Neues Gesetz Flexibler in den Ruhestand

Das Kabinett dürfte am Mittwochvormittag grünes Licht für einen wichtigen Gesetzentwurf geben. Dieser soll den Übergang in den Ruhestand flexibilisieren – und den Zuverdienst in der Rente erleichtern.

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Der Zuverdienst in der Rente soll erleichtert werden. Quelle: dpa

Berlin Monatelang wurde um die Details gerungen. An diesem Mittwoch wird das Bundekabinett aller Voraussicht nach grünes Licht geben für den Gesetzentwurf zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Am 1. Januar 2017 soll das Gesetz in Kraft treten. Ursprünglich sollte dies bereits im Sommer passieren. Viele Rentenbeitragszahler warten darauf, denn auch die Möglichkeiten, den eigenen Rentenanspruch nachträglich noch aufzubessern, werden deutlich verbessert.

Selten wurde länger um ein Gesetz gerungen. Das lag vor allem an der konfliktreichen Ausgangslage. Als auf Drängen der SPD gleich zu Beginn der Legislaturperiode die abschlagfreie Rente mit 63 für langjährig Versicherte eingeführt wurde, war die Empörung darüber beim Wirtschaftsflügel der Union am größten. Er kritisierte, dass mit der Rente mit 63 ein völlig falsches Signal zum Ausbau der Frühverrentung gesetzt werde und forderte ein Gegengesetz zur Förderung des längeren Arbeitens.

Das, was am Mittwoch im Kabinett beraten wird, ist zwar kein reines Gesetz zur Lebensarbeitszeitverlängerung. „Es enthält aber viele sinnvolle Anreize für ältere Arbeitnehmer, länger im Unternehmen zu bleiben“, kommentiert CDU Rentenexperte Peter Weiß, der zugleich die Arbeitnehmergruppe im Bundestag anführt. „Der Wirtschaftsflügel kann zufrieden sein.“

Herzstück der Reform sind zweifellos die neuen Zuverdienstregeln für Arbeitnehmer, die von der Möglichkeit Gebrauch machen, bereits mit 63 in Rente zu gehen. Nach geltendem Recht droht ihnen bereits eine deutliche Kürzung der Rente, wenn sie einen Euro mehr als 450 Euro im Monat dazu verdienen. Künftig können 6300 Euro anrechnungsfrei dazu verdient werden. Von jedem zusätzlich verdienten Euro kann der Rentner 60 Cent behalten, 40 werden auf die Rente angerechnet.

Bislang fällt ein Frührentner bei Überschreitung der Zuverdienstgrenze sofort auf eine Teilrente in Höhe von zwei Dritteln seines vollen Rentenanspruchs. „Wir gestalten mit den neuen Zuverdienstregeln das bisherige Teilrentenrecht stufenlos“, meint Weiß. Seine Hoffnung: „In vielen Betrieben sucht man heute Arbeitnehmer über 60 vergeblich. Ich hoffe, dass Arbeitgeber unser Angebot nutzen werden, um ihren älteren Mitarbeitern den schrittweisen Ausstieg aus dem Job über den Bezug einer Teilrente zu ermöglichen.“


Aus welchen Gründen eine Teilrente attraktiv ist

Dass viele Arbeitnehmer sich das vorstellen können, wisse er aus seiner Bürgersprechstunde, sagt Weiß. Attraktiv sei eine solche Teilrente auch aus zwei weiteren Gründen: „Wir haben dafür gesorgt, dass der Abschlag wegen vorzeitigen Rentenbeginns von 0,3 Prozent pro Monat, das sind 3,6 Prozent pro Jahr, nur auf die Teilrente erfolgt. Gleichzeitig erwirbt der Arbeitnehmer über seinen Zuverdienst, von dem weiter Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt werden müssen, zusätzliche Rentenanwartschaften. Allerdings fällt sein Rentenanspruch vollends weg, wenn der Zuverdienst den durchschnittlichen Jahres-Bruttolohn der vergangenen 15 Jahre übersteigt.

Aber was passiert jenseits des Rentenalters? Schon heute ist es finanziell attraktiv, länger als bis zur Altersgrenze im Job zu bleiben. Sie liegt aktuell bei 65 Jahren und fünf Monaten und steigt derzeit um einem Monat pro Jahr. Denn die zusätzlich eingezahlten Beiträge erhöhen den Rentenanspruch nicht nur. Die Rentenversicherung legt auch noch was drauf: 0,5 Prozent Zuschlag zahlt sie zum erworbenen Rentenanspruch für jeden Monat, den länger gearbeitet und eingezahlt wird. Das sind sechs Prozent im Jahr. Eine Art Zusatzrendite auf die eingezahlten Beiträge.

Wer pünktlich in Rente ging, konnte zwar schon immer unbegrenzt dazu verdienen – etwa um eine für die eigene Lebensführung zu kleine Rente aufzubessern. Doch für Arbeitgeber war die Beschäftigung von Rentnern bei Einkünften über der Geringverdienergrenze von 450 Euro eher unattraktiv. Denn von höheren Bezügen muss der Arbeitgeber den Arbeitgeberbeitrag zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung zahlen. Der Wirtschaftsflügel der Union hätte diese Regelung am liebsten abgeschafft. Das aber hätte bedeutet, dass es für Unternehmen in Zukunft attraktiver gewesen wäre, Rentner statt gleich qualifizierter älterer Arbeitnehmer einzustellen.

Stattdessen erhalten deshalb nun Rentner, die bisher bei einer Arbeit keinerlei Sozialabgaben zahlen müssen, das Recht, zusätzlich zum Arbeitgeberanteil ihren hälftigen Arbeitnehmeranteil zur Rentenversicherung von derzeit 9,35 Prozent einzuzahlen. Dadurch steigt Jahr für Jahr ihr Rentenanspruch. Bei einem Durchschnittsverdienst bedeutet das ein Rentenplus von rund 30 Euro pro Jahr. „Und wir haben dafür gesorgt, dass der Rentner das auch möglichst schnell auf seinem eigenen Konto spürt“ erläutert Weiß.

„Die zusätzlich erworbenen Ansprüche werden alljährlich zusammen mit der normalen Rentenerhöhung zum 1. Juli ermittelt und ausgezahlt.“ Und für die Arbeitgeber gibt es ein zusätzliches Bonbon. Für fünf Jahre entfällt für sie die Pflicht, den Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung an die Bundesagentur für Arbeit zu überweisen. Die Beschäftigung von Rentnern wird dadurch ein wenig attraktiver als die von älteren Arbeitnehmern. Der Arbeitslosenbeitrag liegt derzeit bei 3 Prozent, wovon der Arbeitgeber 1,5 Prozent tragen muss.

Wichtig ist eine auf den ersten Blick eher unbedeutend wirkende weitere Rechtsänderung: Die Altersgrenze, ab der Arbeitnehmer Zusatzbeiträge in die Rentenkasse einzahlen dürfen, um bei einem vorzeitigen Rentenbeginn fällig werdende Abschläge auszugleichen, soll von 55 auf 50 Jahre gesenkt werden. Auf einen Schlag erhalten damit fünf Millionen Versicherte erstmals die Chance, ihr Rentenkonto zu besonders günstigen Konditionen aufzubessern.

Besonders günstig aus zwei Gründen: Zum einen ist der Rentenbeitrag mit 18,7 Prozent derzeit so niedrig wie zuletzt vor 25 Jahren. Zum anderen führt dies zusammen mit den Niedrigzinsen am Kapitalmarkt dazu, dass es derzeit bei für Anlageformen am Kapitalmarkt wie der Rürup-Rente deutlich weniger Gegenleistung für eingezahlte Beiträge gibt.


Der Zusatzbeitrag ist gedeckelt

Allerdings ist der Zusatzbeitrag in der Höhe begrenzt. Es darf nur so viel eingezahlt werden wie zum Ausgleich der Frührentenabschläge nötig ist. Doch auch das kann sich lohnen, so Reinhold Thiede von der Rentenversicherung. „Wer einen Antrag auf zusätzliche Beitragszahlung stellt, muss zwar erklären, dass er beabsichtigt, vorzeitig in Rente zu gehen. Er kann sich aber später anders entscheiden und erhält den Betrag dann als Zusatzrente.“

Der Finanzmathematiker Werner Siepe hat dies bereits im vergangenen Jahr am Beispiel eines 63-jährigen Mannes durchgerechnet, der 35 Jahre immer Höchstbeiträge gezahlt hat. Bei ihm würde bei Rentenbeginn mit 63 die Monatsrente um 175 Euro auf 1767 Euro im Monat gekürzt. Einen Abschlag in dieser Höhe könnte er durch Einzahlung von 43.034 Euro in die Rentenkasse vermeiden. Würde er am Ende doch bis zur Regelaltersgrenze von 65,5 Jahren weiterarbeiten, wäre seine Rente entsprechend höher. „Die gleiche Summe in eine Rürup-Rente beim günstigsten Anbieter Europa-Versicherungen eingezahlt, würde mit 145 Euro eine deutlich niedrigere Sofortrente bringen.“

Die zusätzliche Beitragszahlung ist damit immer interessant. Trotzdem machen es bisher pro Jahr nur 800 Berechtigte. „Das hat damit zu tun, dass viele nicht wissen, dass man den Ausgleichsbetrag auch in Raten zahlen kann. Dies ist auch steuerlich günstiger“, erklärt Siepe. Doch das ist nicht der einzige Grund. Vor allem wissen die meisten über 55-Jährigen, die bisher schon einzahlen konnten, gar nicht, wie lukrativ das Angebot ist, weil kaum jemand öffentlich darüber spricht.

Es ist sogar so lukrativ, dass der ehemalige Präsident der Rentenversicherung, Herbert Rische, wiederholt in Fachbeiträgen dafür geworben hat, Pflichtversicherten generell zu erlauben, ihr Rentenkonto durch Sonderbeiträge aufzubessern, statt Geld in teure private Zusatzvorsorge zu stecken. So weit will die Bundesregierung nicht gehen – aus einem einfachen Grund: Jeder Euro Zusatzrente, den ein Versicherter sich auf diese Weise günstig einkauft, muss in Zukunft von Arbeitnehmer durch entsprechend höhere Rentenbeiträge finanziert werden. Und das in einer Zeit, in der der Rentenversicherungsbeitrag auch ohne diese Zusatzbelastung aus demografischen Gründen deutlich höher sein wird als heute. Volkswirtschaftlich, so Peter Schwark vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft, sei die über die Rentenversicherung erworbene Zusatzrente daher nur eine „Scheinvorsorge“.

Eine gute Nachricht hat das Bundeskabinett im Zusammenhang mit der Flexi-Rente auch für ältere Arbeitslose, die Hartz-IV-Leistungen beziehen. Bislang sind sie gesetzlich gezwungen, zum frühestmöglichen Termin die Renten zu beantragen, auch wenn das Rentenabschläge bedeutet. Ab Januar entfällt dieser Zwang immer dann, wenn die Rente nur wegen der Abschläge unter das Grundsicherungsniveau absinkt. Künftig muss eine Altersrente damit nur noch dann vorzeitig beantragt werden, wenn sie trotz dieser vorzeitigen Inanspruchnahme und der damit verbundenen Abschläge bedarfsdeckend ist. Damit könnte vielen älteren Arbeitslosen die lebenslange Abhängigkeit von Leistungen des Sozialamts erspart werden. Die Neuregelung ist in einer Verordnung geregelt, die zusammen mit dem Flexirentengesetz in Kraft treten soll.

Die Vorverlegung der Altersgrenze will die Koalition nun trotzdem beschließen. Bereits am 20. September sollen die Koalitionsfraktionen die neue Flexirente beschließen und in den Bundestag einbringen. Für den 29. September ist die erste Lesung im Bundestag geplant. Bereits im Oktober soll die Verabschiedung erfolgen, damit die Reform am 1. Januar mit einem halben Jahr Verspätung gegenüber den ursprünglichen Plänen in Kraft treten kann.


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