NRW-Wahlkampf Hannelore Kraft hat die Realität ignoriert

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Das Vermächtnis des "roten Paten"

„Wir in Nordrhein-Westfalen“ steht auch über einer Broschüre des Wirtschaftsministeriums. Der Westdeutsche Rundfunk und die WAZ-Mediengruppe wählten „Wir in Nordrhein-Westfalen“ als Titel einer gemeinsamen Publikationsreihe.  Durchgeschlagen hat das Wir-Gefühl von Hombach und Rau auch in Publikationen der Landeszentrale für politische Bildung: „Bei so viel Zuspruch muss er in den kommenden Jahren seine Landeskinder einfach lieben!“ heißt es auf deren Website zu Raus Sieg von 1980

Im zeitgeschichtlichen Rückblick kann man Johannes Rau allerdings vorwerfen, dass er nicht nur die NRW-Identität und ihre Gleichsetzung mit der NRW-SPD (und vor allem ihm selbst) geschaffen hat, sondern auch die Gründe dafür, dass der SPD gar keine Alternative mehr bleibt zu einem reinen Personen- und Gefühlswahlkampf. Denn unter seiner 20-jährigen Regierung ist Nordrhein-Westfalen im innerdeutschen Vergleich wirtschaftlich, technologisch und auch in der Bildung stark zurückgefallen.

Rau hat zu lange an alten Industrien, insbesondere am Steinkohlebergbau festgehalten und neue Techniken zu wenig gefördert. Die Standortpolitik überließ er de facto WestLB-Chef Friedel Neuber, der mit Raus Segen einige Fusionen alter Industriegiganten dirigierte. Viele hielten den „roten Paten“ für den wahren Landesherrn. Rau konnte sich währenddessen ganz der Pflege seines Images als versöhnender, kümmernder Landesvater widmen.

Rau verdankte seinen Erfolg aber auch einem besonderen Zeitfenster, das sich für ihn auftat: Der Niedergang der Schwerindustrie in den 1970er und vor allem 80er Jahren mobilisierte die damals noch sozial intakte Arbeiterschaft für die SPD. Seine väterlichen Schutz versprechende Kümmerpolitik gab den von Arbeitslosigkeit bedrohten oder  gerade erst arbeitslos Gewordenen eine politische Heimat. „Wir in Nordrhein-Westfalen“ lassen keinen hängen, war die Botschaft.

von Konrad Fischer, Sven Prange, Gregor Peter Schmitz

Doch die Hoffnungen der alten SPD-Kernwählerschaft, dass im Ruhrgebiet alles wieder gut werde und die Schlote weiter rauchen würden, waren eben nicht zu erfüllen. Das Machtgespann Rau-Neuber hinterließ zwar ein Wir-Gefühl und dichtes öffentlich-privates Strippengeflecht in Nordrhein-Westfalen, aber keine wirtschaftliche Perspektive für das Ruhrgebiet. Die WestLB endete wenige Jahre nach Neubers und Raus Tod in einem Desaster. Die ökonomische und soziale Lage zwischen Duisburg und Dortmund, wo einst das industrielle Herz Deutschlands schlug, ist desolat.

Mit der Ruhr-Industrie aber erodierte auch das Milieu, das die Basis für die Erfolge der Rau-SPD abgab. „Der Strukturwandel, der zunächst noch einmal der NRW-SPD zu ungeahnter Stärke verholfen hatte, trägt mittelfristig zum elektoralen Niedergang der NRW-SPD bei", schreibt der Politikwissenschaftler Sebastian Bukow. Sie finde letztlich keine Antwort auf die Erosion des industriellen Milieus. Für Raus Nachfolger hat sich das Fenster zur absoluten Mehrheit geschlossen.

Mit handfesten Regierungserfolgen zu werben, wie es beispielsweise die CSU in Bayern tun kann, fällt der nordrhein-westfälischen SPD schwer. Der Misserfolg des kühlen und betont sachlichen Peer Steinbrück beim Versuch, die von Wolfgang Clement geerbte Ministerpräsidentschaft 2005 zu verteidigen, hat gezeigt, was der SPD blüht, wenn man den Rheinländern und Westfalen gegenüber zu kaltherzig rüberkommt.

Die Düsseldorfer Landesmutter hat daraus ihre Lehren gezogen: Sie überschüttet in Ermangelung eines großen Projekts ihre Landeskinder mit Menschlichkeit: „Den Menschen in den Mittelpunkt jeden Handelns stellen – dafür steht die Landesregierung aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.“ Angesichts der Auflösung des Arbeitermilieus und ohne Raus Hoffnungsbotschaft von der Bewahrung der Industriearbeitsplätze im Ruhrgebiet bleibt der SPD nur noch das reine, von sachlichem Balast befreite Wir-Gefühl als stärkstes Pfund im Wahlkampf. Dementsprechend auch die Botschaften auf den NRWIR-Plakaten. „Stolz auf unser Können“, „Stolz auf unseren Zusammenhalt“ und sogar „Stolz auf unsere Zukunft“ sollen die Menschen in Nordrhein-Westfalen sein.

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