Nachhaltigkeit Die grüne Illusion

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Das rechte Maß finden

Schadet Tiefkühlkost dem Klima und sind Hybrid-Autos besser als ein Benziner? Bei genauer Betrachtung stellt sich oft heraus, dass hinter solchen Annahmen Wunschdenken steckt. Die Kritik am Illusions-Theater wächst.
von Dieter Dürand

Wirtschaftswachstum ist wie jedes andere Wachstum nicht grundsätzlich gut oder schlecht. Das rasante Wirtschaftswachstum Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg oder in China seit den 1980er Jahren ist anders zu bewerten als das durch Staatsschulden hochgeprügelte Wachstum der Industriestaaten in den vergangenen 30 Jahren.

Junge Pflanzen, Tiere oder Menschen wachsen natürlich. Doch ebenso natürlich ist, wie Goethe so schön sagt, „dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen.“ Ungebremstes, übermäßiges Zellwachstum – Hyperplasie – tut bekanntlich keinem Organismus gut, sondern führt zum Tod, wenn es die Grenzen der Belastbarkeit überschreitet.

Wirtschaftswachstum erscheint derzeit für das Funktionieren der Gesellschaft notwendig, aber das ist kein unabänderliches Naturgesetz, sondern liegt in der menschengemachten Organisation der Wirtschaft und der Staaten begründet. Und die verändert sich, wenn Menschen das wollen. Kein höheres Gesetz verdammt uns zum endlosen Wirtschaftswachstum. Es liegt in unserer Hand. Die Wirtschaft wächst, wenn Menschen es können und wollen – und solange die Natur die Rohstoffe dazu hergibt.

Zu dieser kollektiven Verantwortung gehört auch, dass wir uns nicht aus Bequemlichkeit und Feigheit einreden, wir könnten beides zugleich haben: Unbegrenztes Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit, steigenden materiellen Wohlstand und ein unbeflecktes gutes Gewissen angesichts der Kosten, die wir der Umwelt und unseren Nachkommen aufbürden. Wer das verspricht, lügt.

Und so stehen wir nach zweieinhalb Jahrtausenden abendländischer Geschichte und zweieinhalb Jahrhundert Industriegeschichte wieder wie die alten Griechen vor der Inschrift des Orakels von Delphi: Nichts im Übermaß! Eine ungeheure Aufgabe, denn nichts fällt dem Menschen schwerer, als das rechte Maß zu finden.

 

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