NRW-Wahl Machtkampf im Westen

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Liberale Gralswelt

Wahlplakat von Hannelore Kraft Quelle: Laif

Aber jeder weiß täglich fünfmal aufs Neue, dass Röttgen es bestimmt nicht tun wird. Das ist der Unterschied. Als „Mann, der sich nicht traut“ (Bild), hatte Röttgen von Anfang an keine Chance, in die politische Offensive zu kommen.

Christian Lindner hingegen – was für ein medialer Beifallsorkan! Kein Landespolitiker ist in den Medien je präsenter gewesen; keinem Comeback-Politiker wurde je mehr wohlwollende Aufmerksamkeit entgegengebracht. Ob Lindner oder seine Politik so viel Interesse verdienen?

Das ist, fragt man Lindner, „offenbar der Fall“ – aus seiner Sicht aber vor allem unwichtig, solange das Interesse Interesse weckt und eine Interessendynamik in Gang setzt, die sich bis zum Wahltag selbst potenziert. Der Fünf-Prozent-Lindner, das ist ein offenes Marktforschungsexperiment: An ihm erproben die Medien ihre Fähigkeit zur Trendsetzung.

Lindner kommt gerade recht

Nachdem sie monatelang auf die FDP eingedroschen haben, kommt ihnen Lindner gerade recht, um durch ihn und mit ihm und an ihm mal wieder einen liberalen Gedanken zu riskieren.

Umgekehrt eröffnet dieses Experiment Lindner überhaupt erst die Möglichkeit zum politischen Laborversuch. Der 33-Jährige stilisiert sich zu einer Art Polit-Parsifal, der nach seiner Demission als FDP-General zur politischen Wiederauferstehung genötigt wurde, um die liberale Gralswelt von der Westerwelle- und Rösler-Tyrannei zu erlösen.

Er möchte die FDP nicht als Partei zeigen, „wie sie ist“, sagt Lindner, „sondern als das, was sie sein könnte“.

Die altindustrielle Wachstumsrhetorik Röslers, dessen Neigung, die Finanzindustrie mit Samthandschuhen anzufassen, das sachlich gebotene Statuieren eines ordnungspolitischen Exempels ausgerechnet an den Schwächsten (Schlecker-Mitarbeiter) bei gleichzeitigem Eintreten für ordnungspolitischen Unsinn (Erhöhung der Pendlerpauschale) – für Christian Lindner ist das alles: planloses Verbauen von liberalem Gesinnungsbeton.

Es fällt ihm schwer, es nicht ganz so harsch auszudrücken. Vorsichtshalber sagt er: „Nichts. Ich bin kein Generalsekretär. Ich muss nicht mehr alles kommentieren, was in Berlin erzählt wird.“

Rhetorischer Charmeur

Lindner ist in diesen Tagen weniger Frei-, vielmehr befreiter Demokrat. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte die FDP sich schon vor zwei Jahren vom Steuersenkungsprimat verabschiedet und die Diskussion über Lohnuntergrenzen freigegeben.

Stattdessen musste er – ganz linientreu – die Unentschiedenheit des Außenministers in der Libyen-Frage als kriegsentscheidenden Beitrag Deutschlands zur Nato-Offensive verkaufen. Damals, sagt Lindner, sei er fix und fertig gewesen: „Das konnte ich einfach nicht mehr erklären.“

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