Erstmals beschert ein Wahlabend Martin Schulz als Parteichef Grund zum Feiern. Vier Wahlen haben die Sozialdemokraten in seiner kurzen Amtszeit als Parteichef hintereinander verloren, bevor am Sonntagabend Jubel aufkommt. "Das ist ein großartiger Sieg für die niedersächsische SPD, ein großartiger Erfolg für Stephan Weil", sagt Schulz unter dem Beifall der SPD-Anhänger im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Die Erleichterung ist dem 61-Jährigen anzusehen, an dessen Seite Fraktionschefin Andrea Nahles und Familienministerin Katarina Barley um die Wette strahlen. Schulz verschafft der Sieg in Hannover Luft für seine erneute Kandidatur als Parteichef Anfang Dezember. Die SPD wird womöglich unbelastet von einer Personaldebatte über den Neuanfang nach dem Bundestagsdebakel beraten können.
Und Schulz lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er nicht an Rückzug denkt. "Ab morgen müssen wir uns daran machen, all die Herausforderungen, vor denen wir als Partei stehen, anzupacken", sagt er. Das sei "ein Stückchen besser möglich jetzt mit dem Rückenwind aus Hannover". In einem Nebensatz macht Schulz deutlich, dass er Parteichef bleiben will: Für den Neuanfang würden in den nächsten Monaten vor allem Nahles als Chefin der Fraktion arbeiten "und ich selbst als der Vorsitzende der Partei".
Sieben Monate steht Schulz an der Spitze der Partei, drei verlorene Landtagswahlen und das schlechteste SPD-Ergebnis bei einer Bundestagswahl hat er bereits kommentieren müssen. Der SPD-Parteivorstand berät am Montag über die nächsten Wochen bis zum Bundesparteitag Anfang Dezember, die Bundestagsfraktion will sich bei einer Klausursitzung am Dienstag für die Arbeit in der Opposition einrichten. Zwar rumort es in der SPD, da sich manch einer fragt, welche Orientierung Schulz der Partei geben will. Mit einer Revolte wird aber nicht gerechnet. "Wir werden mit ihm weitermachen", sagt ein Mitglied der Parteiführung am Sonntagabend. Verschiedene Stimmen auch vom linken Parteiflügel deuten darauf hin, dass es wohl darauf hinausläuft.
SPD-Vizechef Ralf Stegner, der öffentlich zu den klarsten Unterstützern von Schulz zählt, spricht dies am Abend am deutlichsten aus. "Martin Schulz führt die Partei, und er führt sie, glaube ich, wirklich großartig", sagt Stegner. "Und er wird den Erneuerungsprozess jetzt auch einleiten in Richtung einer linken Volkspartei, die sich deutlich gegen die Union stellt." Bei der SPD wird registriert, dass Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz am Sonntagabend nicht mit auf dem Podium steht. Auch er ist SPD-Vize, gilt aber als jemand, der in der Reserve stünde, sollte Schulz beim Neuanfang der SPD nicht konkreter werden.
In der SPD wird nun gemahnt, über den Sieg in Hannover nicht die Aufarbeitung des erst drei Wochen alten Debakels bei der Bundestagswahl zu vergessen. Fraktionschefin Nahles gab schon wenige Tage vor der Landtagswahl für den Fall eines SPD-Sieges zu bedenken: "Ich warne davor, dann in Gut-Wetter-Stimmung zu verfallen nach dem Motto: Ach, so schlimm ist die Lage der SPD ja gar nicht. Bei 20,5 Prozent im Bund gibt es keinen Grund, sich das Ergebnis schönzureden." Schulz meint, die Kampfkraft der SPD als Partei sei ungebrochen: Die SPD habe seit Ende Januar fast 30.000 neue Mitglieder hinzugewonnen. Am Wahlabend nahm der Parteichef ein Mitglied persönlich auf: Der 60-jährige Peter Laws aus dem brandenburgischen Mahlow südlich von Berlin überreichte ihm vor laufenden Kameras seinen Aufnahmeantrag.
Der Erfolg in Niedersachsen führt den Genossen aber auch vor Augen, dass die SPD mit dem richtigen Kandidaten an der Spitze doch noch gewinnen kann - auch unter schwierigen Bedingungen. Zu einem nochmaligen Nachdenken über Schulz als Parteichef scheint das vorerst nicht zu führen. Erstmals seit 19 Jahren ist die SPD in Niedersachsen wieder stärkste Partei. Zuletzt war das 1998 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder gelungen. Er nutzte den Wahlsieg als Sprungbrett zur erfolgreichen Kanzlerkandidatur. Dem Wahlsieger Weil werden aber keine bundespolitischen Ambitionen nachgesagt: Er äußerte sich stets als Unterstützer von SPD-Chef Schulz. Und Nahles sagt am Wahlabend: "Martin Schulz ist und bleibt Parteivorsitzender."