Niedersachsen Wahlschlacht um Volkswagen

Niedersachsens Ministerpräsident Weil ließ eine Regierungserklärung zur VW-Affäre vorab an den Autokonzern geben. Der Aufschrei der Opposition ist groß. Die FDP bestätigt nun: Absprachen sind gängige Praxis.

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„Wenn Volkswagen hustet, hat Niedersachsen eine Grippe“, heißt es im Norden. Quelle: dpa

Hannover/Wolfsburg Es ist für jeden Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen eine verzwickte Lage: Da schwört er den Eid auf die Landesverfassung, will zum Wohle der Menschen seinem Land dienen - und übernimmt zugleich sofort einen Sitz im Aufsichtsrat von Volkswagen und obendrein im wichtigen Präsidialausschuss. Schließlich hält das Land 20 Prozent der Anteile an dem Unternehmen und besitzt eine Sperrminorität bei allen wichtigen Entscheidungen. Mit diesem Amt ist er dem Wohle des Unternehmens qua Aktiengesetz verpflichtet und hat Schaden davon abzuwehren.

In guten Zeiten decken sich die Interessen, geht es doch um 120.000 Beschäftigte an sechs Standorten im agrarisch geprägten Niedersachsen. Entsprechend heißt es in der Krise notfalls zusammenzustehen. „Wenn Volkswagen hustet, hat Niedersachsen eine Grippe“, heißt es im Norden.

Angesichts der bevorstehenden Neuwahlen im Land ist Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) mächtig unter Beschuss geraten – weil er eine Regierungserklärung aus dem Jahr 2015, als Volkswagen die schwere Diesel-Krankheit ereilte, abstimmen lassen. Der Vorfall ist zwar im Landtag längst aufgearbeitet, doch kochte ihn erst die Bild am Sonntag wieder auf, was die Spitzenkandidaten von Union und FDP dankend aufgriffen und sich empört zeigten. „Bodenlos“ sei der Vorwurf, sich VW habe die Feder geführt, schoss Weil noch am Sonntag zurück. Vielmehr hätten im Oktober viele Arbeitsplätze auf dem Spiel gestanden angesichts der Untersuchungen in den USA und den drohenden Klagen. „Vor diesem Hintergrund verstand es sich für mich und versteht es sich für mich von selbst, dass ein Ministerpräsident und Repräsentant eines großen Anteilseigners bei öffentlichen Äußerungen eine besondere Sorgfalt an den Tag legen musste.“

Nun hat sich gezeigt, dass auch CDU und FDP, als sie bis 2013 regierten, Rücksprache mit Volkswagen hielten. Dies geht aus den Archiven der Staatskanzlei hervor, wie am Mittwoch bekannt wurde. Der damalige Ministerpräsident des Landes, David McAllister (CDU), wollte sich dazu nicht äußern. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament weilt derzeit als Wahlbeobachter in Kenia. „Ich kann und werde mich zu VW nicht äußern“, erklärte er auf Nachfrage.

Für ihn hingegen äußerte sich sein Nachfolger im Amt des CDU-Landesvorsitzenden, der Spitzenkandidat Bernd Althusmann.  „In relativ rosigen Zeiten ist es unspektakulär, da es sich um übliche rechtliche oder technische Abstimmungen handelte“, sagte er dem Handelsblatt. Dies sei „ein völlig normaler Vorgang“. Anders sei es in einer „existenziellen Krise“, wie sie Volkswagen 2015 ereilte. „Dort muss zur Aufklärung erheblichster Vorwürfe gegen VW-Vorstände die notwendige Distanz zwischen Aufsichtsrat und Vorstand gewahrt werden“, forderte Althusmann. „Die zwingend notwendige Kontrolldistanz war in der Krise offenbar nicht mehr gegeben, stattdessen wurde der Kontrolleur zum Kontrollierten“, sagte er. Sollte er Ministerpräsident werden, dann wolle er dies ausschließen. Althusmann hatte bereits im Handelsblatt angekündigt, dass er im Falle eines Wahlsiegs nicht mehr den Wirtschaftsminister wie üblich in den Aufsichtsrat entsenden werde, sondern einen unabhängigen Experten. „Die Mitarbeiter bei VW können darauf vertrauen, dass ich mir künftig alle Vorgänge rund um den Dieselskandal in voller Unabhängigkeit und Neutralität als Vertreter des Landes und seiner Bürger vorlegen lassen werde“, sagte er. „Die Mitarbeiter bei VW und -ich denke - auch der Betriebsrat wollen, dass VW endlich aus den Schlagzeilen heraus kommt.“

Das zumindest ist in der Tat so. So hatte sich Betriebsratschef Bernd Osterloh zu Wort gemeldet und gefordert, die Beschäftigten bräuchten auch „einfach mal wieder ein bisschen mehr Ruhe, damit wir uns wieder auf unseren Job konzentrieren können“. Vertrauensleute der IG Metall sammelten Unterschriften in den deutschen Werken von VW. Die Aktion solle klar machen, dass eine Profilierung von Politikern über die Reizthemen in Konzern unangemessen sei. „Von den 600.000 Beschäftigten weltweit haben die wenigsten etwas mit Dieselgate zu tun“, sagte Osterloh.

Zur Ruhe könnte indes auch die Opposition beitragen. Schließlich ist der Vorgang um die Regierungserklärung nicht nur bereits fast zwei Jahre alt. Der Wirtschaftsausschuss des Landtags hatte sich bereits in einer nicht-öffentlichen Sitzung Mitte September 2016 damit beschäftigt. Es sei kein Problem „nur der amtierenden Landesregierung“, sagte Dirk Toepffer (CDU) in der Sitzung laut Protokoll, dass dem Handelsblatt vorliegt. „Das ist ein Problem des gesamten Konstrukts“, erklärte er. Und weiter: „Dass es Sie jetzt trifft, das tut mir persönlich leid. Die Regierung habe „letztendlich nichts zu verantworten“. Regierungssprecherin Anke Pörksen (SPD) erklärte damals, grundsätzlich könne ein Mitglied der Landesregierung, dass nicht im Aufsichtsrat sitzt, über Dinge zu Volkswagen reden, die öffentlich seien. Im konkreten Fall möglicher Klagen in den USA sei jedoch jede öffentliche Äußerung gefährlich, da sie sofort von Klägern in ihrer Klageschrift genutzt würden. „Das sind natürlich immer subjektiv gefertigte Äußerungen.“ Daher sei die Abstimmung mit Volkswagen so wichtig gewesen, wobei Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) in der Runde klarstellte, dass es eine „sehr bewusste Interaktion“ und „sehr klare Bewertung“ der Vorschläge von Volkswagen gebe. Immerhin: Volkswagen hatte zu dem Zeitpunkt eine schwere Grippe. Nicht auszudenken, wie krank das Land geworden wäre.

Erst einmal aber geht der Wahlkampf bis zum 15. Oktober weiter. In den Umfragen liegen CDU und FDP derzeit deutlich vor SPD und Grünen. „Nur mit dem konsequenten Willen zur Aufklärung und voll umfänglicher Transparenz kann der jetzt dringende Kulturwandel zügig eingeleitet werden“, fordert Althusmann. Ein Ministerpräsident als Vertreter eines 20 prozentigen Anteils „dürfe nicht politisch hilflos wirken“.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr bestätigte, dass es auch unter Schwarz-Gelb mit Volkswagen Absprachen gab und ruderte entsprechend mit Vorwürfen gegen die amtierende Regierung zurück.. „Unser Kritikpunkt ist nicht, dass hier Absprachen stattfinden, die sind sogar aktienrechtlich vorgesehen“, sagte FDP-Landeschef Stefan Birkner. „Die Frage ist, wie intensiv mache ich das, und wie mache ich das“, sagte Birkner. „Schicke ich Redeentwürfe oder frage ich Dinge nach, die ich wissen will?“

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