sowie politische Absprachen mit den betroffenen Ländern. Vor allem Bangladesch, Kambodscha und Pakistan nannte Minister Müller häufiger.
Bislang scheint das Textilbündnis mehr eine Absichtserklärung als ein klares Konzept, das die Arbeitsbedingungen in den Schwellenländern verändert. Die konkreteste Idee ist da noch ein Verbraucherportal, das im Januar 2015 starten soll. Dort können sich Konsumenten über alle Siegel in der Textilbranche informieren und herausfinden, ob die Produkte wirklich fair gehandelt wurden.
Übrigens: Die Textilien, die die Vorgaben des Bündnisses erfüllen, sollen in Zukunft einen „Grünen Knopf“ bekommen. Ob es in der Masse der Zertifizierungen allerdings noch eine des Bundes braucht, kann dann der Verbraucher entscheiden.