NRW-Wahl Machtkampf im Westen

Hannelore Kraft steuert auf ihre zweite Amtszeit als Ministerpräsidentin von NRW zu. Dazu braucht sie aber wohl Schützenhilfe von Norbert Röttgen oder Christian Lindner - ihren ungeliebten Konkurrenten.

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Die Spitzenkandidaten für die NRW-Wahl
Hannelore Kraft (SPD)Sie hat sich von unten hochgearbeitet - und darauf ist sie stolz. Hannelore Kraft (50) ist ein „Malocherkind“ aus dem Ruhrgebiet, das dank der Bildungsreformen der 1970er Jahre erst eine Banklehre machen konnte und danach in Duisburg und London Wirtschaft studierte. 2010 gelang es ihr, den bis dahin amtierenden Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers abzulösen. Und das, obwohl die SPD mit knappen 5.882 Stimmen hinter dessen CDU lag. Gemeinsam mit den Grünen wagte Kraft das Experiment Minderheitsregierung - und kämpfte in den vergangenen fast zwei Jahren dafür, andere von ihrer vorbeugenden Sozialpolitik zu überzeugen. Im Wahlkampf setzte Kraft vor allem auf den direkten Kontakt zu den Menschen, ob auf der Straße oder im Mönchengladbacher Fußballstadion. Quelle: dpa
Norbert Röttgen (CDU)Sein Intellekt ist unbestritten und immer wieder wird Norbert Röttgen (46) nachgesagt, dass er sich auch die Kanzlerschaft zutrauen würde. Zur Politik kam er über die Nachrüstungsdebatte, arbeitete sich Schritt für Schritt in der CDU nach oben. Seit 2009 ist Röttgen Bundesumweltminister und musste in den zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit erst die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängern und nach der Atomkatastrophe von Fukushima dann die Kehrtwende vollziehen. Seit Ende 2010 ist er Landesvorsitzender der CDU in seinem Heimatland Nordrhein-Westfalen. Nach der Auflösung des Landtags Mitte März musste Röttgen früher als eigentlich geplant in den Wahlkampf ziehen. Als Oppositionsführer will der Minister nicht in den Düsseldorfer Landtag einziehen, mit der Unterstützung der Bundeskanzlerin hofft Röttgen auf einen Überraschungscoup. Quelle: dpa
Sylvia Löhrmann (Grüne)Sie gilt als Architektin der rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre sitzt Sylvia Löhrmann (55) für die Grünen im Düsseldorfer Landtag. Dass die gebürtige Essenerin 2010 so sehr für die Koalition mit der SPD kämpfte, dürfte nicht zuletzt an ihrem guten persönlichen Verhältnis zu Kraft gelegen haben. Die frühere Gesamtschullehrerin wurde nicht nur stellvertretende Ministerpräsidentin, sondern auch Schulministerin. Ihr Prestigeprojekt ist der „Schulkonsens“, der den Schulfrieden auch über mögliche Regierungswechsel hinweg sichern soll. Doch am Ende könnte es knapp werden für eine Neuauflage von Rot-Grün. Löhrmann müsste dann wieder auf der Oppositionsbank Platz nehmen. Quelle: dapd
Christian Lindner (FDP)Er ist der Hoffnungsträger einer ganzen Partei. Mit aller Macht klammern sich die Freidemokraten an Rhein und Ruhr an ihren Spitzenkandidaten, der die FDP wieder zurück in die Erfolgsspur führen soll. Christian Lindner (33) hat in der FDP einen steilen Aufstieg hingelegt - mit gerade einmal 30 wurde er Generalsekretär der Bundes-FDP. Zwei Jahre später schmiss Lindner im vergangenen Dezember überraschend hin. Ihm haftete das Image eines Fahnenflüchtigen an. Doch schon im März sorgte er für die zweite Überraschung und übernahm die Spitzenkandidatur der FDP im Landtagswahlkampf. Seitdem hat er es geschafft, die Zustimmung für die Liberalen in den Umfragen immerhin von mageren zwei wieder auf sechs Prozent zu erhöhen. Quelle: dpa
Katharina Schwabedissen (Linke)Komplett neu ist die Spitzenkandidatin der Linken im politischen Geschäft nicht. Schon zu Zeiten der WASG mischte Katharina Schwabedissen (39) ab 2004 kräftig mit und war deren Landessprecherin in NRW. Seit 2008 spricht sie für die gesamte Linke, hatte bislang aber kein Landtagsmandat. Pünktlich zu den vorgezogenen Neuwahlen an Rhein und Ruhr drängte sie in die vorderste Reihe der Partei. Ihr Thema ist die prekäre Lage von Hartz-IV-Empfängern und sozial Schwachen. Die gelernte Krankenschwester pflegt direkte Kontakte zur Anti-Atombewegung und den Occupy-Aktivisten. Den Umfragen zufolge erscheint ein Wiedereinzug der Linken in den Landtag aber unwahrscheinlich. Quelle: dpa
Joachim Paul (Piraten)Zu den Piraten kam er über seinen Sohn. Der Computer-Nerd hatte Joachim Paul (54) vor drei Jahren zum Stammtisch der Neusser Piraten mitgenommen. Zuvor war der promovierte Biophysiker und Medienpädagoge noch nie Mitglied einer Partei. Zwar hatte er in seiner Studienzeit ein paar Flirts mit den bunten Spontibewegungen und nachher mit den Grünen. Aber irgendwie wollte es nie so recht passen. In den vergangenen Jahren ist er im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland als Medienpädagoge durchs Land gezogen und hat erfahren, an welchen Stellen es beim punkto Bildung hackt. Bewahrheiten sich die Umfragen und die Piraten ziehen nach der Wahl am 13. Mai in den Düsseldorfer Landtag ein, wird Paul im Parlament dieses Wissen einbringen können. Quelle: dpa

Bislang gebührt der Ehrentitel „Mutti“ im politischen Sprachgebrauch einer Frau, die keine Kinder hat. Wer in der Union über Kanzlerin Angela Merkel frotzelt, der arbeitet sich verbal am Feindbild „Mutti“ ab. Und wie bei allen pickelig-pubertierenden Sprösslingen schwingt auch bei diesen Abgrenzungsversuchen immer ein Hauch Respekt mit. Am Ende weiß Mama doch immer, wo es lang geht. Schon wegen ihrer Pragmatik und Intuition. Drum hüte sich, wer Mutti unterschätzt.

Norbert Röttgen kann ein Lied singen. Zum zweiten Mal gibt es nun eine politische Super-Mutti – pragmatisch, lebenserfahren, menschennah - der er wohl nicht das Wasser reichen kann. Ausgerechnet am Muttertag kann sich Hannelore Kraft - glaubt man den Umfragen - als alte und neue Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen feiern lassen. Welch Ironie des Wahltermins.

Die Sache mit der Intuition hat Norbert Röttgen nicht ernst genug genommen. Gegen die stets um ihr wärmelndes Image bemühte SPD-Landesmutter und ihren selbsterklärten „Kümmer-Wahlkampf“ fand der CDU-Mann mit dem Streberimage im gesamten Wahlkampf kein Rezept. Da mochte er sich noch so sehr über die Kandidatin und ihre inhaltlichen Schwächen mokieren, da mochte er noch so häufig auf die eigene Wirtschaftskompetenz verweisen (an die viele Unternehmer nach der übereilten Energiewende der Union ohnehin nicht mehr glauben). Kraft konnte an dieser Stelle kontern, dass sie selbst Wirtschaft studiert und später als Unternehmensberaterin gearbeitet hat. Allerdings kommt es auf die Ökonomie in der Wählergunst längst nicht mehr an. Am Ende zählt das landesmütterliche Image. Man mag das kurzsichtig finden. Es bleibt menschlich.    

"Schuldenkönigin" mit "vorsorgender Sozialpolitik"

Tatsächlich ist die Erfolgsbilanz Hannelore Krafts beim Blick auf die Zahlen eher bescheiden. Von einem strikten Sparkurs hält sie wenig, die CDU nennt die SPD-Politikerin daher die „Schuldenkönigin“. Kraft argumentiert, wer heute in Bildung investiere, könne morgen viele Sozialausgaben sparen. Diese „vorsorgende Sozialpolitik“ passt zum Landesmutterimage. 2011 konnte Rot-Grün die Neuverschuldung zwar von fünf auf 3,2 Milliarden Euro senken. Nach einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes RWI geht das aber vor allem auf die sprudelnden Steuereinnahmen zurück. In diesem Jahr soll es noch mehr neue Schulden geben.

Auch eine andere Flanke bleibt: Die Energiewende trifft kein Bundesland so sehr wie Nordrhein-Westfalen mit seinen Kohlekraftwerken, seinen Aluminium- oder Stahlhütten. Allerdings hat die Ministerpräsidentin die Strompreise und die Umsetzung der Energiewende im Wahlkampf nicht zum wichtigsten Thema erkoren. Sie konzentrierte sich lieber auf Themen wie den Ausbau der Kinderbetreuung oder die Finanzlage der Kommunen. Auf Themen also, die den von Hannelore Kraft offensiv umworbenen „kleinen Leuten“ erst einmal näher liegen.  

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