Niedrigzins-Streit in der Koalition Union und SPD zanken um Draghi

Die SPD weist die scharfe Kritik von CDU und CSU an der Europäischen Zentralbank zurück. Der Angriff schade der Reputation der EZB. Vor allem aber dürfe die Unabhängigkeit der Notenbank nicht in Frage gestellt werden.

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Draghi Maßnahmen sorgen für Kontroversen in der Koalition. Quelle: Reuters

Berlin Mario Draghi hat nicht viele Verbündete in Deutschland. Mit dem massenhaften Kauf von Staatsanleihen stößt der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) hier zu Lande ebenso auf Widerstand wie seiner Nullzinspolitik. Unionspolitiker trugen ihre Kritik an der Öffnung der Geldschleusen zuletzt in immer schärferen Tönen vor. Selbst Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte öffentlich vor gefährlichen Nebenwirkungen und forderte einen Kurswechsel.

Die Attacken rufen nun aber auch Verteidiger auf den Plan. Vor allem aus der SPD wird Draghi in Schutz genommen. „Die einseitige Debatte zur EZB in Deutschland beschädigt die Reputation dieser Institution, die sich als einzige in der Krise als durchgängig handlungsfähig erwiesen hat“, sagte Carsten Schneider, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Ein Reputationsverlust der EZB, die derzeit ja auch noch für die Bankenaufsicht zuständig ist, liege nicht im deutschen Interesse. „Der Finanzminister und die Politik insgesamt sind aufgerufen, die Unabhängigkeit der Geldpolitik zu verteidigen“, forderte Schneider.

Dem pflichtet auch der finanzpolitische Sprecher der SPD, Lothar Binding, bei. „Wenn man die Unabhängigkeit der EZB hochhält, darf man die Kritik nicht so scharf formulieren, dass es den Anschein hat, man wolle Geld- und Währungspolitik ändern“, sagte der SPD-Finanzexperte. Die Debatte über die Auswirkungen von Draghis Geldpolitik wird auch unter Sozialdemokraten geführt. Schließlich bekommen auch sie das Unbehagen der Wähler zu spüren, die für ihr Erspartes keine Zinsen mehr erhalten.

Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der SPD, hält eine Debatte um die Geldpolitik deshalb für gerechtfertigt. „Die EZB ist unabhängig und daran wird nichts geändert. Aber man kann trotzdem eine Diskussion über ihre Geldpolitik führen“, sagte er. Der SPD-Finanzexperte stört sich allerdings teilweise an der Tonlage. „In der Sache kann man kritisieren, aber in der Form muss man vorsichtig sein.“ Äußerungen von Schäuble, die EZB-Geldpolitik habe der rechtspopulistischen AfD Auftrieb gegeben, hält Kahrs für falsch. Der Erfolg der AfD habe nicht unbedingt mit der EZB zu tun. „Ich würde die Schuld eher bei der Politik suchen.“

Der SPD-Finanzexperte betont zudem, dass gerade Schäuble von der EZB profitiere. „Der Bundesfinanzminister verzichtet nicht aus Protest auf die vielen Milliarden Euro, die er im Haushalt wegen der niedrigen Zinsen spart“, sagte Kahrs. „Die schwarze Null ist nur da, weil diese Politik der EZB gibt.“ Schäuble muss für den Schuldendienst deutlich weniger ausgeben wegen der niedrigen Zinsen. Für dieses Jahr plant er mit rund 25 Milliarden Euro – vor einigen Jahren waren es noch rund 40 Milliarden Euro.

Allerdings hat der Finanzminister schon häufiger betont, dass dieser Vorteil nichts an seiner Kritik ändere. Er sei ja kein Erbsenzähler, so Schäuble. Er hält die ultralockere Geldpolitik für riskant, weil sie neue Blasen und damit neuen Krisen auslösen könnte. „Das ist eine legitime Diskussion, die muss geführt werden“, sagte Schäubles Sprecher am Montag in Berlin. Die Unabhängigkeit der Zentralbank dürfe aber nicht in Gefahr geraten, betonte er.

Das jüngste Beispiel für die Folgen der EZB-Geldpolitik findet sich im Handel mit deutschen Staatsanleihen. Am Montag ermittelte die Bundesbank bei den im Umlauf befindlichen Bundesanleihen erstmals eine Durchschnittsrendite von 0,0 Prozent. Unter dem Strich zahlt der Staat im Grunde genommen bei der Neuaufnahme von Schulden keine Zinsen mehr.

Beim Blick auf einzelne Laufzeiten zeigt sich sogar, dass der Fiskus oftmals Geld verdient, wenn er sich Geld leihen will. Bis zu einer Laufzeit von neun Jahren werden alle Bundesanleihen derzeit mit negativen Zinsen gehandelt. Das bedeutet, wenn der Staat sich frisches Geld beschaffen will, bekommt er bis zu einer Laufzeit von neun Jahren Geld von den Gläubigern, anstatt Zinsen zu zahlen.

Die Nullzinspolitik in der Eurozone sorgt in Deutschland nicht nur bei der SPD für eine nervöse Stimmung. So befürchtet auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann, dass eine lange Nullzins-Phase dazu führen könnte, dass die Banken weniger verdienen und sich deshalb bei der Kreditvergabe zurückhalten. Dabei will die EZB mit ihrer Geldpolitik eigentlich das Gegenteil erreichen: Mit dem billigen Geld soll die Kreditvergabe angekurbelt werden.

Mit Material von dpa

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