Die deutschen Nahverkehrsunternehmen haben einen gemeinsamen Feind: das Internet. Steigen ihre Kontrolleure in Busse oder Bahnen, um die Gültigkeit der Fahrkarten zu prüfen, sind Schwarzfahrer häufig bereits ausgestiegen. Sie warnen sich per Facebook-Nachricht gegenseitig vor den Patrouillen der Ticketstreifen.
Der Onlinetrick ist das eine Ärgernis. Das andere: Auch von der vor einem Jahr beschlossenen Bußgelderhöhung von 40 auf 60 Euro lassen sich potenzielle Schwarzfahrer nicht beeindrucken, wie eine Umfrage der WirtschaftsWoche in den 20 größten Städten Deutschlands ergab. Im Schnitt verharrte die Schwarzfahrerquote bei rund 2,6 Prozent – ein gegenüber dem Vorjahr nahezu identischer Wert. Der geschätzte wirtschaftliche Schaden bundesweit: rund 250 Millionen Euro.
Nur 8 der 20 größten Städte in Deutschland melden sinkende Schwarzfahrerzahlen, aber jeweils in vernachlässigbarer Größenordnung. Sonst ist die Zahl der Sünder meist gleich geblieben. In Dortmund, Hannover oder Nürnberg ist sie sogar gestiegen.
Die erschlichene Leistung bleibt also ein Riesenproblem. Negativer Spitzenreiter ist weiterhin die Bundeshauptstadt. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) melden fast sechs Prozent nicht zahlende Kunden. Allein 2015 erwischten Kontrolleure in den Bussen und Bahnen der BVG rund 327 000 Schwarzfahrer.
Die Nahverkehrsunternehmen fordern daher noch schärfere Gesetze. „Eine Erhöhung des Bußgeldes war dringend erforderlich“, heißt es etwa bei den Stadtwerken Nürnberg, die für die örtlichen Busse und Bahnen zuständig sind. „Doch wir blicken neidisch auf andere Länder, wo das Schwarzfahren zu Recht erheblich teurer ist.“ Auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) fordert als Sprachrohr der Branche ein härteres Vorgehen zumindest gegen Wiederholungstäter. Für sie solle die Strafzahlung auf bis zu 120 Euro erhöht werden, so der Verband. „Vor allem unverbesserliche Schwarzfahrer würde so ein hoher Betrag stärker abschrecken“, meint VDV-Geschäftsführer Oliver Wolff.
Recht einfach: Schwarzfahrer
Ein Mann wollte die Deutsche Bahn überlisten. Auf ein Stück Papier schrieb er: „Ich fahre schwarz.“ Den Zettel heftete er an seine Wollmütze. Dann stieg er in den ICE und suchte sich einen Platz. Dem verblüfften Schaffner erklärte der Mann, er habe keine Beförderungsleistung erschlichen – schließlich stünde seine Absicht gut lesbar auf seiner Mütze. Die Richter sahen das anders. Erschlichen werde eine Leistung bereits dann, wenn jemand so tue, als erfülle er die Geschäftsbedingungen der Bahn. Genau das habe der Mann getan, als er normal in den Zug stieg und einen Platz einnahm (Oberlandesgericht Köln, 1 RVs 118/15).
Ein Verkehrsbetrieb in Thüringen erwischte einen 14-Jährigen beim Schwarzfahren. Dafür sollte der 40 Euro zahlen. Das Amtsgericht Jena sprach den Verkehrsbetrieben ihren Anspruch jedoch ab. Nach Ansicht der Richter könne ein Minderjähriger gar keinen gültigen Beförderungsvertrag abschließen. Somit könnten die Verkehrsbetriebe auch kein erhöhtes Beförderungsentgelt verlangen (Amtsgericht Jena, 22 C 21/01).
Ein Berliner Schüler verlor auf dem Weg zur U-Bahn seine Monatskarte. Trotzdem nahm er die Bahn. Bei einer Kontrolle konnte der Schüler keine Karte vorzeigen. Das Berliner Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Schüler wegen Schwarzfahrens zu 20 Stunden Freizeitarbeiten. Die Richter des Berliner Kammergerichts hoben das Urteil aber auf. Dem Verkehrsbetrieb sei kein Schaden entstanden, denn der Schüler habe seine Monatskarte gezahlt. Daher sei es egal, ob der Schüler die Karte bei sich habe oder nicht (Kammergericht Berlin, (4) 121 Ss 113/12 (149/12).
Das ist auch nötig, denn die steigende Anzahl der Serientäter wird zu einer echten Belastungsprobe für die Justiz. So stellten die Berliner Verkehrsbetriebe 2014 insgesamt 33 723 Strafanzeigen gegen renitente Schwarzfahrer – rund fünfmal mehr als vier Jahre zuvor.
Warum die Quote gerade in Berlin so hoch liegt? Die dortige BVG kontrolliert bevorzugt, wenn erfahrungsgemäß viele Schwarzfahrer unterwegs sind. Zudem hat sie sich einen neuen Dienstleister für die Kontrollen gesucht, deren Mitarbeiter ihren Job ernst nehmen.
Andere Verkehrsbetriebe nehmen hingegen in Kauf, weniger Schwarzfahrer zu ertappen. So haben sich die Stadtwerke in Münster davon verabschiedet, dass jeder Busfahrer die Fahrkarten beim Einstieg checkt. Die Fahrgäste können so schneller einsteigen und die Busse rascher abfahren. Ein zügiger Betrieb, heißt es in Westfalen, sei wirtschaftlich sinnvoller.