Neue Ära des Freihandels Die Briten träumen wieder vom Empire

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Verklärte Sicht auf das Empire

Man muss Sir Simon Fraser wohl einen Brexit-Gewinnler nennen, auch wenn er das Gegenteil für sich in Anspruch nimmt. „Ich war stets gegen den Brexit und bin es bis heute“, sagt Fraser, der mit seinem strahlend weißen Hemd, den verschmitzten Augen und dem eleganten Büro mitten im Londoner Nobelstadtteil Mayfair wie ein selbstverständlicher Sieger aussieht.

Fraser war lange Jahre Diplomat im Dienste Ihrer Majestät, mal in Washington, lange in Brüssel, bis 2015 leitete er die Administration des Außenministeriums. Dann quittierte er den Dienst, heuerte bei der Beratungsgesellschaft Flint Global an. Dort macht er Unternehmen mit der EU-Regulierung vertraut. „Im vergangenen Jahr mussten wir unser Geschäftsmodell natürlich umstellen“, sagt Fraser, der sich heute „Brexit-Adviser“ nennt. Und ergänzt: „Die Geschäfte laufen jetzt aber besser als zuvor.“

Denn Fraser bietet eine Kombination von Eigenschaften, die rar geworden ist auf der Insel: Einerseits hat er durch Dutzende alte Kontakte einen tiefen Einblick in die inneren Abläufe der Regierung, andererseits noch einen halbwegs klaren Blick auf die Realität. Und so bekommt der ökonomische Patriotismus seiner Premierministerin eine ironische Note, wenn Fraser sagt. „Natürlich war das Empire eine angenehme Zeit für uns Briten, aber leider auch fast nur für uns.“ Basis des britisches Empires waren die Navigationsakten, die festschrieben, dass aller Handel mit dem Königreich ausschließlich über britische Häfen und auf britischen Schiffen stattfinde. Erst nachdem die Briten 200 Jahre mit ausgeprägter Neigung zur Waffengewalt den Seehandel nahezu monopolisiert hatten, entdeckten sie Mitte des 19. Jahrhunderts den Freihandel.

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Die gegenwärtige Globalisierung hingegen funktioniere doch ziemlich reibungslos, ohne dass irgendwer die britische Führerschaft groß vermisse, vermutet Sir Fraser und spekuliert in bester britischer Zurückhaltung. „Wir sollten deshalb nicht davon ausgehen, dass irgendwer da draußen auf das nächste Empire wartet.“

Das sieht die Regierung natürlich anders. Im März wurde ein Papier aus dem Außenministerium bekannt, das die Strategie für die Nach-Brexit-Jahre beschrieb, Titel: „Empire 2.0“. Die Korrektur folgte sofort, es gehe um die Stärkung des Commonwealth. Was netter klingt und doch beinahe das Gleiche bedeutet. Von den 52 Mitgliedstaaten des Staatenbundes sind 49 ehemalige britische Kolonien. Der Bund selbst setzt sich zwar gern in Szene, ist aber in seiner heutigen Form fast bedeutungslos. Mit einem Jahresbudget von knapp 20 Millionen Euro steht der Organisation weniger Geld zur Verfügung, als die EU pro Jahr für Schulobst ausgibt. Dennoch ist die Chefin, Baroness Patricia Scotland, vorrangig damit beschäftigt, Vorwürfen der Geldverschwendung in ihrem Hause zu widersprechen.

May selbst findet, mit den alten Kolonien verbinde das Land ein Rechtssystem, die Sprache, der Glaube an die Demokratie. Ihren Außenminister Johnson schickte sie im Frühjahr auf große Werbetour in afrikanische Commonwealth-Länder. Viele der dynamischsten Länder stünden „bereits Schlange, um als erstes Freihandelsabkommen mit uns zu erreichen“, konstatierte der.

Die Wirtschaft Großbritanniens hat zu Beginn des Jahres noch stärker an Fahrt verloren als erwartet.

Und als Handelsminister Liam Fox im März alle seine Kollegen aus dem Commonwealth nach London lud, sagte May zur Eröffnung: „Es ist Zeit für Großbritannien, unsere Rolle als große globale Handelsnation wiederzuentdecken.“ Im nächsten Jahr folgt wie alle zwei Jahre ein Treffen der 52 Staatschefs. Wenn alles nach Plan liefe, würde es der Auftakt für eine Ära neuer Handelsverträge.

Es wäre das, worauf viele der weltoffenen Briten wie der Gastronom Oli Khan hofften, als sie im vergangenen Jahr für den Brexit stimmten. „Wir sind so ein weltoffenes Land“, sagt Khan, „ich habe nie verstanden, warum Zuwanderer aus Bangladesch schlechter gestellt sein sollen als die aus der Europäischen Union.“

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