Niedrige Zinsen Sind die Sparer selbst schuld?

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Staatsschulden - Ursache oder Teil der Lösung?

Homburg: Herr von Weizsäcker, Ihre Sparschwemmen-Theorie ist unhaltbar, weil Sie den Faktor Boden als Mittel für die Geldanlage ausblenden. Nehmen wir einmal an, die Ersparnisse wären tatsächlich größer als die Investitionen in Sachkapital. Dann fließen die Sparüberschüsse in den Erwerb von Grundstücken. In den Industrieländern bestehen rund 95 Prozent des nicht finanziellen Vermögens aus Grundstücken und Gebäuden, nur fünf Prozent entfallen auf Maschinen und Anlagen. Das zeigt, dass Immobilien jede volkswirtschaftliche Ersparnis aufnehmen können. Das läuft über steigende Preise für Grundstücke und Häuser.

Was heißt das für die Zinsen?

Homburg: Wenn Unternehmen und Haushalte ihre Schulden abgebaut haben, werden sie wieder mehr Kredite nachfragen. Dann steigen die Zinsen wieder. Je schneller die Entschuldung erfolgt, desto eher klettern die Zinsen.

Weizsäcker: Ich bezweifle, dass Immobilien die Ersparnisse der Bürger unbegrenzt aufnehmen können. Immobilienbesitz ist ja mit Risiken verbunden. Das betrifft die Attraktivität der Lage ebenso wie die Gefahr der Besteuerung und Enteignung durch den Staat. Je stärker die Preise steigen, desto größer werden die Begehrlichkeiten der Politik. Weil die Käufer das ahnen, sind die Immobilienpreise nach oben limitiert. Deshalb brauchen wir ein gewisses Maß an Staatsverschuldung, damit Sparer ihr Geld in öffentlichen Bonds anlegen können.

Homburg: Aber Staatsschulden sind erst recht mit einem Enteignungsrisiko verbunden! Wenn ich mir die deutsche Geschichte der vergangenen 100 Jahre anschaue, liegt das Enteignungsrisiko bei Staatsanleihen höher als bei Grund und Boden.

Weizsäcker: Wir werden um eine höhere Staatsverschuldung nicht umhinkommen. Das bedeutet nicht, dass die Regierung sich wie von Sinnen in neue Schulden stürzt, bis die Risikoprämien steigen. Aber eine umsichtige Erhöhung kann die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln und private Investitionen anstoßen.

Homburg: Aber je mehr Ersparnisse der Staat absorbiert, desto weniger bleibt für private Investitionen in Sachkapital und Land. Schauen Sie nach Südeuropa. Die hohe Staatsverschuldung saugt dort einen großen Teil der heimischen Ersparnisse auf. Die Immobilienpreise sinken, die Banken geraten in Schwierigkeiten. Anders als Sie behaupten, sind Staatsschulden keine Lösung, sondern Hauptursache des Problems.

Stellen Sie sich vor, Sie wären sechs Monate lang Präsident der EZB und hätten Handlungsvollmacht. Was würden Sie tun?

Weizsäcker: Auf keinen Fall die Zinsen erhöhen! Steigende Zinsen wären zum jetzigen Zeitpunkt gefährlich, da sie den Euro-Kurs nach oben trieben. Die Euro-Zone und gerade die südeuropäischen Länder brauchen einen schwachen Euro, damit die Exporte zulegen und der Importdruck nachlässt. Höhere Zinsen würden zudem Investitionen erschweren.

Homburg: Viel wichtiger als die Zinspolitik ist der Ausstieg aus dem Quantitative-Easing-Programm (QE). Die Anleihekäufe der Notenbank müssen beendet werden. Die EZB kauft 2016 Anleihen für rund eine Billion Euro! Würde sie das zehn Jahre durchhalten, gäbe es fast keine privat gehaltenen Staatsanleihen mehr! Ich würde die Bilanzsumme der EZB innerhalb von drei Jahren auf das Vorkrisenniveau zurückführen und die Überschussreserven abbauen. Erst danach stellt sich die Frage nach dem Leitzins.

Wie bewerten Sie, dass die EZB seit Juni auch Unternehmensanleihen kauft?

Homburg: In der Geldpolitik entwickelt sich ein geradezu plutokratisches System. Der Markt für Unternehmensanleihen ist so klein, dass Aktivitäten der Notenbank sofort auf Angebot und Nachfrage durchschlagen. Gleichzeitig ist der Markt in der Euro-Zone asymmetrisch, in Frankreich etwa ist er dreimal so groß wie in Deutschland. Dies kann bedeuten, dass die EZB mehr französische als deutsche Anleihen kauft. Das ist Markt- und Wettbewerbsverzerrung pur.

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