Verbringt man Zeit mit Armin Laschet, ist schnell klar, für wen er ist: Angela Merkel. Von deren „Haltung“ kann der Mann minutenlang schwärmen, von der „Führungsstärke“ der Kanzlerin sowieso. Kommt das Gespräch gar auf die Details der Merkel’schen Flüchtlingspolitik, etwa die umstrittene Grenzöffnung vor rund zwei Jahren, verfällt der Exchefredakteur der KirchenZeitung Aachen gar in Schlagzeilenmodus: „Jeder deutsche Bundeskanzler hätte in dieser Situation so entschieden.“
Kurzum: Laschet, 56, ist ein prima Wahlkämpfer, zumindest für Merkel. Die Rolle als treuester Vasall der Kanzlerin kann ihm niemand streitig machen. Seit Jahren tingelt er für sie durch Talkshows, Laschets Ehrerbietungsbeweise füllen die Mediatheken.
Zum Dank verhalf Merkel ihrem TV-Verteidigungsminister zur CDU-Spitzenkandidatur im größten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen – obwohl im Landesverband eher Witze über seinen Nachnamen („der Lasche“) kursieren als über seine politischen Fähigkeiten.
Doch Merkel wollte partout nicht noch mal erleben, was ihr mit Laschets NRW-Kandidatenvorgänger Norbert Röttgen widerfuhr. Der galt als „Muttis Klügster“ und höchst ehrgeizig, er wagte der Kanzlerin etwa bei der Frage zu widersprechen, wie sehr er sich zum Bundesland bekennen sollte. Danach verlor Röttgen nicht nur die Wahl, Merkel feuerte ihn auch als Bundesminister.
Übertriebenen Ehrgeiz oder Aufmüpfigkeit hat Laschet noch niemand unterstellt. Dennoch droht Merkel mit ihrem neuen NRW-Kandidaten bei der Abstimmung am 14. Mai die zweite Schlappe. In Umfragen liegt Laschet bis zu acht Prozentpunkte hinter SPD-Amtsinhaberin Hannelore Kraft. Die rot-grüne Koalition dürfte zwar kippen, doch Kraft könnte künftig mit der FDP koalieren, dem traditionsreichen CDU-Partner. Welch ein Signal rund vier Monate vor der Bundestagswahl, auch für Kanzlerin Merkel.
Die miesen CDU-Zahlen mögen teils am Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz liegen, der Kraft beflügelt. Doch wichtiger ist: Laschet mag ein toller Wahlkämpfer für Merkel sein, aber er ist bislang ein lausiger in eigener Sache. Dabei bietet Gegnerin und Amtsinhaberin Kraft jede Menge Angriffsflächen. Ihr 18-Millionen-Land zwischen Rhein und Ruhr wirkt heruntergewirtschaftet wie das „deutsche Griechenland“ („Bild“-Zeitung). NRW liegt unter Kraft überall weit vorne, wo es nicht vorne liegen sollte: bei Kinderarmut, bei Jugendarbeitslosigkeit, bei Menschen, die nach Arbeit suchen, bei neuen Schulden, die Gesamtlast ist auf 180 Milliarden Euro gestiegen.
Zugleich liegt es überall da hinten, wo es vorangehen sollte. Und dann ist da noch die Angst um die innere Sicherheit, symbolisiert durch die Silvesternacht von Köln und das Behördenversagen um den Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri. Der entwischte den NRW-Behörden, ehe er in der Hauptstadt zuschlug. Krafts Innenminister Ralf Jäger gilt bundesweit als Sicherheitsrisiko.
„Die NRW-Wahl müsste für uns doch wie ein Elfmeter ohne Torwart sein“, sagt deshalb ein Topchristdemokrat. NRW wäre die erstklassige Gelegenheit, endlich wieder einen CDU-Ministerpräsidenten mit starker Machtbasis zu installieren – die sind unter Merkel zur Rarität geworden.
Kaum Drang zum Tor?
Doch Laschet zeigt bislang kaum Drang zum Tor, er gilt eher als gemütlich. Böse Stimmen sagen: „faul“. Offiziell den Wahlkampf beginnen will Laschet erst am 23. April, dann ist die SPD im Land schon seit drei Wochen unterwegs. Auch mit dem Internet, als Mobilisierungsinstrument nicht ganz unwichtig, mag sich der Kandidat kaum selbst beschäftigen. „Im Vergleich zur Konkurrenz denke ich, dass wir in den sozialen Medien gut aufgestellt sind. Gerade bei der Jungen Union haben wir da sehr gute Leute.“
Oft scheint Laschet nicht einmal recht auf dem Laufenden, womit seine Partei wirbt. Seit gut einer Woche hängen die Plakate der Parteien in NRW, auf einem der Union steht: „Mehr Polizei, mehr Sicherheit. CDU“. Fragt man aber den Herrn Spitzenkandidaten, wie es um innere Sicherheit bestellt sei, sagt er: „Mehr Polizei alleine bringt uns nicht mehr Sicherheit.“ Aha.
Viele hatten die Kandidatenschwäche kommen sehen. Laschet, seit fast drei Jahrzehnten politisch aktiv, gilt fast ebenso lange als „Filou“. Mal musste er bei der Opposition nachfragen, um was es im Landtag gerade ging – oder er rief aus dem Urlaub in Portugal seine Sprecherin an und stürzte im Gespräch mit Handy und Zigarillo in den Pool.
Als Lehrbeauftragter an der Uni Aachen verlegte Laschet Klausuren, was ihn nicht abhielt, diese zu benoten – auch von Studenten, die gar nicht mitgeschrieben hatten.
Seine erfolgreichste Zeit hatte der Aachener, als er unter CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers erster Integrationsminister Deutschlands wurde. Laschet ließ sich beim türkischen Barbier rasieren und schrieb über „Zuwanderung als Chance“.
Heute sagt Kandidat Laschet über die angespannte Sicherheitslage in NRW: „Zunächst einmal ist das eine Führungsfrage.“ Doch wer sollte ihm diese zutrauen? Zumal Laschet jede weitere kritische Bemerkung, etwa zum Thema Islamgesetz, verweigert. Über ein mögliches Gesetz möchte er nicht reden.
Nirgendwo wird Laschets Schwäche deutlicher als in der Wirtschaftspolitik – eine ganz besondere Herausforderung in einem Bundesland, das Boomregionen wie Ostwestfalen mit prosperierenden Weltmarktführern ebenso sein Eigen nennt wie Geisterstädte im Ruhrgebiet. Laschet, Sohn eines Bergmanns, der dank Förderung zum Lehrer umschulte, müsste das Thema am Herzen liegen. Er versucht nun auch Kraft zu attackieren, etwa mit dem Satz: „In ganz Deutschland sinkt die Kinderarmut. In Nordrhein-Westfalen steigt die Kinderarmut.“ Dumm nur, dass er sich gerade in dem Punkt auf heikles statistisches Terrain gewagt hatte. Der WDR unternahm einen Faktencheck, Laschets Botschaft versendete sich.
Für die klaren Worte musste er sich wieder Unterstützung bei Merkel suchen, die beim NRW-Wahlkampfauftakt schimpfte, die von der SPD so vehement eingeforderte „Gerechtigkeit“ komme doch gerade im rot-grün regierten NRW zu kurz.
Aber wenn es darum geht, Kontakt zu den Menschen aufzunehmen, die sich abgeschoben fühlen, etwa ins Ruhrgebiet, fühlt Laschet sich nicht zuständig. Wahlkampf in der SPD-Hochburg möchte er möglichst vermeiden. „Die CDU hat ihre Stärken im ländlichen Raum, da haben wir viele Wähler“, sagt Laschet. „Dort ist die Wirtschaft stark, und deshalb spüren die Leute dort auch am stärksten das Versagen der aktuellen Landesregierung. Dort werden wir uns um die Mobilisierung der Wähler kümmern.“ Die fatale Botschaft: Das Ruhrgebiet, eine Region mit immerhin 5,1 Millionen Einwohnern, interessiert mich nicht.
Viele in der CDU geben die Wahl schon verloren und spekulieren bereits über Nachfolger für Laschet. Im wichtigen NRW-Landesverband gibt es gleich drei starke, medial omnipräsente junge Männer: Jens Spahn, 36, Staatssekretär bei Finanzminister Wolfgang Schäuble. Carsten Linnemann, 39, Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung. Und Paul Ziemiak, 31, Vorsitzender der Jungen Union. Alle drei haben aber einen Karrieremakel: Sie sind offene Merkel-Kritiker.