NRW-Wahl Machtkampf im Westen

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Von der Gruppe geachtet und gefürchtet

Christian Lindner, Spitzenkandidat der FDP bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen Quelle: dpa

Und Christian Lindner nutzt den Provinz-Wahlkampf nicht nur für sein persönliches Comeback, sondern auch als Bühne für eine Redefinition liberaler Politik, die sich vor allem als Anti-Politik zu allem versteht, wofür der Parteivorsitzende Philipp Rösler eintritt.

Und so zogen Röttgen und Lindner in den vergangenen Wochen ein wenig wie zwei glücklos verirrte Herdentiere durch die Provinz, die von ihrer Gruppe geachtet und gefürchtet, teils abgewiesen, teils umworben werden – und die ihren labilen Anspruch auf Führung mühsam aufrechterhalten, indem sie Nähe und Distanz zugleich suchen: zu sich selbst, zu ihren Parteien und zu ihren Wählern – wenn das mal gut geht.

Röttgen hat das Kunststück fertig gebracht, seine geringen Chancen auf einen Sieg am 13. Mai in verschwindend geringe zu verwandeln.

Weil er nicht nur die außergewöhnliche Gabe besitzt, sich im hellen Licht einer allumfassenden Weisheit erscheinen zu lassen, sondern auch das Selbstbewusstsein, sich dauernd in ihrem Besitz zu wähnen, hat er gleich am ersten Tag des Wahlkampfes durchblicken lassen, dass oppositionelle Arbeit in Düsseldorf einem Mann seines Formats nicht zumutbar sei.

"Wahlentscheidend ist das nicht"

Damit nicht genug, ließ er sich in einem Wahlkreis (Bonn I) aufstellen, der für ihn die größtmögliche Gewähr bietet, nicht in den Landtag gewählt zu werden. Röttgen selbst meint, dass seine Weigerung, sich als passionierter NRW-Politiker zu camouflieren, wenn nicht wirkungslos, so doch letztlich irrelevant sei: „Wahlentscheidend ist das nicht.“

Stattdessen hofft er, dass die Bürger seinen Machtwillen erkennen und seine Durchsetzungskraft honorieren: Sein Sieg bei den Diadochenkämpfen der NRW-CDU nach dem Rückzug von Jürgen Rüttgers (2010), sein sturgrüner Eigensinn in Atom- und Energiefragen (2011), zuletzt der große Zuspruch der CDU bei der Wahl zum Spitzenkandidaten – „ich spiele nicht auf Platz“, sagt Röttgen, „sondern immer auf Sieg“.

Er habe sich geweigert, über den Fall einer Niederlage zu diskutieren, „weil die Bedingung des Gewinnens das Gewinnen-Wollen“ ist – und tatsächlich: Hannelore Kraft (SPD), Sylvia Löhrmann (Grüne) oder Christian Lindner werden im Gegensatz zu Röttgen kaum je danach gefragt, was sie zu tun gedenken, sollten sie ihre politischen Ziele verfehlen.

Warum eigentlich nicht? Warum ist Röttgen seit Wochen als Polit-Egomane verschrien, über dessen absehbaren Karriereknick sie sich in der CDU die Hände reiben, während Lindner als potenzieller Heilsbringer seiner Partei gejazzt wird – und nicht umgekehrt?

Es gehört zu den traurigsten Kapiteln dieses Wahlkampfes, dass die Medien ihn jenseits aller sachpolitischen Argumente vorentschieden haben, weil sie allein Röttgen unter Bekenntniszwang gesetzt haben. Bis heute weiß niemand, ob Hannelore Kraft im Falle einer Niederlage die Oppositionsbank drücken würde.

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