Der Winter macht die Nordsee zuweilen besonders wütend. Drei Meter hoch schlagen die Wellen, als die Fregatte „Baden-Württemberg“ steuerbordseitig die Insel Helgoland passiert. Bei Windstärke acht und Böen mit bis 124 Stundenkilometern bringt der Seegang auch das Kriegsschiff ins Wanken – und unter Deck melden sich die ersten beiden Journalisten wegen Übelkeit auf der Krankenstation.
Fregattenkapitän Markus Venker will es trotzdem wissen: „Festhalten“, ruft er auf Brücke, „jetzt schauen wir mal, was die Dame so kann.“ Er gibt der Frau Stabsgefreiten den Befehl, auf rund 40 km/h zu beschleunigen und lässt einen Kurs hart am Wind anlegen. Wellen donnern an das 150 Meter lange Schiff, über das Vordeck ergießen sich Wassermassen. Plötzlich neigt sich der 7200 Tonnen schwere Stahlkoloss wie ein Segelboot um 22 Grad vom Wind ab. Nach zehn Minuten beendet Venker seine „Kommandantenspielzeit“ und scherzt: „Jetzt rufe ich erst einmal auf der Krankenstation an, um dort alle zu beruhigen.“
Die F-125 ist das größte Kriegsschiff, das je im Dienst der Deutschen Marine stand. Im Moment läuft die Abnahme des Typschiffs, bis zur Jahresmitte wollen die Hersteller Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) und Lürssen die „Baden-Württemberg“ an die Marine übergeben. Drei weitere Schiffe sollen danach im Abstand von einem Jahr zulaufen – die Kosten: 3,1 Milliarden Euro. Jedes der Schiffe ist damit fast so teuer wie die Hamburger Elbphilharmonie.
Pannen bei der Bundeswehr
Nach einem Software-Update können „Tornado“-Piloten der Bundeswehr im Januar 2016 wegen zu starker Beleuchtung im Cockpit zeitweise nur tagsüber über Syrien fliegen. Der deutsche Beitrag im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat sei aber nicht beeinträchtigt, hebt das Verteidigungsministerium hervor. Denn bis dahin waren die Deutschen noch gar nicht zu Aufklärungsflügen bei Nacht aufgefordert worden.
Triebwerksprobleme zwangen die Bundeswehr im Februar 2015, den Betrieb des Militärhubschraubers vorübergehend zu stoppen. Schon zuvor hatte ein Pilot auf einem Bundeswehr-Stützpunkt in Usbekistan nach der Explosion eines Triebwerks notlanden müssen.
Politische, finanzielle und technische Probleme behinderten die Entwicklung des Transportflugzeugs und Transall-Nachfolgers. Das Projekt verzögerte und verteuerte sich erheblich. Wegen Problemen am Triebwerk stürzte eine A400M im Mai 2015 bei einem Testflug in Spanien ab, vier der sechs Menschen an Bord kamen ums Leben.
Mangelhafte Bohrungen oder Probleme mit den Schleudersitzen - der Kampfjet gehört zu den Rüstungsprojekten, die dem Verteidigungsministerium am meisten Sorgen bereitet haben. Die Produktion verzögerte sich um Jahre, die Kosten explodierten.
Die Aufklärungsdrohne hätte den früheren Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) fast das Amt gekostet. Wegen Problemen bei der Zulassung des unbemannten Fliegers für den deutschen Luftraum und einer drohenden Kostenexplosion wurde die Entwicklung im Frühjahr 2013 gestoppt.
Auch kleinere Waffen schaffen große Probleme. Wegen Testmängeln bei der Treffsicherheit wurde 2015 beschlossen, die 167 000 Exemplare des Sturmgewehrs ab 2019 auszumustern und durch modernere Waffen zu ersetzen - obwohl die kämpfende Truppe selbst keine gravierenden Probleme sieht. Ein Gericht gab einer Klage des Herstellers Heckler & Koch gegen Gewährleistungsforderungen des Bundes statt.
Unumstritten ist die Fregatte indes nicht: Wie so oft bei großen Rüstungsprojekten kam es zu Verzögerungen, die sich auf 26 Monate summieren und zur Folge haben, dass die mehr als 30 Jahre alten Kähne der „Bremen“-Klasse länger als geplant in Dienst bleiben. Die Kosten der Beschaffung liegen rund 500 Millionen höher als ursprünglich vorgesehen, die Bewaffnung halten viele Militärexperten für zu schwach.
Derlei Kritik ist der Grund, weshalb die Marine an jenem stürmischen Donnerstag zu einer Pressereise ab Cuxhaven einlädt: Journalisten sollen sich überzeugen lassen, dass die F-125 ein Wunderwerk der Technik ist, mit relativem Komfort und innovativem Nutzungskonzept, das die Soldaten der personalschwachen Marine lieben werden. Die seltene Offenheit der maritimen Streitkräfte und der schweigsamen Kriegsschiffbauer ist freilich auch der Tatsache geschuldet, dass der ineffiziente und teure Beschaffungsprozess bei Rüstungsprojekten intern wie extern immer mehr in Kritik gerät.
In Sachen "Work-Life-Balance" innovativ
Und so wundert es nicht, dass schon die Begrüßung zur Rechtfertigung gerät: „Rüstung ist immer Hochtechnologie, da kann immer etwas schief gehen“, sagt Stefano Toneatto, der für die Öffentlichkeit beim arg gescholtenen Bundeswehr-Beschaffungsamt zuständig ist. Marc Steffens, der Projektleiter des Hauses, nennt die vertraglich vereinbarten Preisanpassungen etwa beim Stahleinkauf als Hauptgrund für die Mehrkosten – nachträgliche Anpassungen hätten die Kosten nur um 157 Millionen Euro erhöht. „Über einen Zeitraum von zehn Jahren sind sechs Prozent Mehrkosten nichts, was ungewöhnlich wäre“, sagt Steffens. Jörg Herwig von TKMS verweist zudem auf die Komplexität des Projekts: 28.000 elektronische Geräte habe man verbaut, 600 Kilometer Kabel verlegt, 120 Zulieferer integriert.
Peinlich sind manche Pannen dennoch. Ein Zulieferer verwendete den falschen Brandschutz-Lack, bis er abbröckelte; die Problembehebung kostete das Projekt acht Monate. In strikteren Verträgen will die Bundeswehr künftig die Industrie für solche Fehler haftbar machen. Doch mehr noch waren es nachträgliche Anforderungen des Auftraggebers, die die Ingenieure zu zeitraubenden Neukonstruktionen zwangen – etwa, als man vor ein paar Jahren einsah, dass ein Internetzugang in jede Kajüte gehört. Neue Kabel mussten eingezogen werden, doch ohne dies hätte es die Armee noch schwerer mit dem Anwerben von Soldaten für monatelange Einsatzfahrten fern der Heimat.
Dabei ist die F-125 in Sachen „Work-Life-Balance“ durchaus innovativ: Vier statt statt sechs Monate verbringt die Stammbesatzung auf dem Boot, das bis zu zwei Jahre im Einsatzgebiet bleibt. „Wir fliegen die Besatzung mit dem Airbus ins Einsatzgebiet hin und her“, erläutert Christoph Mecke, der beim Marinekommando für die neue Fregattenklasse zuständig ist. Das reduziere die Transitfahrten, die allein die Schiffe der Einsatzflottille II jedes Jahr für 18 Wochen binden.
Damit das funktioniert, musste die Konstrukteure viel automatisieren: Den Maschinenraum mit vier Dieselmotoren und einer Gasturbine steuert Hauptbootsmann mit vier Unteroffizieren – statt zwölf wie auf der „Hessen“, wo der Maschinist zuvor gedient hatte. Auch Schiffsköche müssen mit weniger Personal auskommen, was sich nur über ein Mehr an Tiefkühlkost bewerkstelligen lässt. Verlässt die „Alpha-Crew“ nach vier Monaten das Schiff, übernimmt sie im Heimathafen Wilhelmshaven ein baugleiches Boot und findet sich sofort zurecht.
Inzwischen gewährt die Marine den Soldaten auch mehr Komfort. Die unteren Dienstgrade nächtigen in Kabinen mit vier bis sechs Personen, von denen jeweils die Hälfte Wache schiebt. Alle Unterkünfte verfügen über eigene Bäder mit Dusche und Toilette; auf älteren Kähnen sind noch Gemeinschaftsduschen für 30 Mann und mehr üblich.
Für den Nahkampf mit Piraten aufgerüstet
Irgendwie haben es die Konstrukteure dennoch geschafft, dass dies kaum zulasten des Platzes ging: Die F-125 fährt mit einer Stammbesatzung von 120 Personen, hinzu kommen bis zu 80 Spezialkräfte, etwa Ärzte bei Einsätzen zur Flüchtlingsrettung. Auf der etwas kleineren Fregattenklasse F-124 fahren 240 Soldatinnen und Soldaten – und sie kämpfen um jeden Zentimeter Platz, wie Marine-Projektleiter Mecke sagt.
Für Einsätze zur Piratenbekämpfung oder Flüchtlingsrettung ist das neue Super-Schiff der Marine besonders geeignet. Die „Baden-Württemberg“ gilt als „Stabilisierungsschiff“, das lange fernab der Heimat operieren kann. Sie verfügt über vier Beiboote, die bis zu 70 km/h schnell sind und weitab des Mutterschiffs mit Zwölf-Mann-Besatzungen operieren können. Andere Fregatten müssen mit einem auskommen.
Für den Nahkampf mit Piraten hat die Marine aufgerüstet: Drehbare Schnellfeuer-Maschinengewehre dienen der Abwehr von Booten, die sich seitlich auf die Fregatte zubewegen; ältere Schiffe können oft nur in die Ferne ballern. Die 12,7-Millimeter-Kanone indes lässt sich auch mit Lenkmunition bestücken, die in bis zu 100 Kilometern ihr Ziel findet.
Doch es gibt auch vieles, was die neue Fregatte nicht kann. U-Boot-Abwehr zum Beispiel; dies müssten die beiden Bordhubschrauber übernehmen, die dazu erst einmal starten müssen. Und für Angriffe auf Ziele in der Luft und in weiter Ferne fehlen die Raketenwerfer – einzig mit Abfangmunition sind die Fregatten bestückt. Militärexperten kritisieren daher gern die Unterbewaffnung. Doch Hauptbootsmann Alexander Opitz sieht das anders: „Unser MG schießt 1700 Schuss pro Minute ab, da liegt dann ganz schön viel Blei in der Luft.“ Ein Haifisch ohne Zähne sei die F-125 jedenfalls nicht.
Trotzdem hat die Marine die Industrie beauftragt, schon wieder ein völlig neues Kriegsschiff zu konzipieren: die MKS-180. Es soll noch teurer, noch größer, noch automatisierter werden. Der Sinn und Zweck hierfür erschließt sich allerdings nicht. Mit der F-125 verfügt die Marine über eine Plattform, mit der die Soldaten zufrieden sind – vom Kapitän, der die Manövrier- und Fahreigenschaften lobt, über den Maschinisten, der sich über die Ruhe freut, bis hin zum einfachen Maat, der in der Kabine mehr Platz hat und nicht mehr zum Duschen in der Schlange stehen muss.
Also könnte es sich die Marine einfach machen und auf diese Plattform zusätzliche Waffen aufbauen, die die Fregatte im Luftkrieg schlagfertiger machen. Womöglich ließe sich solch ein Boot auch besser an Nato-Partner verkaufen als jenes, das Eins-zu-Eins für die defensiv denkende deutsche Marine konzipiert wurde. Stattdessen begibt sich das Verteidigungsministerin wieder in den alt bekannten Zyklus: auf eine tolle Idee von einem Kriegsschiff der Zukunft folgen große Versprechen der Industrie, bis sie die Realität einholt. Es gibt Streit, es kommen Nachbesserungen, Neukonstruktionen, Skandale – und am Ende wird auch das MKS-180 wieder teurer und später ausgeliefert geplant. Und so wird die „Baden-Württemberg“ wohl noch lange ihren Dienst für Deutschland tun.