Neuer Wertekanon Dänemark macht es sich „hyggelig“

„Hygge“ gehört zum Dänischsein wie das Dirndl zum Oktoberfest. Das Wort beschreibt die Gemütlichkeit, die die Dänen auszeichnet. Nun wurde die Glücksphilosophie in den Kulturkanon des Landes aufgenommen.

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In Dänemark ist es so „hyggelig“, dass sich einmal im Jahr die Weihnachtsmänner hier zu ihrem Weltkongress versammeln. Quelle: dpa

Stockholm 66.301 Dänen können nicht irren. So viele – oder so wenige – Dänen haben an einer ungewöhnlichen Abstimmung teilgenommen. Der ehemalige dänische Kulturminister, Bertel Haarder, hatte vor einem Monat seine Landsleute aufgerufen, darüber abzustimmen, für welche Werte das kleine Königreich steht. Der „Danmarkskanon“ solle zu einem kulturellem Leitfaden für alle in Dänemark lebenden Menschen werden, erklärte Haarder damals. „Diese Werte werden uns bewusster machen, an was wir in einer Zeit der internationalen Konflikte und der Einwanderung festhalten wollen“, sagte er.

Am Montag konnte er das Ergebnis der Online-Abstimmung präsentieren, das nun auch in Schulen und möglicherweise auch bei Einwanderungstests angewendet werden soll, um das Zusammenleben von Dänen und Einwanderern zu erleichtern. 66.301 der insgesamt 5,7 Millionen Dänen haben sich beteiligt und über die zehn wichtigsten Werte der dänischen Gesellschaft abgestimmt. Wenig überraschend ist den Dänen ein funktionierender Wohlfahrtsstaat am wichtigsten, gefolgt von Freiheit, Vertrauen, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichberechtigung von Mann und Frau, der dänischen Sprache, dem Vereinsleben und dem ehrenamtlichen Engagement, der Gedankenfreiheit, der Gemütlichkeit („Hygge“) sowie dem christlichen Kulturerbe.

„Meine Landsleute haben in etwa so abgestimmt, wie ich auch gewählt hätte“, erklärte Haarder, der den Danmarkskanon als die „DNA unseres Landes“ sieht. Allerdings hätte der ehemalige Minister nach eigenen Worten „Hygge“ gegen Handwerk ausgetauscht. „Wir sollten stolz auf unser Design und unser Handwerk sein“, so Haarder. Doch den Dänen ihr „Hygge“ zu nehmen, geht gar nicht. Denn „Hygge“ oder „hyggelig“ gehört zum Dänischsein wie das Dirndl zum Oktoberfest. Es ist die Gemütlichkeit, die Zufriedenheit, die Dänen seither auszeichnet und sie laut vielen Untersuchungen zu einer der glücklichsten Nationen auf der Welt gemacht hat.

Sie lassen sich die Freude am Leben einfach nicht nehmen. Komme, was wolle. Dass das nicht immer gesund ist, nehmen sie in Kauf. Dick sind sie, manche sagen rundlich, aber auf jeden Fall fröhlich. Dicke seien die lustigeren Menschen, hat ja schon einmal ein kluger Kopf gesagt, und vielleicht hatte der die Dänen im Sinn. Smørrebrød, Pølser und Aquavit, „vi er røde, vi er hvide“ – wir sind nicht Papst, sondern rot und weiß. Der Freudensong der dänischen Fußballfans erklingt seit dem überraschenden Gewinn der Fußball-Europameisterschaft 1992 immer noch in den Stadien. Damals gewann das quirlige Außenseiterteam völlig überraschend den Titel gegen die deutsche Mannschaft.

Seit vielen Jahren untermauern internationale Studien das, was der angesehene dänische Wissenschaftler von der Universität in Odense, Professor Kaare Christensen und seine Kollegen herausgefunden haben: Die Dänen sind die glücklichsten Europäer, zählen zu den glücklichsten Nationen der Welt. Und im „World-Happiness-Report“ der Vereinten Nationen, einem Glücksatlas sozusagen, nimmt Dänemark sogar unangefochten den ersten Platz ein. Deutschland liegt abgeschlagen auf dem 16. Platz.


Was wir von den Dänen lernen können

Es ist erstaunlich, wie gelassen die meisten Dänen mit Dingen umgehen, die in anderen Ländern zu Massenprotesten führen würden. Schon vor Jahren wurde der Arbeitsmarkt im kleinen Königreich flexibilisiert. Deutsche Arbeitsmarkt-Experten brachen zu Pilgerfahrten Richtung Kopenhagen auf, um die „Flexicurity“ zu studieren. So lautet die Zauberformel, mit der das Land seine Arbeitslosenrate auf rund vier Prozent gedrückt hat.

Flexibilität und Sicherheit verbergen sich hinter dem Begriff, der für manch Deutschen gar nicht so sicher klingt. Denn Flexicurity heißt auf dänisch: Kein Kündigungsschutz. Hat der Arbeitgeber Flaute in den Auftragsbüchern, müssen sich die Mitarbeiter im Prinzip von einem zum nächsten Tag einen neuen Job suchen. Der Staat hilft dabei, verlangt aber auch nach kurzer Zeit, dass jeder Job angenommen wird. Mittlerweile wechselt fast jeder vierte Däne einmal im Jahr seinen Arbeitgeber, mal freiwillig, mal unter Druck. Dennoch geben die Dänen in Umfragen an, dass sie sich sicher fühlen.

Mehr als Zweidrittel der rund fünf Millionen Dänen bezeichnen sich sogar als glücklich. Dabei, so hat Wissenschaftler Christensen herausgefunden, hätten seine Landsleute eigentlich gar keinen Grund für die Glückseeligkeit: Denn der Däne ist ein Genussmensch, wie manch ein Urlauber sicher bestätigen kann. Light-Produkte sind verpönt, die dicke, gelbe Remoulade gehört auf jeden Tisch. Und nicht nur die Königin rauchte bis vor einiger Zeit wie ein Schlot, auch die Untertanen machen den Tabakkonzernen viel Freude. Dem Alkohol ist man ebenfalls nicht abgeneigt, selbst zum Frühstück gibt’s schon mal einen Gammeldansk, den berühmten dänischen Magenbitter. Dementsprechend sieht auch die Lebenserwartung der Dänen aus.

Und dennoch sind die meisten glücklich. „Dänen haben nicht allzu hohe Erwartungen an die Zukunft. Deshalb sind sie jedes Jahr wieder überrascht, dass nicht alles noch fauler ist im Staate Dänemark“, sagt Wissenschaftler Christensen. Tatsächlich geben sich unsere nördlichen Nachbarn gelassener und haben sich mit ihrer Rolle als kleine Nation im Gegensatz zu großen Bruder Schweden, der immer die erste Geige spielen will, abgefunden. Dänen lügen eben nicht.

Kann man von glücklichen Dänen lernen? Ja, Erwartungen herunter schrauben, und sich dann freuen, wenn doch alles etwas besser kommt als befürchtet. Die Online-Abstimmung über den Danmarkskanon macht übrigens auch Hoffnung: Dass in einem Land, das zuletzt wegen seiner äußerst restriktiven Einwanderungspolitik zweifelhaften Ruhm erlangt hat, Werte wie Freiheit, Gedankenfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz zu den wichtigsten kulturellen Bausteinen zählen, zeigt, dass viele Dänen Fremde durchaus mit offenen Armen empfangen können. Und das macht sie einfach „hyggelig“.

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